Wenig begeistert, wenig geleistet
27:39 Minuten
Keine sechs Jahre in der EU, und schon macht sich in Kroatien der Frust breit. Beim Beitritt 2013 war die Euphorie groß. Aber Korruption und Vetternwirtschaft grassieren noch genauso wie damals. Viele Kroaten sind enttäuscht und wollen nicht wählen.
Mädchen in grünen Kleidern beim Auftritt im Maksimir-Park: Die Bühne ist umrahmt von kroatischen Nationalflaggen und Europafahnen. Auf dem Rasen haben sich die Hauptstädter zum Picknick niedergelassen, auf den Gehwegen herrscht Gedränge, mittendrin Ivan Vilibor Sincic mit seiner kleinen Tochter auf dem Arm. Der Chef der Partei von Zivi Zid, was soviel wie "Lebendiges Schild" bedeutet, wirbt um Stimmen bei der Europawahl.
"Wir sind eine Anti-Establishment-Partei. Wir kämpfen gegen das gesamte politische System, das Kroatien in diese Krise gebracht hat. Kroatien ist in jeder Hinsicht auf dem letzten oder vorletzten Platz in der EU. Kroatien braucht einen Neustart, mit einer neuen Generation, deswegen sind wir gegen das Establishment."
Die jungen Leute gehen ins Ausland
Sein Land laufe Gefahr, ein "failed state" zu werden, sagt Sincic. Ein gescheiterter Staat. Nur Bulgarien verzeichnet im EU-Vergleich eine noch geringere Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung als Kroatien, 20 Prozent der Einwohner sind seit 1990 ausgewandert, Tendenz anhaltend. Vor allem junge Leute fliehen nicht nur vor der Arbeitslosigkeit, sondern auch vor der grassierenden Korruption, erklärt der 29-Jährige, der mit seinem dunklen langen Haar an den spanischen Podemos-Chef Pablo Iglesias Turrión erinnert. Sincic ist weit jünger. Er hat zwar wie viele gebildete Kroaten im Ausland studiert, er kandidiert für die Europawahlen - aber ein überzeugter Europäer ist er trotzdem nicht:
"Die Leute sollen entscheiden, ob es ein Referendum geben, ob wir in der EU bleiben sollten oder nicht", sagt er. "2012 gab es schon mal eins, bevor wir Mitglied wurden, aber das war nicht fair. Das Establishment wollte die Mitgliedschaft, egal zu welchem Preis, ganz gleich, ob damit die Verfassung verletzt wird, unabhängig von allen Debatten."
Nicht nur im Maksimi-Park, sondern auch auf dem Marktplatz, vor der Universität – an vielen Plätzen in Zagreb und anderen Orten landauf, landab wird mitten im Europawahlkampf vor allem ein Thema diskutiert, das die Kroaten gegen die EU aufbringt: die Anhebung des Rentenalters auf 67 Jahre.
Das Gesetz, das seit Anfang des Jahres in Kraft ist, wollen die Gewerkschaften wieder rückgängig machen und haben für ein Referendum fast zwei Wochen lang Unterschriften gesammelt. Stipe Sadalic, Student der Soziologie und Psychologie, 20 Jahre alt, hat seinen Namen auch auf die Liste gesetzt.
"Das betrifft meine Eltern und die Eltern meiner Freunde", sagt er. "Ich kann keinen Sinn darin erkennen, dass Leute arbeiten, bis sie 67 sind. Wie produktiv werden sie da noch sein? Junge Leute könnten und sollten die älteren ersetzen."
Sanja Ivanovic meldete sich freiwillig zum Unterschriftensammeln. Die Ethologin hat sich mit ihrer Kollegin vor dem Universitätseingang postiert.
"Viele beteiligen sich, vor allem junge Leute. Wir wollen nicht bis 67 arbeiten." Ihre Kollegin mischt sich ein. Sie wisse, dass in Deutschland die Rente mit 67 gilt, aber Kroatien sei mit Deutschland nicht zu vergleichen. Denn die Renten liegen bei 3000 bis 4000 Kuna, umgerechnet um die 500 Euro."
Rente mit 67? Nein, danke!
