Alle Macht dem Europaparlament!
Die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot betrachtet die osteuropäischen Gesellschaften als zerrissen - und schwer beschäftigt mit einem Streit um grundsätzliche Werte. Den Westeuropäern gibt sie eine Mitschuld: "Es sind Fehler gemacht worden."
Bundeskanzlerin Merkel hat heute in ihrer Regierungserklärung Pläne und Aufgaben der nächsten vier Jahre skizziert. Ein Politikfeld, auf dem die Kanzlerin garantiert oft unterwegs sein wird, ist Europa. Es wird ihr, so viel ist jetzt schon klar, viel Geduld abverlangen.
In Frankreich plant Macron einen "Großen Marsch für Europa", Polen hat erneut Änderungen an den umstrittenen Justizreformen abgelehnt, trotz drohender EU-Sanktionen. Dazwischen ist viel Raum - wird Merkel den künftig ausfüllen?
Die Justizreform in Polen sei eine "große Katastrophe" und hebele die Rechtsstaatlichkeit aus, sagte die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot im Deutschlandfunk Kultur. Und die EU habe keine Handhabe, weil die Frage der Souveränität auf europäischer Ebene nicht entschieden worden sei. Die EU habe eben kein "legitimes Gewaltmonopol".
Den Bürgern den Einfluss zurückgeben
Wenn man aber den politischen Prozess beleuchte, müsse man die Frage stellen: "Wie kommen die Polen darauf?", fragte Guérot. Man könne die Osteuropäer nicht immer als Zweite-Klasse-Europäer behandeln, warnte sie. "Wir gucken immer nur auf das Heute und warum die Polen sich nicht benehmen, wir gucken nicht so gerne darauf, was wir vielleicht dazu beigetragen haben."
In Bezug auf die Ukraine und Russland gilt das Guérot zufolge ebenfalls. Sie sieht eine "Regression" im Wertebereich in Osteuropa - und gespaltene Gesellschaften. Europa, so ihre Antwort darauf, müsse parlamentarisiert werden. "Ich will den Bürgern den Einfluss zurückgeben", sagte sie: "Eine Stimme, eine Person." Das Europäische Parlament müsse auf diese Weise gewählt werden und dann die politischen Fragen entscheiden - "und nicht der Rat". (ahe)