EU-Russland-Gipfel

"Die Stimmung ist schlecht"

Knut Fleckenstein im Gespräch mit Nana Brink |
Europa könne kein Interesse daran haben, dass sich die Situation in der Ukraine verschärft, sagte der Europapolitiker Knut Fleckenstein. Der Sozialdemokrat sieht die Gefahr eines Bürgerkrieges am Rand der EU.
Nana Brink: Welche Rolle spielt eigentlich die EU noch im Konflikt in der Ukraine, und welche Rolle spielt Russland? Anlässlich der Unruhen war ja die Weigerung der Regierung Janukowitsch, das lange verhandelte Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine zu unterzeichnen, auf Druck Moskaus. Dann flammten die proeuropäischen Proteste auf, wobei sich in die Opposition immer mehr auch gewalttätige und nationalistische Töne mischten.
Heute will das Parlament in der Ukraine in einer Sondersitzung über diese Krise beraten, und die wird auch auf dem heutigen EU-Russland-Gipfel in Brüssel ein sehr großes Thema sein. Doch die Gesprächsatmosphäre ist vergiftet, gerade weil man sich ja in Sachen Ukraine überhaupt nicht einig ist. Wer kann wie vermitteln? Knut Fleckenstein sitzt für die SPD im Europaparlament, da ist er Vorsitzender der EU-Russland-Delegation des Europaparlaments. Schönen guten Morgen, Herr Fleckenstein!
Knut Fleckenstein: Guten Morgen, Frau Brink!
Brink: Wie schätzen Sie denn die Stimmung ein zwischen EU und Russland, wenn die sich heute begegnen, wenn Putin nach Brüssel reist?
Fleckenstein: Na ja, der Gipfel ist ja etwas abgekürzt worden, um es nett zu formulieren, auf drei Stunden, wie ich gehört habe. Die Stimmung ist schlecht. Die Stimmung ist deshalb schlecht, weil, wir nennen uns strategische Partner. Und Strategie oder strategische Partner definieren sich durch gemeinsame Ziele und gemeinsame Verantwortung. Und davon ist im Moment wohl nicht so viel zu spüren.
Brink: Gerade was das Thema Ukraine angeht, könnte man ja eigentlich nicht weiter entfernt sein!
Fleckenstein: Das ist richtig. Und ich hoffe, dass von dem Gipfel heute ein deutliches Signal ausgeht, dass losgelöst von allen Meinungsverschiedenheiten es das erste Ziel sein muss, in der Ukraine einen friedlichen Weg zu finden, dass die Menschen dort sich darüber klar werden können, wie es weitergeht.
Brink: Nun schauen wir uns mal die beiden Interessen auf den jeweiligen Seiten an! Fangen wir mit Russland an, diese nachbarschaftlichen Beziehungen sind ja auch für Russland ein heikles Thema. Kann es sein, dass Russland die Schwäche Europas jetzt für seinen Vorteil zu nutzen sucht?
Fleckenstein: Na ja, die Russen versuchen selbstverständlich aus ihrer Sicht, mit wirtschaftlicher Macht und politischem Druck die Ukraine davon abzuhalten, sich näher an die EU heranzubewegen. Das tun sie auch aus dem Gefühl heraus, dass immerhin fast die Hälfte der Menschen in der Ukraine Russisch sprechen, russische Schulen besuchen, russisch denken und russisch fühlen. Und insofern ist das Mittel, das sie gewählt haben, völlig inakzeptabel, aber dass es sie befremdet, das kann ich nachvollziehen.
Brink: Sie äußern also ein bestimmtes Verständnis. Und die EU versucht natürlich, genau das Entgegengesetzte zu tun, nämlich die Ukraine näher an Europa zu binden, vielleicht auch mit Sanktionen, das hat ja Martin Schulz, der EU-Parlamentspräsident schon angekündigt. Ist das der richtige Weg, um zum Beispiel Vertrauen gegenüber Russland zu schaffen?
