EU-Politiker Leinen fordert Kennzeichnung von Lebensmittelimitaten
Der saarländische SPD-Europaabgeordnete Jo Leinen hat eine Kennzeichnungspflicht für Lebensmittelimitate gefordert. Hier bestehe Nachholbedarf sagte Leinen, der im EU-Parlament für Lebensmittelsicherheit zuständig ist.
Hanns Ostermann: Die Mehrheit der Deutschen ist für die Ampel – für rot, gelb und grün, ganz im Ernst. Allerdings sind damit nicht die politischen Parteien gemeint, es geht um die Kennzeichnung der Lebensmittel. Knapp zwei Drittel der Befragten, so eine Umfrage von foodwatch, wollen diese Ampel. Rot steht für einen hohen Gehalt an Fett, Salz oder Zucker, gelb für einen mittleren und grün für einen niedrigen Nährstoffgehalt. Für viele wäre das eine notwendige Einkaufshilfe, andere lehnen sie ab: Ernährung könne nicht auf drei Farben reduziert werden. Die Europäische Union hat jetzt einen Verordnungsentwurf vorgelegt, in der die Kennzeichnung von Lebensmitteln festgeschrieben wird. Von der Ampel ist da keine Rede. Ist das also das Aus für rot, gelb und grün? Ich möchte darüber mit Jo Leinen von der SPD sprechen, er ist Vorsitzender des Ausschusses für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit im EU-Parlament. Guten Morgen, Herr Leinen!
Jo Leinen: Guten Morgen, Herr Ostermann!
Ostermann: Warum stößt die Ampel in Brüssel auf so harten Widerstand?
Leinen: Die Nahrungsmittelindustrie hat kräftig Lobby betrieben, die wollen das nicht und haben sich insofern durchgesetzt, dass die Ampel im Moment nicht verpflichtend kommt. Die Mitgliedsländer müssten eine Ausnahmegenehmigung dafür beantragen.
Ostermann: Und diese Ausnahmegenehmigung, die müsste dann Deutschland beantragen, beispielsweise also eine Art Öffnungsklausel?
Leinen: Ja. Großbritannien hat das schon getan, da gibt es die Ampel. Wer dort in einen Supermarkt geht, der findet diese Rot-gelb-grün-Kennzeichnungen auf den Lebensmitteln. Das läuft dort hervorragend, die Verbraucher sind zufrieden und wie man sieht, die Ernährungsindustrie ist nicht untergegangen, sondern floriert.
Ostermann: Sind Sie selbst eigentlich auch ein Anhänger dieser Farben Rot, Gelb und Grün auf den Lebensmitteln, denn es ist ja durchaus auch umstritten? Die Gegner sagen, dass man die Ernährung nicht auf so einfache Nenner bringen kann.
Leinen: Wir wissen schon, wie viel Salz, wie viel Zucker, wie viel Kohlenhydrate man am Tag einnehmen soll, um gesund zu leben und wir wissen auch, dass massenhaft davon abgewichen wird – einmal, weil die Lebensmittel, die man zum täglichen Konsum nimmt, zu viel Salz, zu viel Fett, zu viel Zucker haben, der Verbraucher das nicht erkennen kann, weil natürlich mit Geschmacksverstärkern es auch angenehm ist, davon viel zu essen, und wer wirklich die enormen Gesundheitskosten reduzieren will, die wir haben, der muss etwas bei der Ernährung tun, und hier ist Verbraucherinformation sicherlich ein Schlüsselelement.
Ostermann: Verbraucherinformation – die Frage ist doch auch, ob die Industrie nicht möglicherweise auf freiwilliger Ebene etwas tut. Welchen Eindruck haben Sie da?
Leinen: Ich habe den Eindruck, dass sie das nicht macht, weil die Industrie will verkaufen, und Süßwaren, Salzstangen und auch Fette, das lässt sich gut verkaufen, weil man das auf der Zunge auch wohltuend empfindet, und das Problem ist, dass wir dann alle davon sehr oft zu viel essen. Und diese Nährwertprofile auf den Verpackungen sollen doch einen Hinweis geben, was pro Tag oder pro Portion normal wäre und was darüber hinausgeht. Die Nährwertprofile werden ja vorgeschrieben, das ist dann die Kennzeichnung im Vorderfeld einer Verpackung, nur: Das ist für viele auch schon zu kompliziert und deshalb wollte man sich ein einfaches System ausdenken. Rot, gelb, grün, das kennen die Menschen und das wäre sicherlich ein einfacher Hinweis, da ist zu viel drin, da ist normal drin und das ist völlig unbedenklich.
Ostermann: Überhaupt noch nicht gesprochen haben wir über die Lebensmittelimitate. Da gibt es den Analogkäse oder Schokoladenkekse ohne Schokolade. Wie wollen Sie dieses Problem in den Griff bekommen?