Die Lebenserwartung beträgt im EU-Durchschnitt 82 Jahre, in Deutschland liegt sie bei 81, in Kroatien aber nur bei 78 Jahren. Parlament und Regierung hätten sich den Gesprächen verweigert, beklagt Krešimir Sever, der Chef der Unabhängigen Gewerkschaften und Mitorganisator des Referendums. Der große, hagere Mann war für die Unterschriften unermüdlich auf den Beinen.
"Es gab keinen politischen Dialog", kritisiert er. "Wer bei uns in Kroatien 65 Jahre alt ist, hat gerade noch fünf gesunde Jahre vor sich. In Europa sind es zehn Jahre. In Schweden sogar 12 bis 15. Und unsere Renten sind viel niedriger. Unsere Arbeitsplätze sind auch nicht so modern ausgestattet. In Europa schafft man Plätze, die für Ältere besser geeignet sind."
Die Kroaten machen Brüssel für die Änderung des Renteneintrittsalters mit verantwortlich, dabei bewiesen andere Mitgliedsländer gerade in dieser Frage ihre Eigenständigkeit, erklärt der Gewerkschaftschef.
"Von der Europäischen Kommission wird viel Druck auf die EU-Länder ausgeübt, das Rentenalter heraufzusetzen. Die Slowakei kam dem nach, aber es ist nur eine Anhebung auf 64 Jahre bis zum Jahr 2030. Polen geht gerade in die andere Richtung, von 67 runter auf 65. In Slowenien gab es ein Referendum über das Rentenalter. Das ist, was auch wir wollen: Fragt die Menschen."
Der Arbeitsminister hat auf den Kompromissvorschlag der Gewerkschaften nicht reagiert, jetzt soll das Volk abstimmen, ob es lieber mit 65 Jahren in Rente gehen will und dazu die freie Entscheidung eines jeden, auch darüber hinaus zu arbeiten.
Fördergelder werden nicht abgerufen
Die Freude über die EU-Mitgliedschaft hält sich fast sechs Jahre nach Kroatiens Beitritt in Grenzen. Anders als beispielsweise in Polen ist in Kroatien von Brüsseler Finanzspritzen wenig zu spüren. Kroatische Institutionen haben die Gelder kaum abgerufen, angeblich wegen der komplizierten Antragsverfahren. Dejan Jović, der an der Londoner School of Economics promoviert wurde, lässt das nicht gelten, führt die ausgeschlagenen Strukturhilfefonds eher auf Unvermögen und alte Gewohnheiten zurück:
"Die meisten nutzen nationale Finanzhilfen. Das ist leichter, denn sie haben es dabei mit einer eingespielten Vetternwirtschaft und Korruption zu tun. Sie kennen die Kanäle - anders als bei den EU-Mitteln, für die sie sich mit komplizierten Anträgen erst einmal in einen Wettbewerb begeben müssen."
Der Analyst, der in Großbritannien, Italien und Serbien unterrichtete, kandidiert bei der Europawahl. Er versteht sich als serbischer Kroate, tritt auf der offenen Liste der serbischen Minderheit an. Anders als in Deutschland wird der in Aussicht gestellte EU-Beitritt für Serbien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro, Nordmazedonien, Albanien und Kosovo auf dem Balkan lebhaft diskutiert. Welches Land verdient die Aufnahme zuerst, wer wird dagegen protestieren? Alte Empfindlichkeiten, auch Feindschaften sind wieder präsent, deswegen tritt der 51-jährige frühere Präsidentenberater für die Aufnahme der sechs Westbalkanländer im Block ein.
"Wenn man die Länder nacheinander aufnehmen würde, wäre die Frage: wen zuerst? Das würde die Spannungen verstärken", warnt er. "Wenn Bosnien zuerst dran wäre, gäbe es eine große Debatte von serbischer Seite und umgekehrt. Deswegen plädiere ich dafür, die Region als Ganzes aufzunehmen, so wenig perfekt sie auch ist. Das ist weniger riskant, als sie nacheinander beitreten oder ganz draußen zu lassen."
"Warum hält sich die EU zurück auf dem Balkan?"
