Schlechte Chancen für eine Asylreform
Eine ungleiche Verteilung von Flüchtlingen unter den EU-Staaten und unterschiedliche Standards: Der Reformbedarf für das europäische Asylsystem sei gewaltig, meint Jörg Münchenberg. Doch der Plan, den die EU-Kommission nun vorgelegt hat, komme zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt.
Die EU muss ihr Asylsystem dringend reformieren. Spätestens die Flüchtlingskrise hat gezeigt: Das bisherige Verfahren ist nicht mehr praxistauglich. Es belastet einseitig die Mittelmeeranrainer an den europäischen Außengrenzen. Denn nach dem geltenden Dublin-Recht müssen Flüchtlinge zuerst in dem Land Asylschutz beantragen, in dem sie zuerst europäischen Boden betreten haben. Ein solches System aber muss versagen, wenn täglich bis zu 10.000 Menschen in Europa Schutz suchen, so wie im letzten Herbst und Anfang 2016 geschehen.
Doch nicht nur Dublin ist längst überholt, auch bei der Durchführung der Asylverfahren gibt es innerhalb der EU eine enorme Schieflage. Trotz bestehender EU-Richtlinien, die etwa die die Unterbringung und Versorgung der Asylsuchenden oder auch die Standards für die Asylverfahren selbst regeln. Doch während sich manche Mitgliedsländer daran halten, schieben andere fast ausnahmslos Flüchtlinge ab oder verweigern eine menschenwürdige Unterbringung.
Letztlich spielt es keine Rolle, ob die einzelnen Mitgliedstaaten nicht liefern können oder ob es sich um eine gezielte Missachtung bestehender Vorgaben handelt. Die Richtlinien müssen dringend reformiert und vor allem harmonisiert werden, um das sogenannte "Asylshopping" zu verhindern. Denn Flüchtlinge weichen natürlich dahin aus, wo sie die größten Chancen für eine Anerkennung und eine ordentliche Behandlung durch die Behörden erwarten können.
Widerstand gegen noch mehr Zentralisierung
Der Reformbedarf für das europäische Asylsystem ist also gewaltig. Darauf hat die EU-Kommission mit ihren heutigen Vorschlägen endlich reagiert. Und doch könnte der Zeitpunkt kaum ungünstiger gewählt sein, denn es sind schlechte Zeiten für Reformen. Die Flüchtlingskrise, gleichwohl ein europäisches Problem, dass auch nur europäisch gelöst werden kann, hat die EU erheblich geschwächt.
Nationale Empfindlichkeiten und Interessen – nicht zuletzt bei den Staaten Mittel- und Osteuropas – sind derzeit tonangebend und politikbestimmend. Noch mehr Zentralisierung und Harmonisierung, wie jetzt von Brüssel für das Asylrecht sinnvollerweise angedacht, dürften also auf massive Widerstände hin bis zur offenen Ablehnung stoßen. Die Kommission hat darauf zwar reagiert und deshalb zunächst nur Vorschläge als Diskussionsgrundlage präsentiert, bevor sie dann bis zum Sommer die entsprechenden Gesetzesvorschläge nachschieben wird. Doch ob diese Strategie – vielleicht auch aus Rücksicht angesichts des anstehenden Referendums in Großbritannien über den Verbleib in der EU – aufgehen wird, ist offen.
Letztlich sind es allein die Mitgliedstaaten, die über die Zukunft der europäischen Asylpolitik entscheiden müssen. Die Einführung von verbindlichen Quoten wäre der richtige Weg. Bedauerlicherweise spricht aber viel dafür, dass es am Ende wieder nur für notdürftige Reparaturen reichen wird, obwohl doch eigentlich das gesamte Asylsystem dringend überholt werden müsste.