Eula Biss: "Was wir haben. Über Besitz, Kapitalismus und den Wert der Dinge"
Aus dem Englischen von Stephanie Singh
München, Hanser Verlag 2021
320 Seiten, 24 Euro
Macht das eigene Haus glücklich?
06:02 Minuten
Eula Biss dachte, ein Hauskauf würde sie glücklicher machen und war sehr irritiert, als das nicht eintraf. Das ist der Ausgangspunkt von "Was wir haben", einem fulminanten, anekdotisch-essayistischen Werk über Besitz und Alltagsleben im Kapitalismus.
Eine halbe Million Dollar bezahlten die Autorin Eula Biss und ihr Ehemann vor wenigen Jahren für ihr neues Haus in Chicago. Sie dachte, der Hauskauf würde sie glücklicher machen und war sehr irritiert, als sie spürte, dass das nicht der Fall war: Es war der Ausgangspunkt zu einer Selbstreflexion über das, "was wir haben", wie wir mit Besitz umgehen und er mit uns – ein fulminantes, anekdotisch-essayistisches Werk über ihr Alltagsleben im Kapitalismus.
Denn das Haus macht auch abhängig: Es muss erhalten bleiben, die Nachbarschaft muss stimmen, es darf nicht an Wert verlieren. Es muss gestrichen und möbliert werden. Welche Farbe will man, welche kann man sich leisten – schließlich lebt man in einem System, in welchem selbst das Weiß der Wandfarbe zu einem Symbol von Distinktion und Schichtenzugehörigkeit geworden ist. Kauft man Möbel als Verbrauchsgüter, folgt man Trends? Fragen, die Eula Biss, die lange sehr prekär lebte, sich nie hatte stellen müssen.
Weiß der Wandfarbe als Statussymbol
Natürlich weiß Eula Biss, dass ihr Hausproblem ein Luxusproblem ist. Sie weiß, dass sie und ihr Mann als gutverdienendes Ehepaar privilegiert sind. Aber sie zeigt, wie Mechanismen in der schönen Warenwelt funktionieren und dass unser Besitz uns abhängig macht und wie der Kapitalismus alle unsere Lebensbereiche durchdringt.
Eula Biss schreibt über das Monopoly-Spiel, das ursprünglich erfunden wurde, um die Probleme eines freien Wohnungsmarktes zu beschreiben. Dessen Erfinderin wurde dann aber Monopoly-mäßig übervorteilt und das Spiel änderte den Fokus. Sie erwähnt preistreibende Absprachen im Kunstmarkt, das Klavierspielen als Fertigkeit der Mittelschichtfrauen, die – wie es hieß – nicht arbeiten müssen. Sie thematisiert Klassengrenzen und Aufstiegsideologie, Mühsal und sinnstiftende Arbeit und die Selbstverwirklichung auf Kosten anderer: Virginia Woolf, die sich mit Hilfe zahlreicher Hausangestellter emanzipierte. Und sie benennt die Schwierigkeiten ihrer Geldanlage: Kein Vorschlag des Beraters scheint ihr moralisch integer. Doch auch da spürt sie ihre eigene Widersprüchlichkeit, denn ihr heutiges Leben verdankt sie einem Stipendium der Guggenheim-Stiftung: Geld, das aus Minen im damaligen Belgisch-Kongo und Angola stammt.
100 Euro für Vordrängeln im Vergnügungspark
Es ist ein immer wieder überraschendes Buch über die für sie weitgehend alternativlos erscheinende Obszönität unseres Systems: Ein Freund der Familie fährt mit seinen Kindern in einen Vergnügungspark. Der Eintritt für die vierköpfige Familie beträgt 260 Dollar. Für weitere 100 Dollar pro Person kann man ein Ticket erwerben, dass Vortritt bei allen Fahrgeschäften gewährt, somit zum Vordrängeln berechtigt und gleichzeitig das Freizeiterlebnis der anderen mindert. Der Name des Parks: Great America.
Anhand von Alltagsbeobachtungen, Gesprächen und Lektüreerfahrungen lotet Eula Biss die Widersprüche im eigenen Handeln und des System aus – eine gelehrte und unterhaltsame, oftmals verblüffende Beschreibung des Lebens im amerikanischen Kapitalismus. Um die Ironie wissend, dass man mit der kritischen Beschreibung desselben sich dort ein recht gutes Leben leisten kann.