Euphorische Symbiose mit dem PC

Von Vera Linß |
Die digitale Spaltung hat Deutschland fest im Griff. Deshalb laufen wir Gefahr, international den Anschluss zu verlieren, so die These von Christian Stöcker. Um Abhilfe zu schaffen, hat er für alle Internetskeptiker die Entwicklung des Netzes nachgezeichnet.
Seine Hoffnung: Je mehr Verständnis die Älteren für die noch junge Netzkultur entwickeln, desto schneller erreicht das Internet alle Teile der Gesellschaft. Denn davon ist die Bundesrepublik weit entfernt. Das Land unterteilt sich – fast 20 Jahre, nachdem das World Wide Web seinen Siegeszug angetreten hat – in Internet-Versteher und solchen, die dem Netz mit Skepsis gegenüber stehen. Das Problem dabei: Regiert werden wir von denen, die noch immer den analogen Welten verhaftet sind und denen der Sinn für die Bedeutung des Internets fehlt.

Warum das so ist, dafür hat Christian Stöcker, Jahrgang 1973, eine einfache Erklärung. Wer nicht wie er mit dem Computer groß geworden ist, kann dessen Sprengkraft nicht nachfühlen, so sein schlichtes Fazit. Und tatsächlich: Für die meisten über 40 ist es fremdes Gebiet, in das er den Leser mitnimmt. In seiner "Geschichte der digitalen Welt" erzählt er von den ersten euphorischen Erlebnissen beim Spielen auf dem C64, dem meistverkauften Heimcomputer weltweit. Und diese Erfahrungen waren nur der Beginn einer Symbiose von Mensch und Maschine, die nach wie vor andauert. Christian Stöcker ist Teil davon. Er beschreibt sie sachkundig und faktenreich.

Er macht fühlbar: Der Ausflug in simulierte Fantasiewelten, die damit untrennbar verbundene Kultur des Raubkopierens, die ungehinderte anonyme Kommunikation untereinander, das von Hacker aufgestellte Postulat, jede Hard- und Software knacken und weiterentwickeln zu können, und schließlich der Einzug ins World Wide Web mit seinen unbegrenzten Möglichkeiten waren so prägend wie für Ältere die Einführung des Fernsehers. An der Konsole und im Netz haben die Computerkids der ersten Generation die größtmögliche Entfaltung des eigenen Handlungsspielraums erlebt. Und das ist für sie bis heute das Maß der Dinge, wenn es um Netzthemen und die Freiheit im Internet geht.

Wenn Vorgängergenerationen das Netz vor allem als Gefahrenquelle empfinden, liegt das aber nicht nur daran, dass ihnen diese Welt fremd ist, wie Christian Stöcker erklärt. Auch wirtschaftliche und politische Gründe führt er an. Dass etwa die ersten deutschen Hacker Mitte der 80er mit dem KGB kooperierten, hat hierzulande nicht nur das Bild von der Hackerkultur, sondern das von der digitalen Welt insgesamt negativ geprägt – und zwar nachhaltig. Hinzu kam die Angst vieler Linksalternativer, Computer könnten Arbeitsplätze zerstören.

Christian Stöcker, bei SPIEGEL-Online verantwortlich für das Ressort Netzwelt, hilft allen Zweiflern mit seinem gut recherchierten, lesenswerten Buch, ihren Blick auf das Internet der Realität anzupassen. Radikal ist er dabei nicht. All jenen, die in der Welt des Webs längst zu Hause sind, dürfte das meiste bekannt sein und seine Forderung nach einem konstruktiven Umgang mit dem Netz kommt tatsächlich ziemlich harmlos daher. Den Versuch, die digitale Spaltung wenigstens ein bisschen zu verkleinern, war es jedoch allemal wert.

Christian Stöcker, Nerd Attack! Eine Geschichte der digitalen Welt vom C64 bis zu Twitter und Facebook
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2011
320 Seiten, 14,99 Euro
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