"Recht auf Vergessenwerden" gilt nicht weltweit
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Die Suchmaschine Google muss nicht weltweit Links sperre, so der Europäische Gerichtshof in einem Urteil. Doch muss eine Lösung auch EU-weit passieren, unterstreichen die Richter. Das grenzübergreifende Internet gerät damit immer mehr unter Druck.
Das Recht auf Vergessenwerden ist heute an seine Geburtsstätte zurückgekehrt: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte es 2014 mit einem Grundsatzurteil aus der Taufe gehoben.
Damals hatte ein spanischer Mann erfolgreich gegen den Suchmaschinenbetreiber Google geklagt. Wenn er seinen Namen googelte, waren immer Informationen über eine alte Zwangsversteigerung aufgetaucht.
Die Vergangenheit im Netz
Inzwischen ist das Recht auf Vergessenwerden durch die Datenschutzrichtlinie EU-weit verankert. Und die Anfragen bei Suchmaschinenbetreibern stapeln sich: Mehr als 845.000 Aufforderungen zur Linklöschung hat alleine Google bis heute erhalten - besonders viele davon aus Deutschland. Nicht ganz der Hälfte davon ist der Konzern gefolgt.
Oft geht es um Ergebnisse, die auf soziale Netzwerke verweisen. Manchmal auch um die Privatheit des Vergangenen: Um einen Mann zum Beispiel, der 1984 mit einem entführten Flugzeug aus der DDR fliehen wollte und über Google den damaligen Artikel zu seiner Verurteilung fand.
Ein Balanceakt im Internet
Auch Datenschutz spielt eine große Rolle: Wie bei dem deutschen Politiker, der über einen Drogenskandal stolperte und in der Berichterstattung auf seine Privatadresse stieß.
Beide Fälle zeigen, wie delikat die Balance zwischen Privatsphäre, Datenschutz und dem Recht der Nutzer auf Informationszugang ist. Gerade weil das Internet ein Archiv ist, das sich bei allen Quellen bedient und das von allen Punkten der Welt aus zugänglich ist.
Mit seiner Entscheidung hat der EuGH das Recht auf Vergessen nun präzisiert: Wenn Google einen Link löscht, muss dieser in der ganzen EU verschwinden.
Die Suche verändern
Dafür muss der Konzern auch sogenannte Geofilter einsetzen, also die Ergebnisse je nach IP-Adresse des Suchenden verändern. Das ist für den Großkonzern nicht schwierig, aber technisch auch nicht schwer zu umgehen.
Komplizierter wird es bei der Frage, wie es sich außerhalb der EU verhält: Die französische Datenschutzbehörde CNIL hatte im verhandelten Fall Google aufgefordert, mehrere Links gleich weltweit unsichtbar zu machen.
Spielraum für weltweite Sperrung
Diese Entscheidung kippte der EuGH, räumte aber ein: Mitgliedsstaaten haben im Rahmen der EU-Richtlinie grundsätzlich sehr wohl Spielraum, in bestimmten Fällen festzuschreiben, dass Links weltweit aus der Suchliste fliegen.
Dieser Spielraum ist rechtlich nachvollziehbar, politisch aber problematisch: Zwar hat die Abwägung zwischen Informationszugang und schutzbedürftigen Grundrechten wie Privatsphäre tatsächlich nationale Eigenheiten.
Folgen nicht absehbar
Angesichts der globalen Rolle Europas allerdings könnten sich gefährliche Signale für die Internetfreiheit ergeben: Denn weltweite Linksperren "Made in Europe" können noch so gut begründet sein, sie schwächen die Argumente von Google und Co., wenn China, Russland, Thailand oder Saudi-Arabien global Oppositionsäußerungen unsichtbar machen wollen. Und angesichts von antipluralen Tendenzen in EU-Ländern wie Ungarn kann sich der EuGH mittelfristig gezwungen sehen, nochmals klarer zu formulieren, welche Fälle er denn meint.
Ein Sieg für Google, wie vielfach zu lesen war, ist das Urteil also nicht. Vielmehr spiegelt sich in ihm der weltweite Trend, dass das grenzübergreifende Internet immer stärker unter dem Druck nationaler Einzelinteressen steht. Eine Entwicklung, deren zivilisatorische Folgen noch gar nicht abzusehen sind.