In den Hauptstädten der sechs möglichen neuen Mitglieder geben sich die führenden Politiker zwar EU-interessiert, gleichzeitig regieren sie ihre Länder aber immer autoritärer, wie der serbische Präsident Aleksandar Vučić und Milorad Dodik, der Serbe in dem dreiköpfigen bosnischen Staatspräsidium. Der Politologe Dejan Jović plädiert für die Aufnahme, damit die Länder nicht noch undemokratischer werden:
"Man sollte es riskieren, sie alle zusammen und so wenig perfekt, wie sie jetzt sind, aufnehmen. Aber dann sollte man ein Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten schaffen. Um sich für Schengen oder die Eurozone zu qualifizieren, müssten nicht mehr nur technische Voraussetzungen, sondern auch politische Kriterien erfüllt werden."
Jović fürchtet um das Überleben der EU, denn ein Kollaps der EU hätte fatale Auswirkungen auf dem Balkan. Der Zusammenbruch des Ostblocks 1989 sei sicher für die deutsche Einheit und das europäische Projekt ein Glücksfall gewesen, an Europas Peripherie habe aber wenig später der Krieg begonnen.
"Der kalte Krieg, die unabhängige Mittelposition zwischen West und Ost, hat Jugoslawien zu einer eigenen Identität sehr geholfen. Das war wie der Kleister in unserem multiethnischen Land", meint er. "Der Kollaps der bipolaren Welt brachte große Probleme, wozu sollten wir jetzt gehören? 1989 war auch das Ende des Internationalismus. In Osteuropa sagten sich die Staaten von der Sowjetunion los und wollten souverän sein. Aber wenn der Nationalismus in einem multiethnischen Land siegt, bringt das Probleme mit sich. Das ging mit der deutschen Einheit los: Wir sind ein Volk. Wenn die Deutschen das sagen können, warum dann nicht die Albaner, die Serben, die Kroaten. Und wenn sie eine Nation sind, warum sollen wir dann in zwei Staaten leben?"
Bis heute bevölkern Kroaten sowohl Kroatien als auch Bosnien-Herzegowina, Serben sind in Serbien und in Bosnien, Albaner in Albanien und im Kosovo. In fast jedem Balkanland findet man zusätzlich kleine ethnischen Minderheiten.
"Die Länder dürfen auch deshalb nicht draußen bleiben, weil sie in der jetzigen internationalen Situation zum Schlachtfeld für andere Supermächte werden würden", so Jovíc. "Amerika ist jetzt schon stark in Bosnien, Kosovo und Mazedonien vertreten. Wir sehen den zunehmenden Einfluss Russlands in Serbien, die Türkei ist in Bosnien aktiv. Da fragt man sich doch, warum sich die EU zurückhält, wenn andere Akteure so sichtbar sind."
Kroatien nimmt EU-Kurs nicht ernst
Regierungskritiker aller Couleur - konservativ, liberal oder links – halten den eingeschlagenen EU-Reformkurs Kroatiens für eine reine Simulation. Justizreform, Minderheitenrechte, echter Wettbewerb - all das sah solide aus, solange Kroatien in die EU wollte, existierte aber oft nur auf dem Papier. Mit dem Beitritt wurden alle Anstrengungen sofort eingestellt.
So entspricht der Umgang mit den wenigen Flüchtlingen, die in Kroatien stranden, nicht im Ansatz den EU-Standards.
Die junge Serbin Nevena BraJović hat die Folgen kroatischen Polizeigewalt dokumentiert. Flüchtlinge, die auf eigene Faust die kroatische Grenze überqueren wollten, kamen nicht selten als ein Häuflein Elend zurück. Sie halten den Flüchtlingen ungeladene Pistolen an den Kopf, um sie einzuschüchtern, erklärte Nevena BraJović im Transitzentrum in Principovać an der serbisch-kroatischen Grenze vor knapp einem Jahr. Kroatische Grenzpolizisten nähmen den Flüchtlingen die Kleidung weg und schickten sie dann nackt zurück. Sie hätten Hunde auf sie gehetzt. Sie selbst habe mindestens 20 Fälle von wirklich schlimmer Folter gesehen.
