EU-Freizügigkeit

Gute Zuwanderung - Schlechte Zuwanderung?

Seit dem 1. Januar 2014 gilt auch für Bulgaren und Rumänen die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der EU. Das heißt, sie können auch in Deutschland unbeschränkt Arbeit suchen, wie zuvor schon seit 2011 Arbeitssuchende aus anderen osteuropäischen Ländern wie zum Beispiel Polen, Tschechien, der Slowakei und Ungarn. Seither reißt die Diskussion nicht ab.
Seit dem 1. Januar 2014 gilt auch für Bulgaren und Rumänen die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der EU. Das heißt, sie können auch in Deutschland unbeschränkt Arbeit suchen, wie zuvor schon seit 2011 Arbeitssuchende aus anderen osteuropäischen Ländern wie zum Beispiel Polen, Tschechien, der Slowakei und Ungarn. Seither reißt die Diskussion nicht ab: "Wer betrügt, der fliegt" – wettert die CSU in bekannt markiger Manier und warnt von dem Ansturm von "Armutsflüchtlingen" auf unser Sozialsystem.
Wie berechtigt sind diese Befürchtungen?
Wie können wir die Freizügigkeit regeln?
"Ich finde es unangemessen und grundfalsch, dass man jetzt an einer Bevölkerungsgruppe so etwas festmacht, zumal diese Bevölkerungsgruppe gar nicht das Problem in unserem Sozialstaat ist", sagt Prof. Dr. Herbert Brücker, Wirtschaftswissenschaftler und Migrationsexperte am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg. "Rumänen und Bulgaren beziehen weitaus weniger Sozialleistungen als andere Ausländergruppen.“
Derzeit werde zu stark auf die Städte geschaut, die Probleme mit dem Zuzug von Roma und Sinti hätten – dies habe aber mit der Öffnung des Arbeitsmarktes nichts zu tun: "Wir haben Kommunen wie Duisburg, wie Dortmund, wie Berlin, wo wir vor ganz gravierenden Problemen stehen. Es gibt auch viele Menschen, die weder Leistungen beziehen noch arbeiten – oder nicht sozialversicherungspflichtig arbeiten –, da gibt es Schwarzarbeit und ähnliche Phänomene. Aber ich erwarte eigentlich, dass es durch die Arbeitnehmerfreizügigkeit besser werden kann, weil dann mehr Menschen Beschäftigungsmöglichkeiten haben werden."
Der Bund müsse die betroffenen Kommunen mit Ausgleichszahlungen unterstützen. Der Forscher verweist auf die positive Bilanz der bisherigen Arbeitsmarktöffnung für Osteuropäer: "Der Anteil der Arbeitslosen aus diesen Ländern an der deutschen Bevölkerung sank um mehr als fünf Prozentpunkte, der Anteil der Hartz-IV-Empfänger um mehr als einen Prozentpunkt."
Sein Appell: "Das Schlimmste, was jetzt passieren könnte, wäre, dass wir sagen, wir haben gute Zuwanderer aus bestimmten Ländern wie Spanien und schlechte Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien."
"24 Jahre nach dem Fall der Mauer ist Europa immer noch gespalten", konstatiert die rumänisch-deutsche Schriftstellerin Carmen-Francesca Banciu. "Immer noch spricht man in Kategorien wie Ost und West, konzentriert sich auf das, was trennt: Mentalitäten, kulturelle und politische Prägungen, wirtschaftliche Lage, Ethik und Arbeitsmoral. Was verbindet, interessiert nicht."
Die Autorin, die bis zur Revolution in Rumänien mit einem Veröffentlichungsverbot belegt war, lebt seit 1991 in Berlin. Sie kennt das große Wohlstandsgefälle, das viele Rumänen aus dem Land treibt:
"Das Gefälle ist so groß, Ärzte, Lehrer und Menschen, die an wichtiger Stelle arbeiten und für die Entwicklung der Gesellschaft eine große Rolle spielen - in der Erziehung, der Bildung - sie verdienen viel weniger, und gleichzeitig sind in Rumänien die Lebensmittel fast teurer als hier. Das bedeutet, dass manche Menschen zwei bis drei Jobs haben, um über die Runden zu kommen. Und natürlich gehen sie weg, das würde doch jeder machen."
Dennoch sei Rumänien kein „Armenhaus“: "Schon gar nicht werden das geistige und kulturelle Leben, die intellektuellen Debatten oder die Entwicklungen in Gesellschaft, Kunst und Kultur beobachtet. Höchstens Spitzenleistungen im Sport- und Filmbereich werden beachtet, oder wenn eine deutsche Autorin, geboren in Rumänien, den Literaturnobelpreis bekommt."
Sie könne die Ängste vieler Deutscher verstehen, aber Europa lebe von der der Mobilität und Freizügigkeit, die wiederum viele Deutsche gern nutzten.
Darüber diskutiert Dieter Kassel heute von 9 Uhr bis 11 Uhr mit Carmen-Francesca Banciu und Herbert Brücker. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der Telefonnummer 00800 2254 2254 oder per E-Mail unter gespraech@deutschlandradiokultur.de
Die zweite Stunde zum Nachhören
Informationen im Internet
Über Carmen-Francesca Banciu
Über Prof. Dr. Herbert Brücker