EU-Wahl in Schweden

EU-Skeptiker wohnen im Süden

21:43 Minuten
40 Prozent wählten in Östra-Ljungby die Schwedendemokraten.
40 Prozent wählten in Östra-Ljungby die Schwedendemokraten. © Tobias Dammers
Von Bastian Kaiser und Tobias Dammers |
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Die große Mehrheit der Schweden hat Vertrauen in die Europäischen Union. Ausnahmen gibt es im Süden, wo die rechtspopulistischen Schwedendemokraten in einige Orten 40 Prozent der Stimmen erhalten. Auch für Forderungen wie den "Swexit".
Eine Autostunde nördlich von Malmö, irgendwann rechts an der Autobahn E4, liegt Östra-Ljungby. Knapp 1800 Einwohner, zwei Schulen, eine Kirche, eine Bibliothek. Direkt an der Ortseinfahrt, zwischen Tankstelle und Recyclinghof, liegt das Bauunternehmen von Johan Gudmundsson.
Johan Gudmundssons Tischkreissäge frisst sich in das robuste Kantholz. Der Bauunternehmer steht in seiner geräumigen Schreinerwerkstatt und sägt massive Balken in handliche Einzelteile. Viele seiner Kunden kommen aus Östra Ljungby und Umgebung.
"Es ist eine kleine Gemeinde. Jeder kennt hier jeden. Es ist sicher für die Kinder. Jeder versucht dem anderen zu helfen, lokale Produkte zu kaufen und lokale Unternehmen zu unterstützen."

Schweden zahlen pro Kopf am meisten in die EU ein

Gudmundsson trägt knallorangene Ohrenschützer gegen den Sägelärm. Der 46-Jährige hat Glatze und Kinnbart, seine kräftigen Unterarme sind volltättowiert. Schallplatten, Notenschlüssel und Ornamente ranken sich über die Haut. Auf seiner schwarzen Arbeitshose hat sich eine Schicht aus Sägespänen gelegt. Gudmundsson ist in Östra Ljungby geboren, wohnt hier mit seiner Frau und sechs Kindern. Er fühlt sich europäisch, sagt er.
"Wir leben in Europa – da ist man Europäer, aber das Konzept EU, da bin ich mir nicht so sicher, wie ich dazu stehe."
Für ihn ist der freie Verkehr von Arbeitnehmern in der EU eine Gefahr für den schwedischen Markt, für schwedische Arbeitsplätze – und für sein eigenes Geschäft.
"Es kommen viele Arbeitskräfte von draußen, aus anderen europäischen Ländern. Die senken die Löhne und nehmen uns die Jobs weg. Dann kommen die großen Unternehmen an und schnappen mir die Aufträge weg. Das sollte nicht erlaubt sein. Sie senken einfach die Gehälter mit ausländischen Arbeitskräften."
Gudmundsson selbst beschäftigt sieben Angestellte in seiner Baufirma. Das Geschäft läuft gut, sagt er. Insgesamt hat Schweden eine der höchsten Pro-Kopf-Wirtschaftsleistungen in Europa. Eine Folge davon: Schweden zahlen von allen EU-Bürgern am meisten in die Europäische Union ein. Durchschnittlich sind es 139 Euro pro Person im Jahr. Dahinter liegen die Deutschen und die Dänen.
"Ich habe das Gefühl, dass Schweden immer besonders nett sein will. Überall wollen wir vorn sein. Ich denke nur, wir sollten für die anderen Länder auch ein paar Richtlinien haben."
Auch in Schweden und in Östra-Ljungby wird am 26. Mai über das neue EU-Parlament abgestimmt. Für Johan Gudmundson eine Chance, die Union grundlegend zu verändern.
"Ich bin davon überzeugt, dass sich die schwedischen Ergebnisse bei der EU-Wahl drastisch ändern werden. Die Schwedendemokraten werden stark zulegen. Die Leute bei der EU haben es sich etwas zu bequem gemacht, mit hohen Gehältern und viel Geld im Umlauf für Leute, die nichts tun und von denen auch nichts gefordert wird. Ich hoffe, dass die Schwedendemokraten daran etwas ändern können, sodass wir eine bessere EU bekommen."