Fleckenstein: Also, Vertrauen gegenüber Russland zu schaffen, nicht. Ich glaube auch nicht, dass Herr Schulz Sanktionen gegenüber Russland sozusagen ins Auge gefasst hat, sondern es ging darum in erster Linie, den Präsidenten der Ukraine und das Parlament dort zu bewegen, die Gesetze, die sie in letzter Zeit erlassen haben, um die Versammlungsfreiheit einzuschränken, um die Demonstranten sozusagen einzuschüchtern, dass so etwas rückgängig gemacht wird und dass die Verfassung von 2004 wieder gilt.
Brink: Aber was kann denn Europa tun? Das klingt ja so: Wir drohen, aber nur ein bisschen! Weil, man kann ja auch nicht akzeptieren, dass die russische Seite so agiert, wie sie agiert!
"Hier ist keine Tür zugeschlagen worden aus Enttäuschung"
Fleckenstein: Nein, das kann man auf gar keinen Fall. Aber jetzt kommt es wirklich in erster Linie darauf an, dass die Ukraine nicht in irgendeine Form von Bürgerkrieg hineingerät. Und ich glaube, das muss das allererste Ziel heute auch bei dem Treffen zwischen Herrn Barroso und Herrn Putin sein.
Brink: Wenn Sie Ihr Ohr dahin legen, haben Sie denn das Gefühl, das ist begriffen worden oder das ist eine Chance, dass es da eine wie auch immer geartete Einigung am Ende dieser drei Stunden gibt?
Fleckenstein: Also, ich glaube, dass mit ein bisschen gesundem Menschenverstand – und das haben alle Beteiligten – doch festgestellt werden muss: Kein Mensch in Europa kann ein Interesse daran haben, dass die Situation sich innerhalb der Ukraine verschärft, weder in Moskau noch in Brüssel und schon gar nicht in der Ukraine selbst!
Brink: Da muss man vielleicht der Regierung in der Ukraine auch klar machen: Ihr müsst euch dann doch ein bisschen in unsere Richtung bewegen. Das ist ja vielleicht auch die Absicht der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton, die ja heute wieder nach Kiew reist. Muss man mehr die Hand ausstrecken?
Fleckenstein: Ja, ich glaube, dass man das so tun muss. Ich weiß, dass Kommissar Füle in Kiew ist, ich weiß, dass Frau Ashton jetzt dort hinreist. Das macht auch Sinn, um deutlich zu machen: Hier ist keine Tür zugeschlagen worden aus Enttäuschung, sondern wir sind nach wie vor gesprächsbereit und werden mit der Regierung – wer immer das dann auch ist in der Ukraine – auch nach gemeinsamen Lösungen suchen.
Brink: Mir scheint aber dieses ganze europäische Taktieren ja auch ein bisschen machtlos. Gucken wir uns jetzt die russische Seite an, der Präsident Putin ist im Vollbesitz seiner nicht nur Souveränität, er hat die Spiele in Sotschi vor sich. Warum sollte er sich bewegen?
Fleckenstein: Also, in erster Linie sollte er einsehen, dass es nicht darum gehen kann, sozusagen Machtsphären von früher zu sichern. Und ich glaube, er kann sich bewegen, wenn er sicher ist, dass alle Beteiligten miteinander vernünftig reden. Wir müssen deutlicher machen als bisher, dass sich unsere Nachbarschaftspolitik ja nicht gegen Russland richtet.
Und einer unserer Fehler, glaube ich, die wir selbst zu verantworten haben, ist, dass das immer so war, da besteht für mich gar kein Zweifel, aber in einer Partnerschaft kommt es ja darauf an, ob das Gegenüber es auch so versteht. Und ich glaube, wir haben zu wenig miteinander geredet.
Brink: Dafür ist heute wieder Zeit. Knut Fleckenstein sitzt für die SPD im Europaparlament, da ist er Vorsitzender der EU-Russland-Delegation. Schönen Dank, Herr Fleckenstein, für das Gespräch!
Fleckenstein: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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