In der kroatischen Hauptstadt Zagreb kennt man die Vorwürfe gegen die Grenzpolizei. Die Ombudsfrau für Menschenrechte Lora Vidovic hat sie von den Flüchtlingen selbst erfahren, von Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen, selbst vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen - und sie geht jedem Hinweis nach.
"Das Ärgerliche ist, dass die Grenzpolizei einfach immer sagt, dass sie nichts von solchen Vorfällen in ihren Unterlagen habe und damit alle diese Beschwerden falsch seien, dass keine derartige Gewalt stattgefunden habe. Das Innenministerium sagt stets, dass die Behandlung durch die Polizei allen Standards entspricht, ohne Ausnahme. Wir wissen, dass das Eigentum der Flüchtlinge, wie Handys, zerstört wird. Dass körperliche Gewalt ausgeübt wird und es nicht nur leichte, sondern auch sehr schwere Verletzungen gibt."
Ex-Flüchtlinge sind heute Gegner der EU-Flüchtlingspolitik
Als Ombudsfrau Kroatiens haben die Juristin und ihre Mitarbeiter die Vollmacht, Polizeistationen ohne Vorankündigung zu besuchen und die Herausgabe jeglicher Akten zu fordern. Doch seit einem Jahr werden sie immer, wenn es um Flüchtlinge geht, abgewiesen.
"Das verstößt gegen die Verfassung. Aber das scheint niemanden zu stören, obwohl wir die Regierung, das Parlament, die Medien, sogar die Vereinten Nationen darüber informiert haben. Die Polizeistationen an der Grenze, die über alle ihre Einsätze Berichte anfertigen, geben diese Sachen einfach nicht heraus."
Die Ombudsfrau wartet seit Monaten auf eine Reaktion aus Brüssel - bislang vergeblich. Sie fühlt sich im Stich gelassen.
"Das geht seit zehn Monaten, fast einem Jahr so und betrifft mehrere Polizeistationen. Ich war in Donji Lapac, in Cetingrad, Karlovac, Duga Resa, Glina und in Gvozd. Sie wollen keine unabhängige Kontrolle zulassen, das ist offensichtlich. "
Dejan Jović, der linksliberale Kandidat bei den Europawahlen, vermutet, dass die Regierung in Zagreb die Polizei absichtlich gewähren lasst, sie die Härte der Polizei nicht wirklich stört. Kroatien wolle dem Schengen-Raum angehören und der EU beweisen, dass es die 2400 Kilometer lange Grenze plus über 1200 Inseln auch wirklich kontrolliert. Keine leichte Aufgabe für ein Vier-Millionen-Volk. Viele Kroaten suchten während des Jugoslawienkrieges selbst anderswo Schutz, die Erinnerung ist noch frisch. Jović, der Dozent an der Universität Zagreb, gibt sich immer wieder als Serbe in Kroatien zu erkennen. Hier ist er geboren und aufgewachsen. Für ihn ist das Vorgehen der kroatischen Grenzpolizei auch Ausdruck des zunehmenden Nationalismus in seinem Land:
"Die anderen, wer immer das sein mag, gelten als Sicherheitsbedrohung. Inzwischen ist Kroatien das ethnisch reinste Land der Region, selbst gegenüber Slowenien. Die Kriege Anfang der 1990er-Jahre haben den Anteil der einheimischen Minderheiten von 21 auf 7 Prozent reduziert. Wir brauchen mehr Menschen, stattdessen gehen immer noch welche weg. Auch die EU-Flüchtlingsquote von 1400 Personen haben wir noch nicht erfüllt."
Im Bürgerkrieg Anfang der 1990er-Jahre hat Kroatien rund zwei Millionen Flüchtlinge aufgenommen. Doch jetzt haben Kriegsveteranen in Petrinja, 70 Kilometer von der Hauptstadt Zagreb entfernt, Straßenblockaden angedroht, weil die Regierung in dem Ort ein Asylzentrum für 200 Personen einrichten möchte.