40 Prozent im Ort für Rechtspopulisten

Eine bessere EU: In Johann Gudmundssons Dorf, in Östra Ljungby, haben zuletzt 40 Prozent für die EU-skeptischen und rechtspopulistischen Schwedendemokraten gestimmt – fast nirgendwo in Schweden waren es mehr. Weitläufige Farmen und umzäunte Einfamilienhäuser bestimmen das Ortsbild. An den Gartenzäunen hängen Warnschilder: "Achtung: Videoüberwachung", "Vorsicht: Bissiger Hund". Ein Stück die Hauptstraße herunter befindet sich ein kleines Gewerbegebiet. Sitz des Transportunternehmens Östra Ljungby Mjölktransport.
Kicki Andersen führt die Firma, ihre 36 Milchwagen beliefern Molkereien in ganz Südschweden. Gerade erst hat die 49-Jährige in einen neuen Milchtanker investiert. Auf die EU angesprochen, reagiert Kicki Andersen genervt.
"In meinem Geschäft geht‘s jeden Tag um die Regeln und Vorschriften der EU. Davon hat ganz viel direkt mit meiner Arbeit zu tun. Und für mich bedeutet die EU zu viel Bürokratie und ist zu weit weg von meiner Realität."
Ein Beispiel: Pflichtzertifikate und Schulungen für die Fahrer ihrer Milchtanker, damit alle Sicherheits- und Transportvorschriften eingehalten werden. Das sei von der EU vorgeschrieben.
"Das nennt sich Kompetenznachweis. Das ist ein rein bürokratisches Produkt. Es ist ein Nachweis, dass meine Fahrer professionell ausgebildet sind. Und laut Gesetz wir sind dazu verpflichtet, sie zu schulen. Ein paar Bürokraten entscheiden, dass ich für eine komplette Schulung bezahlen muss, die ich in meinem Unternehmen überhaupt nicht gebrauchen kann."

Schwedendemokraten ziehen "Swexit"-Forderung zurück

"Vorschriften, Bürokratie, weltfremde Regeln", das ist es, was Kicki Andersen mit der EU verbindet. Und: einen unfairen Wettbewerb. Während sie sich an schwedische Gesetze im Transportsektor halten müsse, wie zum Beispiel strenge Ruhezeiten für Fahrer, so Kicki Andersen, würden für ihre Konkurrenten mit Sitz in Osteuropa häufig laschere Regeln gelten. Deren Fahrer dürften beispielsweise länger unterwegs sein – aufgrund niedrigerer Standards in ihren Heimatländern.
"Es ist schon okay, dass wir Schweden mehr an die osteuropäischen Länder abgeben. Aber dann sollten die Wettbewerbsregeln auch fair sein. Wir sollten unter denselben Bedingungen konkurrieren – aber das ist derzeit nicht der Fall."
Die rechtspopulistischen Schwedendemokraten und die Linkspartei haben im vergangenen Wahlkampf sogar mit einem "Swexit" geflirtet – also einer schwedischen Variante des Brexits. Kicki Andersen könnte sich das durchaus vorstellen.
"In einem schönen Traum, ja. Aber ich glaube, das wird zu hart. Es ist zu schwierig, das durchzuziehen. Die Parteien können sich nicht ernsthaft hinstellen und sagen: ´Wir sollten es tun.` Denn jeder weiß mittlerweile, dass es zu kompliziert ist. Wie schwierig der Brexit wirklich ist, war auch für uns Schweden ein Augenöffner."
Mittlerweile hat auch Jimmie Åkesson, der Vorsitzende der Schwedendemokraten, die Forderung nach einem "Swexit"-Referendum zurückgezogen. Trotzdem: Mit dieser Idee haben die Schwedendemokraten bei der Reichstagswahl im vergangenen Jahr knapp 18 Prozent geholt – ihr bislang bestes Ergebnis.
30.08.2018, Schweden, Flen: Wahlplakate von Jimmie Akesson (r), Parteivorsitzender der Schwedendemokraten und des sozialdemokratischen Premierministers Stefan Lofven (2.v.r.) sind in Flen, etwa 100 km westlich von Stockholm, zu sehen.
Bei der Parlamentswahl 2018 errangen die Sozialdemokraten von Premierminister Stefan Lofven (l.) 28 Prozent und die Schwedendemokraten mit Jimmie Akesson 18 Prozent.© AP
Deutlich stärkste Kraft sind aber weiterhin die Sozialdemokraten. Sie werben im EU-Wahlkampf damit, "den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr zu nutzen" und fordern eine weltweite Führungsrolle der EU in der Klimapolitik.
Anders die Schwedendemokraten. Sie setzen bei der Wahl zwar nicht mehr auf einen Swexit, wollen aber die EU, wie sie sagen, "von innen heraus verändern" und weiterhin weniger Einwanderung.

