Ein Konzept für Europas Verteidigung
Europas Armeen sind zu schlecht organisiert, um den Kontinent effektiv verteidigen zu können, meint Sicherheitsexperte Christian Mölling. Die Regierungen sollten staatenübergreifende Konzepte entwickeln – auch, um Kosten zu sparen.
Europas 1,5 Millionen Soldaten sind zwar in weiten Teilen hochmodern ausgerüstet und bestens trainiert. Aber sie sind zu teuer und schlecht organisiert. Das liegt an den 28 Verteidigungsministern. Obwohl sie ihre Soldaten seit 20 Jahren nur noch gemeinsam in größere Einsätze schicken, pflegen sie das Thema "Verteidigung" immer noch als 28 nationale Vorgärten. Denn sie haben Angst, von ihren europäischen Partnern abhängig zu werden.
Doch diese Extravaganzen sind nicht mehr bezahlbar. Deshalb schrumpfen die Militärapparate der meisten europäischen Staaten rasant - um cirka 25 Prozent in den letzten fünf Jahren. Dabei werden die kleinen Staaten zu Spezialisten, wie etwa die Niederlande: Die gaben ihre Kampfpanzer zugunsten der Hubschrauber und Landungsschiffe auf. Die großen Staaten schaffen Bonsai-Armeen: militärisch ist zwar noch alles dran, aber in so geringer Menge, dass sie allein nichts mehr ausrichten können.
Durch die Kleinstaaterei nimmt die Abhängigkeit voneinander zu
Auch bei der Ausrüstung spart jeder für sich. Einerseits klaffen deshalb Lücken, etwa bei der finanziell aufwendigen Aufklärung. Andererseits wird weiter überflüssiges Material angehäuft, beispielsweise prestigereiche Kampfflugzeuge. Weil Europa zu wenig kooperiert, trifft die öffentliche Schuldenkrise nun auch die Rüstungsindustrie, wie der jüngste Stellenabbau bei EADS zeigt.
Die militärische Kleingärtnerei in Europa hat einen paradoxen Effekt: Genau die Abhängigkeit, die die Europäer zu vermeiden suchen, nimmt immer schneller zu. Ob sie es wollen oder nicht, die Europäer können nur noch gemeinsam bedeutsame Truppenelemente bereitstellen, egal ob zur Landesverteidigung oder für Auslandseinsätze, egal ob in der EU oder für die NATO.
Und Europa muss nun öfter allein klar kommen: Denn die USA wollen nicht mehr Lückenbüßer sein. Washington hat eigene Haushaltsprobleme und Alliierte im Pazifik, die dringender als Europa Unterstützung brauchen. Außerdem hat das Debakel mit der Aufklärungsdrohne Eurohawk Deutschen und Europäern vorgeführt, dass es auch sehr teuer werden kann, von den USA abhängig zu sein.
Europa ist also öfter allein zuhause. Da wäre Absprache über die Hausarbeit sinnvoll: Wer spezialisiert sich auf welche Aufgaben, damit nicht mehr alle alles haben müssen, aber im Notfall immer noch von jedem genügend bereitsteht?
Deutschlands Vorschlag würde die EU-Staaten handlungsfähiger machen
Deutschland hat dazu einen konkreten Vorschlag gemacht: Die europäischen Staaten bilden Gruppen aus kleineren und größeren Staaten. Die sprechen sich darüber ab, wer künftig welche Geräte und Truppen bereithält.
Die Führung dieses Clusters übernimmt die sogenannte Rahmennation, etwa Deutschland oder Frankreich. Sie bildet das militärische Rückgrat dieser Kooperationsgruppen, indem sie die Grundausstattung von dem sicherstellt, was militärisch gebraucht wird. Hier docken die kleineren Teilnehmer an. Sie erlauben dem ganzen Verbund, einen Einsatz länger durchzuhalten.
Wo ist der Haken - was haben die Staaten zu verlieren? Das gute Gefühl, im eigenen Kleingarten unabhängig und mächtig zu sein. Ein gutes Gefühl, aber eine Illusion. Zu gewinnen gäbe es Ehrlichkeit und Handlungsfähigkeit. Gegenseitige Abhängigkeit, die ja schon lange besteht, würde offengelegt: Mit ihr müssten die europäischen Regierungen umgehen, sie politisch regeln - und könnten sich und der Bevölkerung nicht mehr vormachen, eine jede sei für sich allein Garant nationaler Sicherheit.
Auch die Rüstungsindustrie wird aufgeben müssen, was ohnehin nicht mehr zu halten ist, nämlich eine rein nationale Produktion. Ohne Arbeitsteilung über Grenzen hinweg kommen auf Dauer sowieso nicht ausreichend Aufträge herein.
Was ist die Alternative zu gemeinsamer europäischer Verteidigung? Ein Europa der nationalen Kleingärten, in dem immer kleiner werdende Bonsai-Armeen stünden, die weder sich noch ihr Land, geschweige denn Europa verteidigen könnten - und von der Welt nicht ernstgenommen würden. Das hätte nichts mit militärischem Schutz zu tun.
Dr. Christian Mölling, geboren 1973 ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Projekteiter in der Forschungsgruppe "Internationale Sicherheitspolitik” an der Stiftung Wissenschaft und Politik.
Seine Forschungs- und Beratungsschwerpunkte liegen in den Bereichen deutscher und europäischer Rüstungssektor, Verteidigungspolitik, -kooperation und Streitkräftestrukturen der EU-Staaten. Er leitet das vierjährige Projekt "European Defence Monitoring - Continuous Collection and Analysis of Open Source Defence and Military Capabilities Data".
Zuvor arbeitete er am Center for Security Studies der ETH Zürich, in der Foundation pour la Recherche Stratégique (FRS) in Paris, der Ständigen Vertretung Deutschlands bei der EU in der Abteilung Militärpolitik in Brüssel, am Royal United Services Institute in London, am European Union Institute for Security Studies in Paris, für das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH), Hamburg und für das Deutsche Institut für Menschenrechte in Berlin.