Wenige Minuten von der Nationalbank Kroatiens entfernt wohnt und arbeitet Dalija Orešković. Die junge Anwältin im Etuikleid und Blazer bittet in ihre schicke Altbauwohnung im Stadtzentrum von Zagreb. Die 42-Jährige leitete bis Ende vorigen Jahres die Parlamentskommission für Interessenskonflikte - gemeint sind Korruptionsfälle - und schied tief enttäuscht aus diesem Job aus:
"Ich habe fünf Jahre lang einen Einblick bekommen, wie dieses System im Inneren arbeitet. Als ich zu meiner Arbeit als Anwältin zurückkehrte, merkte ich, dass ich überhaupt kein Vertrauen mehr in die Funktionsfähigkeit dieses System mehr habe."
Die Ex-Antikorruptionsbeauftragte Kroatiens hat etliche Verfahren gegen amtierende und ehemalige Abgeordnete, Bürgermeister, Minister bis hin zum Präsidenten initiiert und wurde der Regierungspartei HDZ schließlich zu unbequem. Orešković trat zu ihrer Wiederwahl nicht mehr an.
Kampf gegen Korruption ist aussichtslos
"In fünf Jahresberichten habe ich anhand von Beispielen aufgezeigt, wo das Gesetz nicht funktioniert und was geändert werden müsste. Die Gesetze wurden zwar geändert, aber in die falsche Richtung, sie waren danach noch schlechter. Da habe ich verstanden, dass alles von dem politischen Gestaltungswillen abhängt."
Die Juristin gründete unmittelbar nach ihrem Ausscheiden aus der Antikorruptionskommission Ende vorigen Jahres ihre eigene Partei namens START, was für Kampf gegen Korruption, für Transparenz und Entwicklung steht. Die Europawahl ist ihr erster Test, das eigentliche Ziel aber sind die Parlamentswahlen im kommenden Jahr.
Mitstreiter gibt es auch in anderen Städten, zum Beispiel in Dubrovnik, wo sich der Maler und Grafiker Pero Mrnarević, der neuen Partei START angeschlossen hat. Er wartet inmitten der vielen Touristengruppen am Pile Tor, wo es in die Altstadt geht. Als Einheimischer leidet er unter dem Massentourismus in seiner Stadt. Und doch ist ihm der Kampf um die europäischen Werte mindestens ebenso wichtig wie europaweite Regelungen gegen internationale Vermietungsplattformen oder Taxiunternehmen.
"Ich bin ein überzeugter Europäer. Aber Europa hat ein Problem mit der Einhaltung der Menschenrechte, mit dem Populismus und Nationalismus, mit dem Erstarken der rechtsextremen Bewegungen. Das sind sehr viel größere Probleme als der Massentourismus. Wenn wir Fremdenfeindlichkeit zulassen, werden die Einwohner von Dubrovnik irgendwann nicht mehr aufgeklärt und lächelnd Gäste begrüßen. Schon jetzt beobachten wir doch, dass Touristen zwar höchst willkommen sind, aber Fremde in Not nicht. Diese Region war vor 20 Jahren vom Krieg zerstört, viele waren selbst Flüchtlinge, aber trotzdem zeigen die Leute wenig Sympathie für Menschen aus Kriegsgebieten."
Touristenmagnet Dubrovnik kämpft gegen Airbnb und Uber
Dubrovnik besuchen jedes Jahr 800.000 Passagiere von Kreuzfahrtschiffen und 600.000 Tagesgäste, die mit Bussen kommen.
In einem Café im Hafen von Dubrovnik schaut Romana Vlasic vom Tourismusverband Dubrovnik auf ihr Smartphone:
"Lassen Sie mich sehen, was heute ansteht: 2300 Passagiere, die von 8 bis 15 Uhr da sein werden und die mit je drei Bussen alle fünf Minuten vom Schiff zur Altstadt gefahren werden. Dann übermorgen 900 Personen von 8 bis 21 Uhr. Das ist es, was wir wollen.
Man kann die Passagierzahlen nicht über Nacht reduzieren, denn die Schifffahrtgesellschaften verkaufen ihre Reise ja schon zwei, drei Jahre im Voraus. Es geht langsam voran, aber es bewegt sich etwas."