Fußballer schätzen EU-Errungenschaften

Dienstagabend, 21.00 Uhr. Training des FC Kopparmöllan, der Fußballmannschaft von Östra Ljungby. Rund 20 junge Männer laufen sich warm. Koordination, Passspiele, Taktikübungen.
Alle Spieler sind in schwarzen Trainingsanzügen, das blau-gelbe Vereinswappen auf der Brust. Die Botschaften der Schwedendemokraten sind hier nicht beliebt. Auch bei Alexander Nildén nicht, dem Spielmacher des FC Kopparmöllan.
"Ich glaube nicht, dass sie eine gute Partei sind. Die haben eine negative Sicht auf unterschiedliche Kulturen. Das ist nichts für mich."
Alexander Nildén hat blonde Haare und rote Wangen vom Warmlaufen. Einwanderer sind für ihn keine Gefahr: Weder für die schwedische Kultur, wie es die Schwedendemokraten fürchten, noch für schwedische Arbeitsplätze, wie seine Nachbarn in Östra Ljungby sagen.
"Ich habe viele Freunde, die nicht aus Schweden kommen. Ich denke nicht, dass Zuwanderung eine schlechte Sache ist. Ich denke, es ist gut. Es bringt Leute aus verschiedenen Nationen zusammen. Wie beim Fußball. Da ist nichts Schlimmes dabei."
Seit Alexander Nildén denken kann, ist Schweden Teil der EU. Das Land ist 1995 beigetreten.
"Ich kann reisen, wohin ich will und kann mein Smartphone überall benutzen. Das ist schon okay. Ich sehe daran nichts Negatives. Ich bin Schwede in der EU. Wir sind Teil davon."
Sein Teamkollege Alexander Bengtsson ist 28, geht noch zur Uni und will irgendwann beim Zoll arbeiten. Auch er hat gehört, dass Schweden durchschnittlich die höchsten EU-Beitragssätze pro Kopf in ganz Europa zahlen.
"Jedes Land muss seinen Teil übernehmen. Klar, manche Länder brauchen vielleicht mehr Hilfe als andere. Aber im eigenen Land ist’s doch dasselbe: Manche verdienen wenig Geld, andere mehr – und die zahlen dann eben Steuern. Im Prinzip ist das dieselbe Sache."

50.000 Euro EU-Subvention für Landwirt pro Jahr

Einer, der von dem Geld der EU profitiert, ist Martin Wahlberg.
Eine Nacht voll Regen in Östra Ljungby hat den Boden seiner Farm aufquellen lassen. In den Reifenspuren seiner Traktoren haben sich kleine, trübe Seen gebildet, die Erde vor dem Pferdestall ist zu braunem Matsch geworden. Rund 250 Hektar bewirtschaftet Martin Wahlberg. Raps, Weizen, Gerste. Als Landwirt erhält Martin Wahlberg jährlich Förderung von der EU.
"Um die 50.000 Euro. Darum sage ich mal danke an alle europäischen Steuerzahler, die mich unterstützen."
Verkrustete Erde klebt an Wahlbergs Arbeitsschuhen, seiner Hose und an seinen Händen. Die EU-Förderung sei für ihn persönlich zwar wichtig, sagt Wahlberg, aber ja, da sind auch andere wichtige Gründe für die EU.
"Es ist wichtig, zusammenzukommen. Wir sind alle kleine Länder in Europa. Zusammen haben wir zum Beispiel mehr Einfluss mit Sanktionen gegen Russland. Mit Putin ist nicht zu spaßen. Dann haben wir auch noch den gemeinsamen Binnenmarkt, den freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Geld und Personen. Großbritannien schießt sich also selbst ins Bein."
Landwirt Martin Wahlberg sagt: "Danke an die europäischen Steuerzahler" und lächelt in die Kamera.
Landwirt Martin Wahlberg: "Danke an die europäischen Steuerzahler."© Bastian Kaiser
Beim Thema Schwedendemokraten verschwindet das Lächeln aus Wahlbergs Gesicht. Auch, weil die Rechtspopulisten so erfolgreich in seiner Nachbarschaft waren.
"Wütende junge weiße Männer. Das sind die Schwedendemokraten. Mir tun die Leute leid, die für die Schwedendemokraten stimmen."
In der ganzen Region Skåne, in der auch Östra Ljungby liegt, haben die EU-Skeptiker zwei Drittel aller Gemeinden gewonnen, 21 von 33. Hier im Süden Schwedens ist die Hochburg der Schwedendemokraten.
"Die verstehen selbst nicht, was gut für sie ist. Wenn sie könnten, würden sie das demokratische System bei Seite schaffen. Das hat Nazi-Ursprung. Wir müssen eintreten für die Demokratie in Europa… da ist es gut zusammenzukommen, um unser demokratisches System zu bewahren."

