Der nächste Krach ist programmiert
Auf ihrem letzten Gipfeltreffen in diesem Jahr haben sich die Staats- und Regierungschefs der EU in vorweihnachtlichem Frieden geübt. Doch ob Flüchtlingspolitik oder der Forderungskatalog der Briten - die vielen Konflikte innerhalb der Union ließen sich kaum überspielen, meint Annette Riedel.
Nein, gemeinsam "O Du Fröhliche" abgesungen haben die EU-Staats- und Regierungschefs bei ihrem Dezember-Gipfel nicht. Wohl auch nicht die inoffizielle EU-Hymne "Ode an die Freude". Aber sie haben sich, so scheint es, in einer Art "Vorweihnachtsfrieden" geübt. Vielleicht ist aber die 28er Runde zumindest vorübergehend von der Erkenntnis beleuchtet gewesen – wenn auch nicht erleuchtet: Dass manche Probleme, wenn überhaupt, nur mit mehr Europa nachhaltig zu bewältigen sind, oder jedenfalls nicht mit weniger Europa. Ein Staat alleine, und sei er eine noch so schwergewichtige Insel, kann in einer entgrenzten Welt nicht mit allen Krisen und Entwicklungen im Alleingang fertig werden.
Vielleicht waren die Gipfel-Teilnehmer einfach zu müde, um sich wieder einmal völlig zu verkeilen - am Ende eines Jahres, angefüllt , mit immer nahe am Existentiellen entlang schrammenden Krisen, x Sondertreffen, Verhandlungsmarathons.
Eine Art Gruppentherapie in relativer Harmonie
Vielleicht war dieser Dezember-Gipfel aber auch vom Typ "Gruppentherapie" – der von fast allen geübte Versuch, einmal nicht hauptsächlich Fronten aufzubauen, bei Partikular-Interessen zu verharren. Stattdessen dem anders Denkenden zuzuhören. Wissend, dass es um die europäische Beziehungsgeschichte aktuell nicht besonders gut bestellt ist, dass sie gar auf dem Spiel stehen könnte.
Vielleicht war es aber einfach nur die vorübergehende beredte Stille vor dem nächsten Sturm. War die relative Harmonie, war die relative Kompromissbereitschaft, die die meisten - jedenfalls vor den Mikrofonen - demonstrierten nur dem geschuldet, dass es schlicht nichts zu entscheiden gab. Weder in Sachen Flüchtlingskrise und Europäisierung des Schutzes der Außengrenzen, noch in Sachen Reformwünsche aus Großbritannien. So konnte man sich, ‚gruppentherapeutisch' eben, über die hochgradig aufgeladenen anstehenden Entscheidungen vergleichsweise entspannt austauschen. In aller Unterschiedlichkeit der Sichtweisen.
Faymann: Solidarität ist keine Einbahnstraße
Um zu ahnen, dass der nächste Krach programmiert ist, brauchte man nur dem österreichischen Bundeskanzler Faymann zu lauschen, der ein richtiges, wenngleich politisch brisantes Wort offen aussprach: Solidarität ist keine Einbahnstraße. Wenn der passive Widerstand einiger EU-Länder gegen den Beschluss, dass sich alle an einer fairen Verteilung von Schutzsuchenden beteiligen, nicht abnimmt, könnten die Verweigerer erleben, dass die Diskussion an Fahrt aufnimmt, ob sie für ihre mangelnde Solidarität mit weniger Geldern aus den EU-Töpfen zu zahlen haben.
Ein wenig war dieser Gipfel auch eine Zensuren-Konferenz. Die Staats- und Regierungschefs haben sich in ihrer Schlusserklärung selbst ein mieses Zeugnis ausgestellt. Was die Umsetzung von Beschlüssen in den letzten Monaten, im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise und dem Anti-Terrorkampf angeht, ist das Klassenziel eindeutig nicht erreicht. Note Mangelhaft.
Die Physikerin, die deutsche Bundeskanzlerin ist, baut auf eine Beschleunigung bei der Umsetzung von Beschlüssen im Sinne einer Exponentialkurve. Einfacher ausgedrückt: aller Anfang ist schwer. Möge die Naturwissenschaft im EU-Alltag Bestand haben!
Ob Vorweihnachtsfrieden, Erschöpfung, Erkenntnis oder Gruppentherapie – was jetzt nicht entschieden werden konnte, drückt weiter. Kleiner werden die Probleme dabei nicht.