Schlechte Karten für den Vogelschutz?
Wie wirksam sind die Vogelschutzrichtlinien der EU? Das prüft die EU-Kommission zurzeit, denn der Wildvogelbestand in Deutschland geht zum Teil dramatisch zurück. Zudem fordern Bauern- und Waldverbände eine Lockerung der Schutzbestimmungen.
Ein sonniger Vormittag im Mai in einem Laubwald bei Falkensee. Die Vogelmännchen wetteifern im Balzgesang.
"Mit dem Gesang wird dargestellt die Kraft, die Qualität des Reviers, dann die Nahrungsqualität, das sind die Hauptargumente der Männchen. Immer sagen: Ich bin der Größte. Das ist wie bei den Männern auch so."
(Buchfinkgezwitscher)
"Das ist ein Buchfink hier links, der sagt, hier Mädels, jetzt wäre ich soweit. (lacht)"
Der Hobby-Ornithologe Lars Friman notiert jeden Vogel, den er hört, in einer Tabelle. Zwei Stunden ist er unterwegs auf einem fest vorgeschrieben, vier Kilometer langem Weg. An dem Monitoring beteiligen sich deutschlandweit gut 5000 ehrenamtliche Vogelkundler.
"Die Kartierungen sind viermal im Jahr: Ende März, wo die ersten Zugvögel hier ankommen, und dann April, Mai, in der Hauptbrutzeit, und dann im Juni ist alles schon vorbei und ab Juli hört man kaum Vogelgesang."
(Vogelgesang)
"Das ist die Zilpzalp. Der brütet auf dem Boden."
"Eine schleichende Katastrophe"
Auf seinen Rundgängen entdeckt Lars Friman rund 70 verschiedene Arten, erzählt er. Doch die Vielfalt täuscht. Der Dachverband Deutscher Avifaunisten veröffentlicht jedes Jahr die deutschlandweiten Kartierungsdaten, und die zeigen seit langem ein erschreckendes Bild. Konstantin Kreiser vom Bundesverband des NABU bestätigt das:
"Leider haben wir es tatsächlich mit einer schleichenden Katastrophe zu tun. Von unseren knapp 250 heimischen Brutvogelarten nimmt jede dritte Art deutlich ab. Und das Fatale ist, dass es vor allem ehemals häufige Singvogelarten betrifft, zum Beispiel die Feldlerche, der Stieglitz, aber auch das Rebhuhn, das ist zu 95 Prozent eingebrochen im Bestand oder auch der Star. Wir haben 2,5 Millionen Stare verloren. Und auch unser Haussperling hat ein Viertel seines Bestandes eingebüßt in den letzten 25 Jahren."
Seit Ende der 1980er-Jahre verschwanden deutschlandweit rund 22 Millionen Vögel. Viele Zugvögel sind betroffen, denn Millionen von ihnen werden am Mittelmeer gefangen und gegessen. Die meisten landen in riesigen Netzen, die an den Stränden von Ägypten stehen. Doch auch in Deutschland sind die Tiere bedroht. Viele verhungern.
"Es gibt einzelne Studien, die zeigen, dass in den letzten Jahrzehnten die Zahl der kleinen Insekten, die man klassischerweise immer an der Windschutzscheibe des Autos gefunden hat, um zwei Drittel bis 90 Prozent zurück gegangen sind. Das heißt, die Vögel haben nicht mehr genug Nahrung, um ihre Jungen zu füttern und deswegen ist der Bruterfolg katastrophal gering."
Experten vermuten, dass der Einsatz von Pestiziden für den Rückgang der Insekten verantwortlich ist, vor allem die hochwirksamen Neonicotinoide sind in der Diskussion. Seit den 1990er Jahren kamen sie verstärkt auf Ackerflächen zum Einsatz. Das könnte erklären, warum vor allem Vögel auf dem Land leiden, während ihre Zahl in Großstädten und Wäldern weniger zurückgeht. Bedrohte Agrararten sind zum Beispiel die Wiesenweihe, der Kiebitz oder die Feldlerche.
Ihren Gesang konnte man früher auf fast jedem Feld hören. Schon seit den 1970er-Jahren geht der Bestand zurück. Damals begann die Intensivierung der Landwirtschaft. Die Äcker wurden größer, viele Hecken und Feldwege verschwanden, die Insekten und Vögeln Nahrung boten, erzählt Johannes Schwarz vom Dachverband Deutscher Avifaunisten.
