Große Schritte ohne Großbritannien
Eine gemeinsame Diagnose nach dem Brexit-Votum - das ist für EU-Ratspäsident Donald Tusk das Ziel des EU-Gipfels in Bratislava. Die Chancen stehen gut, dass es Bewegung in den Themen militärische Zusammenarbeit und Schutz der EU-Außengrenzen gibt - nicht aber in der Flüchtlingspolitik.
Die EU-Staats- und Regierungschefs wollen in Bratislava nach dem Brexit-Referendum ohne die Briten über die Zukunft der EU diskutieren. Aber um die künftigen Beziehungen zu den Briten soll es nach dem Willen von Ratspräsident Tusk, der den Gipfel vorbereitet hat und leitet, nicht gehen:
"Wir müssen in Bratislava zu einer gemeinsamen Diagnose der Lage der EU nach dem Brexit-Votum kommen. Wir müssen gemeinsame Ziele festlegen. Wir haben nicht vor, in Bratislava über das Vereinigte Königreich zu sprechen oder über unsere Verhandlungsstrategie gegenüber dem Vereinigten Königreich."
Denn – Mantra in der EU: Verhandelt wird erst, wenn die Briten Brüssel offiziell ihren Wunsch mitgeteilt habe, aus der EU auszutreten. Aber natürlich wird man sich im Kreise der 27, bevor die Verhandlungen losgehen, darüber abzustimmen haben, was Leitlinien und rote Linien sein sollen. Der Vorsitzende der EVP-Fraktion im EU-Parlament ist nicht der einzige, der dem heutigen 27er-Format – im Januar wird es ein weiteres auf Malta geben – auch etwas Positives abgewinnen kann:
"Vor dem Hintergrund, dass Bratislava ohne Großbritannien stattfindet, besteht die große Chance, deutlich zu machen, dass, gerade wenn Großbritannien nicht am Tisch sitzt, dass dann Europa vorangehen kann. Meine Fraktion erwartet sich vor allem in der Verteidigungspolitik, der äußeren Sicherheit der Europäischen Union einen großen Schritt."
Grundzüge der engeren militärischen Zusammenarbeit
Den dürfte es geben. Denn das Thema "Schutz der EU-Außengrenzen" ist noch eines der wenigen, bei dem momentan für eine engere Zusammenarbeit leicht Übereinstimmung herzustellen ist. Bulgarien hat Unterstützung für die Kontrolle seiner Landgrenze zur Türkei angefordert, durch Frontex, im Stadium des Aufbaus zu einem echten europäischen Grenzschutz befindlich. Die Staats- und Regierungschefs könnten sich einigen, wer wieviel der gewünschten 200 Grenzschützer und der 50 Fahrzeuge stellt.
Ebenso könnten sich Grundzüge der engeren militärischen Zusammenarbeit abzeichnen. Deutschland und Frankreich haben ein Konzept vorgelegt. Man ist sich einig, sagte der französische Präsident Hollande:
"Wenn es etwas gibt, wo wir übereinstimmen, dann ist es der Wille, sicherzustellen, dass Europa mehr für seine eigene Verteidigung tut. Frankreich wird seinen Teil übernehmen."
EU-Kommissionspräsident Juncker, auch in Bratislava dabei, hat sich das deutsch-französische Konzept vorgestern in seiner Rede zur Lage der Union zu eigen gemacht. Die Italiener wären auch dabei. Und, wenn nicht alle mitmachen, dann gehen die Willigen in der möglichen Form der verstärkten Zusammenarbeit voran.
Kein noch so kontroverses und schwieriges Thema vermeiden
Auch beim Anti-Terrorkampf dürfte sich einiges Gemeinsames finden lassen – etwa bei der engmaschigeren Kontrolle von Reisebewegungen in die und aus der EU, sowie innerhalb der Union. Aber dann hört es mit den gemeinsamen Vorstellungen auch schon ziemlich bald auf.
"Wenn Bratislava ein Erfolg werden soll, müssen wir vollkommen offen sein und dürfen kein noch so kontroverses und schwieriges Thema vermeiden."
Das fängt beim Thema Wachstum an. Denn es wünschen zwar alle, aber wie dabei das Verhältnis zwischen Investitionsförderung, staatlichen Konjunktur-Programmen einerseits und Haushaltsdisziplin und Strukturreformen andererseits zu justieren ist – da gehen die Meinungen schon wieder stark auseinander.
"Es ist das Prinzip der Europäischen Union, dass es unterschiedliche Meinungen gibt. Die müssen wir benennen. Darüber müssen wir reden und dann müssen wir vernünftige Lösungen finden."
Das größte Risiko ist die Zersplitterung
Findet Bundeskanzlerin Merkel – und weiß doch, dass es bei dem "schwierigen und kontroversen" Thema Flüchtlingsverteilung auf ganz Europa weiter unüberwindlich scheinende Meinungsverschiedenheiten innerhalb der EU gibt. Da ist Bewegung kaum zu erwarten, ebenso wenig wie Grundsatzentscheidungen – beispielsweise, ob aus dem Brexit-Votum die Schlussfolgerung zu ziehen ist, dass die EU-Staaten enger zusammenarbeiten müssen, um ihren Bürgern Handlungsfähigkeit zu beweisen. Oder ob sie – im Gegenteil – das Konzept des Handelns in manchen Bereichen wieder eher auf nationalstaatlicher Ebene sehen. Das eine in manchen Bereichen zu tun, ohne das andere in manchen Bereichen zu lassen – darauf scheint es faktisch hinauszulaufen. Und doch soll, das will nicht nur der französische Präsident, von Bratislava ein Signal des Zusammenhalts der EU-27 ausgehen.
"Das größte Risiko für die EU und im Übrigen auch für Nationalstaaten ist die Zersplitterung, ist Egoismus."