Viel Negatives über EU in sozialen Medien

Was ist die EU also in Östra Ljungby? Verteidigerin der Demokratie? Bürokratiemonster? Politische Gemeinschaft? Wirtschaftsbremse? Oder schlicht Geldverteilerin? Und wie soll sie sich durch die EU-Wahlen Ende Mai entwickeln?
Fragen, die nicht weiter von Sebastian Garphorns Lebensrealität entfernt sein könnten. Der 20-Jährige steht am Herd in der Pizzeria "Dennis", dem einzigen Restaurant in Östra Ljungby. Auf seinem Handy hört er Deutschrap.
Seine Haare hat Sebastian Garphorn bis auf wenige Millimeter abrasiert, seine Haut ist voll mit Tattoos: Auf seiner Kehle prangt ein Illuminaten-Symbol, nordische Runen in seinem Gesicht, Totenschädel, Figuren und verdrehte Kreuze auf seinen Händen. Von EU-Wahlen hat der Pizzabäcker noch nichts mitbekommen.
"Das ist mir ziemlich egal, weil ich nichts darüber weiß. Du hilfst halt anderen Ländern, anderen Ländern in finanziellen Schwierigkeiten, wenn’s Probleme gibt und so. Das ist das Einzige."
Sebastian arbeitet im einzigen Restaurant von Östra Ljungby.
Sebastian arbeitet im einzigen Restaurant von Östra Ljungby.© Bastian Kaiser
Probleme, Negatives, das ist es, was Sebastian Garphorn über die EU wahrnimmt:
"Dass Schweden raus sollte aus der EU, dass die EU Scheiße ist und so. Es ist eine Menge negativer Sachen, die man in sozialen Medien liest. ´All das Geld geht dorthin`, ´wir haben kein Geld`, ´wir geben denen all unser Geld`, ´wenn wir die EU verlassen, sparen wir Geld`... und du denkst dir so: okay."

Die EU nicht auf das Finanzielle reduzieren

Schweden als Goldesel Europas, die EU als Klotz am Bein: Lotte Lönn hört diese Meinungen tagtäglich – in ihrem Klassenraum.
Die 52-Jährige unterrichtet Sozialwissenschaften an einer Volkshochschule ein paar Kilometer von Östra Ljungby entfernt, in der Hauptgemeinde Klippan. Auf dem Lehrplan steht unter anderem: die Europäische Union.
"Die meisten Schüler sind der EU gegenüber recht negativ eingestellt. Weil sie Angst haben, sozusagen ihre schwedische Identität zu verlieren - im großen Europa."
In ihrer Klasse sitzen Erwachsene, die ihren Abschluss nachholen. Viele kommen aus der Umgebung und hätten noch nicht viel von Europa gesehen, sagt Lotte Lönn. Bei manchen ende der Horizont sogar am Ortsschild der Gemeinde. Vielleicht ein Grund, wieso viele Schüler mit europäischen Vorschriften erstmal gar nichts anfangen können. Dann müssen konkrete Beispiele her, am besten mit Wirtschaftsbezug.
"Wenn ich zum Beispiel ein Produkt kaufe, das hier in Klippan produziert wird, muss das einigen Regeln entsprechen, sodass man es auch auf den griechischen Inseln verkaufen kann oder in Deutschland. Dann können sie es ein bisschen besser verstehen. Wir brauchen Regeln, damit wir gleiche Standards haben."
Manchmal fühlt es sich auch für die EU-Lehrerin Lotte Lönn so an, als wären schlicht zu viele Länder in der Gemeinschaft und als würde Schweden die EU-Regeln penibler umsetzen als die anderen Staaten. Allgemein beobachtet sie aber: Der politische Wert der EU gerät oft in Vergessenheit. Die Kritik in Schweden an der EU reduziere sich fast immer aufs Finanzielle. Was sie ihren Schülern beibringen will: Die EU nicht nur an den Kosten zu messen.
"Ich weiß, dass Schweden viel einzahlt. Aber es gibt eben viele Dinge, an die man kein Preisschild tackern kann. Bewegungsfreiheit – kann man das beziffern? Kann man messen, wenn man es Leuten einfacher macht? Kann man da ein Preisschild dran machen? Das ist sehr schwierig."

Diese Recherche wurde durch ein Stipendium des Vereins "Fleiß und Mut" der unabhängigen Stiftung Mercator unterstützt.

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