"Früher blieben auch die Stoppelfelder übrig, die dann auch im Winter noch Nahrung boten, aber Stoppelfelder werden heute kaum noch belassen, sondern untergepflügt und dann Wintergetreide eingesät. Und es kamen neue Geschäftsfelder dazu: Das ist Maisanbau für Biogasanlagen oder Raps für Biodiesel, und damit wurden Flächen, die bisher nicht genutzt wurden, wieder unter den Pflug genommen. Und von daher haben sich die Bedingungen für die Vogelarten, die auf Offenland angewiesen sind, sehr deutlich verschlechtert."
EU-Parlament und Umweltrat gegen eine Änderung der Richtlinien
Um Vögel zu schützen, einigten sich die EU-Staaten bereits 1979 auf eine EU-Vogelschutzrichtlinie. Sie schränkt die Jagd auf bedrohte Arten ein und regelt Schutzgebiete. Die Richtlinie zeigte durchaus Wirkung. Seltene Vögel konnten sich erholen. Dazu gehören der Kranich, der Seeadler, der Wanderfalke oder zum Beispiel die Großtrappe, deren Ruf hört sich so an.
(Großtrappenruf)
"Die Großtrappe ist der schwerste flugfähige Vogel und wurde durch die intensive Landwirtschaft fast zum Aussterben gebracht. Jetzt hat man seit 1990 in Brandenburg und Sachsen-Anhalt an drei verschiedenen Standorten wieder Großtrappen-Kolonien aufgebaut."
Trotz solcher Erfolge hat die EU-Kommission im Oktober 2014 begonnen, die Vogelschutzrichtlinie und die so genannte Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie in einem Fitness-Check zu prüfen. Vor allem Bauern- und Waldverbände hatten darauf gedrängt. Sie fühlten sich durch den Artenschutz zu sehr benachteiligt, denn Schutzgebiete verlangen Brachen und Wiesen, Dünger und Pestizide dürfen nur wenig zum Einsatz kommen. Das europäische Parlament sowie der EU-Umweltrat sprachen sich für den Erhalt der Richtlinien aus. Ob sie trotzdem neu verhandelt werden sollen, wird die EU-Kommission in den kommenden Wochen entscheiden.
"Wenn die Richtlinien neu verhandelt werden, beginnt eine jahrelange Schlacht um einzelne Paragrafen und Artikel. Wir würden viele Jahre für den Naturschutz verlieren. Und wenn man mit 28 Mitgliedsstaaten neue Gesetze macht, dann kann man sich vorstellen, dass das Ergebnis nicht unbedingt im Sinne des Umweltschutzes wesentlich fortschrittlicher ist."
Vogelschützer fordern finanzielle Anreize für Landwirte
Nicht die Richtlinien seien das Problem, sondern deren Umsetzung, betonen Umweltschutzverbände. Gegen Deutschland läuft zum Beispiel derzeit ein Vertragsverletzungsverfahren der EU, weil die Bundesländer die geforderten Schutzgebiete nicht ausreichend umsetzen. Es fehlt an Managementplänen und deren Überwachung. Die alleine reichen aber nicht, meint Konstantin Kreiser:
"Wenn wir die Krise der Vogelwelt in Deutschland lösen wollen, müssen wir an die EU-Agrarpolitik ran. Im Moment werden ein großer Teil der Subventionen per Gießkanne pro Hektar an die Landwirte ausgezahlt. Egal, was sie auf ihrem Feld machen, bekommt man die Flächenprämie, die bis zu 300 Euro pro Hektar beträgt. Nur ein kleiner Teil des europäischen Geldes wird gezielt dafür verwendet, Landwirte zu belohnen, die zum Beispiel eine Hecke stehen lassen, die später oder seltener mähen, die weniger Dünger verwenden usw. Im Grunde müsste es anders herum sein."
Landwirte müssten finanziell mehr belohnt werden, wenn sie Natur- und Vogelschutz betreiben. Rund 100 europäische Umwelt- und Verbraucherverbände haben darum im März dieses Jahres die EU-Kommission aufgefordert, die Agrarsubvention im Sinne des Artenschutzes zu reformieren.
"Denn unsere Naturschutzgesetze sind fit, die Agrarpolitik ist es nicht."