Leinen: Ja, das ist ein Sonderproblem, was dringend geregelt werden muss, da wird Schindluder getrieben im großen Ausmaß und viel, viel Geld wirklich verdient. Die Politik muss da ran und muss da die Kennzeichnungspflicht auch durchsetzen, dass in der Pizzeria einfach auch deklariert wird, wir haben keinen Normalkäse, sondern Analogkäse, und im Wurstgeschäft oder auch noch mal in der Pizzeria gesagt wird, unser Schinken ist kein Schinken, sondern Pressschinken mit viel Gel und Wasser. Da haben wir Nachholbedarf, das muss kommen, es ist völlig unmöglich, dass der Verbraucher da an der Nase rumgeführt wird.
Ostermann: Es ist ja ein unheimlich langes Prozedere, bislang gibt es für diesen Entwurf, über den wir gesprochen haben, so um die 1000 Änderungsanträge. Wann rechnen Sie eigentlich mit der Verabschiedung?
Leinen: Nach der Sommerpause wird das neue Europäische Parlament, mein Ausschuss, der Ausschuss für Umwelt- und Gesundheitsschutz wird sich da wieder mit beschäftigen müssen. Im September, Oktober werden wir da rangehen. Ich glaube, Bedarf ist da, weil wir die Kosten kennen und die millionenfachen Erkrankungen durch Fehlernährung kennen. Es wird dann nach wie vor nicht verboten, etwas mit mehr Salz, Zucker oder Fetten anzubieten, aber der Konsument, der Verbraucher, die Eltern für ihre Kinder, alte Leute bekommen doch einen einfachen Hinweis: Wenn ich davon jetzt zu viel esse, dann bin ich gefährdet für meine Gesundheit. Und ich glaube, das sind wir den Verbrauchern schuldig.
Ostermann: Aber warum torpediert Ihr Ausschuss nicht den Entwurf der EU-Kommission? Das wäre doch auch möglich.
Leinen: Auch im Umweltausschuss des Parlaments gab es mächtige Kontroversen, wie viele Nährwertprofile wir fordern. Die Kommission hatte fünf Substanzen genannt, das Parlament ist schon auf acht gekommen, da sind noch drei dazugebracht worden. Und letztendlich konnte man sich in der letzten Phase der alten Legislaturperiode nicht mehr einigen. Dieser Entwurf kommt jetzt im Herbst noch mal auf den Tisch und da werden die Karten auch noch mal neu gemischt.
Ostermann: Aber um das noch mal zu unterstreichen: Deutschland könnte eine Öffnungsklausel beantragen, und wenn der politische Wille in Berlin da wäre, könnte man hier in Deutschland auch für eine Ampel auf Lebensmitteln sorgen?
Leinen: Genau so, und ich bin enttäuscht von Frau Aigner, der neuen Landwirtschafts- und Verbraucherministerin, als sie im Oktober letzten Jahres ihr Amt angetreten ist, war sie eigentlich sehr positiv zur Ampel, mittlerweile ist sie wohl so unter Druck der Ernährungsindustrie, dass sie sich dagegen ausspricht. Aber die Verbraucherschützer, die Mehrheit der Menschen will das, und ich glaube, was eine gute Idee ist, was richtig ist, wird sich auch kurzfristig und mittelfristig durchsetzen.
Ostermann: Der Vorsitzende des Ausschusses für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit im EU-Parlament, Jo Leinen von der SPD. Herr Leinen, danke Ihnen für das Gespräch!
Leinen: Auf Wiederhören!
Jo Leinen: Guten Morgen, Herr Ostermann!
Ostermann: Warum stößt die Ampel in Brüssel auf so harten Widerstand?
Leinen: Die Nahrungsmittelindustrie hat kräftig Lobby betrieben, die wollen das nicht und haben sich insofern durchgesetzt, dass die Ampel im Moment nicht verpflichtend kommt. Die Mitgliedsländer müssten eine Ausnahmegenehmigung dafür beantragen.
Ostermann: Und diese Ausnahmegenehmigung, die müsste dann Deutschland beantragen, beispielsweise also eine Art Öffnungsklausel?
Leinen: Ja. Großbritannien hat das schon getan, da gibt es die Ampel. Wer dort in einen Supermarkt geht, der findet diese Rot-gelb-grün-Kennzeichnungen auf den Lebensmitteln. Das läuft dort hervorragend, die Verbraucher sind zufrieden und wie man sieht, die Ernährungsindustrie ist nicht untergegangen, sondern floriert.
Ostermann: Sind Sie selbst eigentlich auch ein Anhänger dieser Farben Rot, Gelb und Grün auf den Lebensmitteln, denn es ist ja durchaus auch umstritten? Die Gegner sagen, dass man die Ernährung nicht auf so einfache Nenner bringen kann.
Leinen: Wir wissen schon, wie viel Salz, wie viel Zucker, wie viel Kohlenhydrate man am Tag einnehmen soll, um gesund zu leben und wir wissen auch, dass massenhaft davon abgewichen wird – einmal, weil die Lebensmittel, die man zum täglichen Konsum nimmt, zu viel Salz, zu viel Fett, zu viel Zucker haben, der Verbraucher das nicht erkennen kann, weil natürlich mit Geschmacksverstärkern es auch angenehm ist, davon viel zu essen, und wer wirklich die enormen Gesundheitskosten reduzieren will, die wir haben, der muss etwas bei der Ernährung tun, und hier ist Verbraucherinformation sicherlich ein Schlüsselelement.
