"Die Lösung ist, die Grenzen dicht zu machen"
Dass so viele Flüchtlinge nach Europa kommen, sei allein die Schuld von Angela Merkel, findet der slowakische EU-Parlamentarier Richard Sulik: "Da wurde ein Flüchtlingsstrom losgetreten". Von Quoten zur Verteilung der Flüchtlinge hält er nichts.
Der konservative slowakische EU-Parlamentarier Richard Sulik gibt Angela Merkels Flüchtlingspolitik die Schuld am "Chaos", das derzeit in Europa herrsche. Doch werde die EU daran und an der Diskussion um Aufnahmequoten nicht zerbrechen.
Sulik sagte im Deutschlandradio Kultur, die Slowakei sei der EU seinerzeit beigetreten, "weil sie ein freier Markt ist ... Wir sind der EU nicht beigetreten, um Flüchtlinge aufzunehmen, die irgendwo auf der Welt herkommen. Davon war nie die Rede. Und wenn Deutschland meint, dass Deutschland alle aufnehmen muss, die das wollen – bitteschön, dann sollen die das machen." Der Politiker räumte ein, dass es in der Slowakei möglicherweise ein anderes Werteverständnis gebe als in Deutschland oder Schweden.
Aufnahmequoten sind vom Tisch
Auf den Einwand, Flüchtlinge seien Menschen in Not und keine Butterberge oder Bananenkisten, die verschoben werden könnten, behauptete Sulik: "Es trifft mit Sicherheit nicht zu, dass alle, die nach Deutschland oder nach Europa kommen, vertrieben wurden. Die Mehrheit geht nach Deutschland, weil sie ein besseres Leben will." Er begründete seine Meinung unter anderem damit, dass es ja in der letzten Zeit "keine neuen Kriege" gegeben habe, die den plötzlichen Anstieg der Flüchtlingsströme rechtfertigten.
Sulik schlug stattdessen vor, die Flüchtlinge außerhalb der EU in Auffanglagern unterzubringen, um dort ihren Status als Asylsuchende zu beantragen: "Die Überlegungen zu festen Aufnahmequoten sind meiner Meinung nach vom Tisch." Pflichtquoten seien keine Lösung , die Slowakei lehne sie ab.
Das Interview im Wortlaut
Dieter Kassel: Beim Treffen der Innenminister der EU-Staaten heute in Brüssel wird es wieder um eine gerechtere Verteilung der nach Europa kommenden Flüchtlinge gehen. Eine solche Verteilung, am besten nach einem festen Schlüssel, fordern die Länder, die bereits sehr viele Flüchtlinge aufgenommen haben, und verweigern die, die das nicht getan haben. Zu Letzteren in doppeltem Sinne gehört auch die Slowakei. Für die sitzt Richard Sulik im Europaparlament, er ist der Vorsitzende der slowakischen Oppositionspartei Freiheit und Solidarität und gerade im Auto unterwegs, weshalb wir ihn in der Slowakei am Mobiltelefon erreichen. Schönen guten Morgen, Herr Sulik!
Richard Sulik: Schönen guten Morgen!
Kassel: Halten Sie denn eine Einigung in dieser Frage heute beim Innenministertreffen oder morgen beim Treffen der Staats- und Regierungschefs in Brüssel überhaupt noch für denkbar?
Sulik: Nein, ich denke, diese Pflichtquoten sind in der Zwischenzeit vom Tisch. Es ist ja auch keine Lösung, wenn man 120.000 Leute verteilt, die kommen ja in einem Monat nach Europa.
Kassel: Ja, aber wenn man sie nach irgendeinem Schlüssel verteilen würde, könnte das natürlich auch eine Regelung für die Zukunft sein.
Sulik: Ja, und das ist eben das, was die Slowakei ablehnt. Wir finden es einfach nicht richtig – das betrifft übrigens fast alle Parteien in der Slowakei –, es ist keine Lösung, die Flüchtlinge immer wieder zu verteilen.
Kassel: Das heißt, die Lösung ist auch weiterhin, sie einfach weiterzuschicken nach Österreich und Deutschland?