Seit dem vorigen Jahr versucht die Stadt mit den Kreuzfahrtveranstaltern Slots zu verabreden, also feste Zeiten, zu denen die Schiffe anlegen dürfen. Nach Möglichkeit nicht mehr als zwei zugleich, denn mehr als 4000 bis 5000 Besucher sollten sich nicht auf einmal durch die Altstadt bewegen, sonst wird das Gedränge unerträglich. Für Touristen, die in Dubrovnik übernachten wollen, stehen 12.000 Hotelbetten und noch einmal 20.000 in Privatunterkünften zur Verfügung. Der enorme Anstieg an Privatquartieren, die über Portale wie Airbnb vermietet werden, ist kaum zu kontrollieren. In der Altstadt sollen nur noch 600 Einheimische leben, alle anderen ziehen in die Außenbezirke, junge Familien finden auch dort kaum noch Wohnungen. Die Stadt muss gegensteuern, fordert Pero Mrnarević, der Künstler und Aktivist, dessen Partei START bei der Europawahl antritt:
"Junge Leute sollten ermutigt werden hierzubleiben und müssten dafür finanziell unterstützt werden. Dann würden sich neben dem Tourismus vielleicht auch andere Wirtschaftszweige entwickeln. Wir haben hier talentierte Leute, die mit der digitale Revolution etwas anfangen können. Das würde uns gut tun."
Ein ähnlicher Wildwuchs wie bei den Wohnungen herrscht bei den Taxis. Der junge Bürgermeister von Dubrovnik, Mato Franković, will gegen die unkontrollierte Konkurrenz vorgehen, die zusätzlich zu den vielen Reisebussen die Straßen verstopft.
"Wir haben mitunter 1000 Uber-Taxis, was viel zu viel ist für eine Stadt wie Dubrovnik. Vorher hatten wir 120 Taxifahrer, jetzt sind es 1200. Wir versuchen, die Regierung von einer Gesetzesänderung zu überzeugen, damit eine Begrenzung möglich wird. Wir wären mit 500 Taxis sehr zufrieden."
Sowohl für die Einschränkungen der internationalen Vermietungsportale als auch für die Taxi-online-Anbieter braucht Kroatien Brüssel, denn viele Regelungen können nur auf EU-Ebene verhandelt werden. Mit den vielen Geldautomaten in der Stadt nimmt es der Bürgermeister selbst auf. Solange Kroatien noch nicht in der Euro-Zone ist, die vor allem wegen der schwachen Wirtschaft noch lange nicht in Sicht ist, kassieren die Banken bei jeder Abhebung in der Landeswährung Kuna Gebühren.
Prestigeprojekt: eine Brücke, die nicht verbindet
Rund 70 Kilometer nördlich von Dubrovnik entsteht ein Prestigeprojekt, das geeignet sein könnte, zumindest die Autofahrer mit Brüssel zu versöhnen. Es ist die Pelješac-Brücke, die endlich Wirklichkeit wird. Dubrovniks Bürgermeister Franković ist begeistert.
"Sie ist sehr wichtig für die Region um Dubrovnik, denn es ist Stress, wenn man nach Split oder Zagreb fahren muss. Bislang muss man durch Bosnien fahren, also die Grenze überqueren, wo man manchmal zwei Stunden wartet. Man kann nichts planen."
Gebaut wird die Brücke allerdings von einer chinesischen Firma. Die EU zahlt, jedenfalls den Löwenanteil. Von gut einer halben Milliarde Euro kommen fast 360 Millionen aus Brüssel. Europäische Strukturfördermittel, damit bosnisches Staatsgebiet umgangen werden kann, das in nicht so ferner Zeit zur EU gehören soll. Für Pero Mrnarević von der Antikorruptionspartei Start eine völlig überflüssige Investition.
"Es wäre klug gewesen, mit Bosnien-Herzegowina eine Verabredung über einen Korridor zu treffen, so wie der zwischen der Bundesrepublik und Westberlin durch die DDR. Aber die politischen Kräfte wollen sich seit Jahrzehnten schon ein Denkmal mit einer solchen Brücke setzen und damit ganz nebenbei auch noch Geld waschen."
Ein EU-Vorzeigeprojekt wird die Peljesac-Brücke für viele Kroaten deshalb wohl nicht mehr, aber vielleicht macht es Mut, gemeinsam mit Brüssel neue Räume zu erschließen.