Ostermann: Verbraucherinformation – die Frage ist doch auch, ob die Industrie nicht möglicherweise auf freiwilliger Ebene etwas tut. Welchen Eindruck haben Sie da?
Leinen: Ich habe den Eindruck, dass sie das nicht macht, weil die Industrie will verkaufen, und Süßwaren, Salzstangen und auch Fette, das lässt sich gut verkaufen, weil man das auf der Zunge auch wohltuend empfindet, und das Problem ist, dass wir dann alle davon sehr oft zu viel essen. Und diese Nährwertprofile auf den Verpackungen sollen doch einen Hinweis geben, was pro Tag oder pro Portion normal wäre und was darüber hinausgeht. Die Nährwertprofile werden ja vorgeschrieben, das ist dann die Kennzeichnung im Vorderfeld einer Verpackung, nur: Das ist für viele auch schon zu kompliziert und deshalb wollte man sich ein einfaches System ausdenken. Rot, gelb, grün, das kennen die Menschen und das wäre sicherlich ein einfacher Hinweis, da ist zu viel drin, da ist normal drin und das ist völlig unbedenklich.
Ostermann: Überhaupt noch nicht gesprochen haben wir über die Lebensmittelimitate. Da gibt es den Analogkäse oder Schokoladenkekse ohne Schokolade. Wie wollen Sie dieses Problem in den Griff bekommen?
Leinen: Ja, das ist ein Sonderproblem, was dringend geregelt werden muss, da wird Schindluder getrieben im großen Ausmaß und viel, viel Geld wirklich verdient. Die Politik muss da ran und muss da die Kennzeichnungspflicht auch durchsetzen, dass in der Pizzeria einfach auch deklariert wird, wir haben keinen Normalkäse, sondern Analogkäse, und im Wurstgeschäft oder auch noch mal in der Pizzeria gesagt wird, unser Schinken ist kein Schinken, sondern Pressschinken mit viel Gel und Wasser. Da haben wir Nachholbedarf, das muss kommen, es ist völlig unmöglich, dass der Verbraucher da an der Nase rumgeführt wird.
Ostermann: Es ist ja ein unheimlich langes Prozedere, bislang gibt es für diesen Entwurf, über den wir gesprochen haben, so um die 1000 Änderungsanträge. Wann rechnen Sie eigentlich mit der Verabschiedung?
Leinen: Nach der Sommerpause wird das neue Europäische Parlament, mein Ausschuss, der Ausschuss für Umwelt- und Gesundheitsschutz wird sich da wieder mit beschäftigen müssen. Im September, Oktober werden wir da rangehen. Ich glaube, Bedarf ist da, weil wir die Kosten kennen und die millionenfachen Erkrankungen durch Fehlernährung kennen. Es wird dann nach wie vor nicht verboten, etwas mit mehr Salz, Zucker oder Fetten anzubieten, aber der Konsument, der Verbraucher, die Eltern für ihre Kinder, alte Leute bekommen doch einen einfachen Hinweis: Wenn ich davon jetzt zu viel esse, dann bin ich gefährdet für meine Gesundheit. Und ich glaube, das sind wir den Verbrauchern schuldig.
Ostermann: Aber warum torpediert Ihr Ausschuss nicht den Entwurf der EU-Kommission? Das wäre doch auch möglich.
Leinen: Auch im Umweltausschuss des Parlaments gab es mächtige Kontroversen, wie viele Nährwertprofile wir fordern. Die Kommission hatte fünf Substanzen genannt, das Parlament ist schon auf acht gekommen, da sind noch drei dazugebracht worden. Und letztendlich konnte man sich in der letzten Phase der alten Legislaturperiode nicht mehr einigen. Dieser Entwurf kommt jetzt im Herbst noch mal auf den Tisch und da werden die Karten auch noch mal neu gemischt.
Ostermann: Aber um das noch mal zu unterstreichen: Deutschland könnte eine Öffnungsklausel beantragen, und wenn der politische Wille in Berlin da wäre, könnte man hier in Deutschland auch für eine Ampel auf Lebensmitteln sorgen?
Leinen: Genau so, und ich bin enttäuscht von Frau Aigner, der neuen Landwirtschafts- und Verbraucherministerin, als sie im Oktober letzten Jahres ihr Amt angetreten ist, war sie eigentlich sehr positiv zur Ampel, mittlerweile ist sie wohl so unter Druck der Ernährungsindustrie, dass sie sich dagegen ausspricht. Aber die Verbraucherschützer, die Mehrheit der Menschen will das, und ich glaube, was eine gute Idee ist, was richtig ist, wird sich auch kurzfristig und mittelfristig durchsetzen.
Ostermann: Der Vorsitzende des Ausschusses für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit im EU-Parlament, Jo Leinen von der SPD. Herr Leinen, danke Ihnen für das Gespräch!
Leinen: Auf Wiederhören!