Sulik: Nein, die Lösung ist, die Grenzen dicht zu machen und nur die reinzulassen, die ein Asyl bekommen. Das heißt, Europa muss außerhalb der EU Aufnahmeeinrichtungen errichten, wo die Flüchtlinge warten werden, bis über das Asylverfahren entschieden wurde.
Flüchtlinge sind keine Bananenkisten
Kassel: Im Moment kommen aber alleine zum Beispiel die slowenisch-österreichische Grenze so vier-, fünftausend am Tag. Wenn man tatsächlich machen würde, was Sie sagen, müsste man sich erst drauf einigen und dann die entsprechenden Einrichtungen einrichten, und das dauert Wochen bis Monate. Und bis dahin einfach nichts tun?
Sulik: Ja, die EU hat in den letzten vier Monaten fast nichts getan. Ich kann mich erinnern, wir haben im Europaparlament im Juni zum ersten Mal über die Pflichtquoten abgestimmt, das ist drei Monate zurück. In dieser Zeit hätte die EU durchaus etwas unternehmen können, aber leider sind die einfach nicht potent genug, die Brüsseler Leader, wie man denen sagt.
Kassel: Wir reden aber ja nicht über einen Butterberg oder über Bananenkisten, die nicht ordentlich verteilt werden können, wir reden über Menschen, die aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Ist das etwas ...
Sulik: Ich wäre mir da gar nicht so sicher, nein, ich wäre mir da gar nicht so sicher. Es trifft mit Sicherheit nicht zu, dass alle, die nach Deutschland kommen oder nach Europa kommen, vertrieben wurden. Die Mehrheit, die geht einfach nach Deutschland, weil sie ein besseres Leben will. Das ist zwar legitim, es ist aber auch von Europa legitim, nein zu sagen.
Kassel: Woher haben Sie diese Gewissheit, dass die Mehrheit der Menschen, die nach Deutschland will, nicht vertrieben wurde?
Sulik: Ja, gut, ich hab genauso wenig Gewissheit wie Sie, aber es sind doch keine neuen Kriege in Syrien oder anderswo, und auf einmal ist dieser Flüchtlingsstrom angeschwollen um das, was weiß ich, drei-, vier-, Fünffache. Es kommen ja nicht seit Monaten 5.000 Leute pro Tag, sondern vielleicht seit einem Monat – eben seit der Zeit, wo die Frau Merkel dieses Chaos ausgelöst hat, als sie sagte, in Deutschland sind alle willkommen. Und jetzt hat eben Deutschland ein riesiges Problem.
Ein unterschiedliches Wertesystem
Kassel: Hat sie streng genommen so zwar nicht gesagt, aber bevor wir das ausdiskutieren ... Ich hab bei dem, was Sie sagen, Herr Sulik, und auch bei dem, was ich von der slowakischen Regierung und der Regierung mittel- und osteuropäischer Länder höre, das Gefühl, dass wir ein Problem haben in der Europäischen Union, denn so, wie ich sie verstehe, ist sie keine reine Wirtschaftsgemeinschaft, sondern eine Gemeinschaft von Staaten, die auch Werte teilen und Einstellungen zur Menschlichkeit. Würden Sie nicht auch sagen, diese Werte sind in der Slowakei nicht so ganz genau die gleichen wie in Deutschland und zum Beispiel Schweden?
Sulik: Ja, doch, sicherlich, und die Menschlichkeit, das ist ein sehr wichtiger Wert. Und wenn es jetzt diesen Aufruf nicht gäbe an Menschen, nach Deutschland zu kommen, würden auch viel weniger kommen. Und wissen Sie, das ist ja auch nicht menschlich, diese Bedingungen, die die Menschen jetzt erleben. Also da wurde ein Flüchtlingsstrom losgetreten, das hätte alles gar nicht sein müssen. Ich weiß überhaupt nicht, warum Frau Merkel dieses getan hat.
