EU-Grenzschutz

Geteilte oder doppelte Souveränität?

Nach dem Willen der EU-Kommission soll es eine übergreifende Grenzschutztruppe geben.
Nach dem Willen der EU-Kommission soll es eine übergreifende Grenzschutztruppe geben. © Robert Ghement, dpa picture-alliance
Von Annette Riedel, Studio Brüssel |
Ein gemeinsamer europäischer Grenzschutz, der notfalls ohne Zustimmung des betroffenen Landes agiert, sei an sich keine schlechte Idee, findet Annette Riedel. Damit das aber die Betroffenen nicht als Schmähung empfänden, bedürfe es noch an Überzeugungsarbeit.
Geteilte Souveränität ist halbe Souveränität. Oder ist geteilte Souveränität doppelte Souveränität? Das hängt nicht zuletzt meist vom schönen Wörtchen "freiwillig" ab. Wer freiwillig seine Souveränität mit anderen teilt, wird das als Stärkung empfinden. Verordnet wird es leicht als Schwächung empfunden.
Das ist die Crux an den Vorschlägen der EU-Kommission, in Teilen von Paris und Berlin erdacht, aus der Not des unkontrollierten Zustrom von Flüchtlingen geboren. Und aus der Angst vor potentiellen Terroristen, die sich - und sei es in noch so verschwindend kleiner Zahl - unter Asylbewerber mischen könnten.
Europäische Grenzen brauchen gemeinsamen Schutz
Im Kern sind die Pläne, die die EU-Kommission heute für einen Europäischen Grenz- und Küstenschutz vorgelegt hat, eine Art "Lex Griechenland". So verständlich in ihrer noch immer akuten Krisensituation die Probleme der Griechen sein mögen, ihre EU-Außengrenze wirksam zu kontrollieren, so sehr sind darüber die griechischen Probleme längst zu europäischen geworden. Grenzzäune, Grenzkontrollen dort, wo an den EU-Binnengrenzen eigentlich keine sein sollen, sind die Folge.
Griechenland, Italien, Polen und andere haben die Verantwortung für den Schutz der gemeinsamen EU-Grenzen auf Basis freiwilliger Verabredungen im Schengen-Raum übernommen. Die EU-Länder haben also die Souveränität über die Kontrolle ihrer Grenzen längst weitgehend an einige unter ihnen delegiert. Sie wollen und müssen sich darauf verlassen können, dass die Kontrolle dort funktioniert, um auf eigene Kontrollen zu verzichten.
Es ist nicht nachvollziehbar, warum Griechenland viel zu lange gezögert hat, sich – freiwillig – europäische Hilfe zu holen. Athen hat damit sehenden Auges das Schengen-System riskiert. Insofern ist es an sich verständlich, dass Europa Hilfe im Falle von Mängeln, die alle angehen, verordnen können möchte.
Viele werden sich von Brüssel gegängelt fühlen
Aber der Widerstand dagegen, wie er sich in manchen süd-, ost- und mitteleuropäischen Ländern schon manifestiert, dürfte deutlich sein. Brüssel wüchse ein erhebliches Maß an Einfluss zu. Das kann man wollen. Das werden manche Länder unter keinen Umständen wollen.
Der Ansatz, einem Land in Ausnahmesituationen an seinen Grenzen Hilfe zur Seite zu stellen, ob es das nun will oder nicht, ist zwar richtig. Aber er wird bei einigen dazu führen, sich einmal mehr von Brüssel gegängelt zu fühlen.
Wie vielen das unter den Mitgliedsländern so sauer aufstößt, dass sie letztlich die Zustimmung zu einem europäisierten Grenzschutz verweigern, wird entscheidend sein. Eine Gruppe Unwilliger kann das Vorhaben noch stoppen, wenn sie groß genug ist.
"Überstimmte" reagieren unwillig
Wie wenig kooperativ "Überstimmte" andererseits reagieren, kann man bei der mehrheitlich beschlossenen Verteilung von Flüchtlingen aus Griechenland und Italien auf alle EU-Länder sehen. Zu behaupten, sie liefe schleppend, wäre eine grobe Untertreibung.
Ein gemeinsamer Europäischer Grenzschutz ist unterm Strich eine gute Idee, die allerdings mit ihrem Nebeneinander von nationalen und europäischen Strukturen den Praxistest noch zu bestehen hat.
Damit Warschau, Athen, Budapest und andere aber geteilte Souveränität an ihren Grenzen als notwendige Stärkung Europas und nicht als schmachvolle Schwächung der Hauptstädte empfinden, wird es in jedem Fall noch einiges an Überzeugungsarbeit zu leisten gelten.
Aber man mache sich nichts vor: Die Flüchtlingskrise wird auch mit einem allseits akzeptierten europäischen Grenzschutz nicht gelöst.
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