Erik von Grawert-May, aus der Lausitz gebürtiger Unternehmensethiker, lebt in Berlin. Letzte Veröffentlichungen "Die Hi-Society" (2010), "Roma Amor - Preussens Arkadien" (2011), "Theatrum Belli" (2013).
Auch Philanthropie braucht Grenzen
So sehr er die deutsche Willkommenskultur begrüßt, so sehr fürchtet der Ethiker Erik von Grawert-May, dass deutsche Flüchtlingspolitik Europa auseinandertreibt. Deshalb fordert er von Berlin ein Zeichen der Begrenzung, um Helfer, Bürger und Nachbarn nicht zu überfordern.
Eigentlich möchte man frohlocken angesichts der vielen ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer, die in ihren Anstrengungen auch noch nach Monaten kaum nachgelassen haben, obwohl sie sich schon am Rand der Erschöpfung bewegen. Weitgehend uneitel in ihrem Auftreten, stützen sie unsere Willkommenskultur.
Es verbietet sich deshalb von selbst, diese Art der Nächstenliebe zu verdächtigen. Botho Strauß hat in seinem aufsehenerregenden "Spiegel"-Essay über sich als dem letzten Deutschen behauptet, das Willkommen-Heißen geschehe derart forciert, dass selbst dem Einfältigsten darin eine Umbenennung von Furcht, ja etwas magisch Unheilabwendendes auffallen müsse.
Also gut, dann bin ich einfältiger als dieser Einfältigste. Mir scheint das wahrhaft philanthropische Verhalten der Helfer jener frohgemuten Offenheit verwandt, die sich erstmals im Jubel der Fans auf der Fußballweltmeisterschaft vor knapp zehn Jahren zeigte.
Einsprüche der europäischen Freunde nicht überhören
Nur hat eben jedes Ding zwei Seiten. Und die zweite ist ist in diesem Fall fatal. Wir können die Einsprüche unserer europäischen Freunde nicht länger überhören.
Vor kurzem gab Alain Finkielkraut, einer der führenden philosophischen Köpfe Frankreichs, der Wochenschrift "Die Zeit" ein Interview, in dem er die Gesinnungsethik der Bundeskanzlerin beklagte. Nach der berühmten Unterscheidung Max Webers erwartete er von ihr endlich verantwortungsethisches Handeln.
Andere, wie der französische Premierminister Manuel Valls, fordern einen Stopp der Zuwanderung. Aus England sind ähnlich lautende Appelle zu hören, von den Blockaden osteuropäischer Regierungen ganz zu schweigen. Die Slowakei und Ungarn reichten vor kurzem sogar Klage gegen die Aufnahme von Flüchtlingen beim Europäischen Gerichtshof ein.
Frankreich und England, um nur sie herauszugreifen, haben seit langem mit massiven Problemen der Integration von Migranten zu kämpfen. Sie halten es für ganz und gar naiv, wenn wir uns diese Probleme auch noch freiwillig auf die Schultern laden. Entsprechend gering ist ihre Bereitschaft, in dieser Frage mit uns solidarisch zu sein und zusätzliche Flüchtlingskontingente aufzunehmen.
Nicht Europa in Flüchtlingspolitik auseinandertreiben
Wir armen Deutschen! Da sind wir mal angenehm fremdenfreundlich, und dann ist es doch wieder nicht recht. Die Ungunst des geschichtlichen Augenblicks liegt darin, dass unsere private Philanthropie Europa auseinander treibt.
Denn wenn Angela Merkel sagt, wir schaffen es, aber eben nicht allein, dann treibt sie die europäischen Partner vor sich her. Das aber kann sich die Bundesrepublik, wider Willen zum Hegemon Europas avanciert, nicht leisten, kein zweites Mal nach dem Streit um das Schuldenkrisenmanagement im Euroraum.
Schließlich haben wir uns, als die ersten Flüchtlingsströme in Italien und Griechenland ankamen, auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert, haben selbst bewiesen, dass sich eine gemeinsame Asyl- und Migrationspolitik zwar einfordern, aber nicht erzwingen lässt.
Von Brüssel aus Zeichen der Begrenzung setzen
Beim kommenden Brüsseler Gipfel sollten wir deshalb von unseren europäischen Freunden in der Flüchtlingsfrage auf keinen Fall größere Solidarität verlangen. Deutsche Politik und Diplomatie muss vielmehr auf die Ängste der anderen Nationen Rücksicht nehmen und darf die Ängste ihrer eigenen Bürger nicht länger übersehen.
Allenthalben wird von ihr ein deutliches Zeichen der Begrenzung erwartet, das den Ländern, aus denen die Flüchtlingsströme stammen, klar kommuniziert werden muss.
Europäische Solidarität in Flüchtlingsfragen heißt unter diesen Umständen, niemanden zu überfordern - nicht die Helfer, nicht die Besorgten, nicht die Nachbarn, damit Willkommenskultur weiter gedeihen kann und nicht an sich selbst zugrunde geht.