Kassel: Es gibt aber Länder wie Deutschland und Schweden, die sagen, wir müssen diesen Menschen helfen, und es gibt Länder wie die Slowakei, die sagen, wir müssen sie uns vom Leib halten. Das sind nicht die gleichen Werte, finde ich.
Sulik: Na gut, das sind vielleicht nicht genau dieselben Werte, das mag schon sein, aber es ist auf jeden Fall gutes Recht der Slowakei, zu sagen, nein, wir wollen diese Migranten nicht. Wir sind bereit, denen zu helfen, die wirklich Asyl brauchen, dann sollen sie bitte schön Asylanträge stellen und nicht rumspekulieren, dass sie durch vier, fünf sichere Länder reisen müssen, bis sie da sind, wo sie bleiben möchten.
Kassel: Es gibt EU-Regeln, es gibt die Flüchtlingskonvention der Vereinten Nationen – es gibt übrigens einen Aufruf des Generalsekretärs der UN auch an die Slowakei, ganz aktuell jetzt –, und es gibt diese großen Meinungsunterschiede in der Europäischen Union. Denken Sie, es lohnt sich auch für ein Land wie die Slowakei sogar, ein Zerbrechen dieser Union zu riskieren wegen der Flüchtlinge?
Sulik: Wegen der Flüchtlinge wird die Union nicht zerbrechen, das ist einfach ein Problem, das die Union lösen muss. Ich hab vorhin schon gesagt, wie das Problem gelöst werden kann, und ich sage noch einmal, diese Pflichtquoten oder irgendwelche Umverteilung ist keine Lösung. Das ist, wie wenn Sie auf eine Badewanne schauen, wo das Wasser rausläuft: Anstatt darüber nachzudenken, wie Sie das Auslaufen des Wassers stoppen, denken Sie darüber nach, wie Sie das Wasser umverteilen im Badezimmer. Das ist einfach keine Lösung, diese Pflichtquoten. Deswegen lehnen wir diese ab
Keine Einigung in der Flüchtlingsfrage in Sicht
Kassel: Ja, schon, aber Sie wissen, dass andere Länder das anders sehen, und das ist ja keine Kleinigkeit, und ich kann mir auch keinen vernünftigen Kompromiss zwischen diesen grundsätzlich unterschiedlichen Einstellungen vorstellen, also trotzdem noch mal die Frage: Wenn man sich nicht einigt, sagen Sie dann, dann eben nicht mehr miteinander, dann keine EU?
Sulik: Aber wenn man sich in einer Frage nicht einig ist ...
Kassel: Aber es ist ja nicht irgendeine Frage, und dahinter steckt ja nicht nur das Unterzeichnen eines Vertrags über 160.000 Menschen, die verteilt werden sollen. Wir sind uns doch einig, Sie haben da ein vollkommen anderes Weltbild als die Bundesrepublik oder Schweden.
Sulik: Ja, und? Wir sind doch der EU beigetreten, weil die EU ein freier Markt ist, und nicht, weil die EU eine Gemeinschaft zum Umverteilen von Flüchtlingen ist. Und wenn man sich in dieser einen Frage nicht einigt – zugegeben in einer wichtigen Frage –, dann ist das doch kein Verbrechen der EU. Es wäre dann also sehr schlecht um die EU bestellt, wenn sie an dieser Frage zerbrechen sollte.
Kassel: Sie sind der EU beigetreten, weil sie ein freier Markt ist, und nicht, weil sie eine Wertegemeinschaft ist.
Sulik: Wir sind der EU nicht beigetreten, damit wir Flüchtlinge aufnehmen oder Migranten aufnehmen, die irgendwo aus der Welt herkommen. Da war doch nie die Rede davon. Und wenn jetzt Deutschland meint, dass Deutschland alle aufnehmen muss, die das wollen, bitte schön, sollen die das machen. Slowakei meint, wir wollen die Migranten nicht aufnehmen.
Kassel: Sagt Richard Sulik, Vorsitzender der slowakischen Oppositionspartei Freiheit und Solidarität und Europaabgeordneter seines Landes. Herr Sulik, danke für das Gespräch!
Sulik: Ich danke auch, schönen Tag!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.