"Die Griechen wissen nicht, was sie mit der Drachme erwartet"
Der griechische Schriftsteller Petros Markaris hat vor den Folgen eines griechischen Ausstiegs aus dem Euro gewarnt. Seine Landsleute wüssten nicht ausreichend darüber Bescheid, dass der Übergang zur Drachme voraussichtlich katastrophale Folgen hätte.
"Ich finde es berechtigt, dass die Europäer nach dem Ausgang des Referendums sich ganz stark fragen, ob die Griechen tatsächlich in der Eurozone bleiben wollen", sagte der griechische Schriftsteller Petros Markaris im Deutschlandradio Kultur.
Es sei nicht einfach, die Europäer davon zu überzeugen, dass seine Landsleute ein so widersprüchliches Volk seien. Diese hätten einerseits beim Referendum mit "Nein" gestimmt, andererseits aber in der Eurozone bleiben wollen. Man müsse das so deuten, dass die 61,3 Prozent nicht so harte Maßnahmen der EU wünschten.
"Ich verstehe es, weil ich in Griechenland seit mehr als 50 Jahren lebe", sagte Markaris. "Und das heißt nicht, dass ich damit einverstanden bin – ganz im Gegenteil." Er habe selbst beim Referendum mit "Ja" gestimmt.
EU hätte früher handeln müssen
Der Ausstieg aus der Eurozone wäre für Griechenland wirtschaftlich katastrophal, sagte der Autor.
"Ich glaube, dass sich die Griechen nicht bewusst sind, was sie erwartet, sollten sie zurück in die Drachme gehen."
Seine Landsleute hätten keine Ahnung, was sie erwarte. Markaris beklagte, dass die EU es versäumt habe, ganz am Anfang nur Geld zu geben, wenn sich Griechenland reformiere. Stattdessen habe Brüssel Gegenmaßnahmen früherer Regierungen akzeptiert, die das Volk und vor allem den Mittelstand erschöpft hätten.
Er verwies auf die hohe Arbeitslosigkeit von 27 Prozent. "Die sind nicht faul, sie sind einfach arbeitslos", sagte er über seine Landsleute.
Mentalitätswandel nötig
Markaris forderte einen grundlegenden Mentalitätswandel in Griechenland. Dies werde lange dauern und nur eine Minderheit sei dazu bereit. Der Mangel an Veränderungswillen liege vor allem am unzureichenden Bildungssystem, das dringend eine Reform benötige.
Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Petros Markaris ist einer der international erfolgreichsten griechischen Schriftsteller. Er spricht und schreibt gelegentlich auch Griechisch, Deutsch und Türkisch. Er hat als junger Mann einige Jahre in Wien und in Stuttgart Volkswirtschaft studiert, und bei uns wurde er vor allem durch seine gesellschaftskritischen Kriminalromane bekannt. Seit vielen Jahren lebt Petros Markaris in Athen, seit sehr vielen Jahren, und dort begrüße ich ihn jetzt. Guten Morgen, Herr Markaris!
Petros Markaris: Guten Morgen!
Kassel: Schauen Sie gelegentlich in die "Bild-Zeitung"?
Markaris: Wie bitte?
Kassel: Schauen Sie gelegentlich in die deutsche "Bild-Zeitung"?
Markaris: Nein, das tue ich nicht.
Kassel: Sie wissen aber sicherlich dann auch durch griechische Zeitungen, andere Medien, dass dort seit Wochen dafür plädiert wird, Griechenland kein Geld mehr zu geben, und dass dort auch in der Wortwahl steht, wir sollen den "faulen Griechen" kein Geld mehr geben. Verletzt Sie das?
Markaris: Ja. Ein Kommentar dazu wäre, dass die Griechen nicht faul sind. Das stimmt nicht. Die arbeiten. Die arbeiten auch jetzt in den letzten Jahren sehr hart. Und man kann sagen, von faulen Griechen zu sprechen, einem Land mit 27 Prozent Arbeitslosigkeit, ist ein Affront.
Widersprüchliches Volk
Kassel: Verstehen Sie denn, wenn viele Menschen in Europa, zum Teil auch Politiker, das Gefühl haben, am vergangenen Sonntag, beim Referendum, haben sich mehr als 60 Prozent der Griechen dafür ausgesprochen, nicht mehr zu sparen und einfach weiter Geld auszugeben, das sie gar nicht haben?
Markaris: Ja. Also ich glaube, ich finde es berechtigt, dass die Europäer nach dem Ausgang des Referendums, sich ganz stark fragen, ob die Griechen tatsächlich in der Eurozone bleiben wollen. Und es ist ja nicht einfach, sie davon zu überzeugen, dass diese Griechen ein so, sagen wir, widersprüchliches Volk sind, das einerseits im Referendum mit Nein stimmt, andererseits aber in der Zone bleiben wollen, mit nicht so harten Maßnahmen. Denn das war ja – so muss man eben diese 61,3 Prozent in der großen Mehrheit lesen. Ich weiß, das ist nicht einfach für die Europäer zu verstehen. Ich verstehe es, weil ich in Griechenland seit mehr als 50 Jahren lebe. Und das heißt auch nicht, dass ich damit einverstanden bin, ganz im Gegenteil.
Kassel: Aber wie verstehen Sie denn, Sie haben es auch gesagt, nur scheinbaren Widerspruch dieses Abstimmungsergebnisses, weil wir wollen in der Eurozone, aber vor allen Dingen auch in der Europäischen Union bleiben. Greift es zu kurz, wenn man sagt, die Griechen wollen da drin bleiben, weil das für sie wirtschaftlich besser ist, alles andere wäre möglicherweise eine Katastrophe? Ist es auch ein sozusagen kultureller Wunsch, weiter zu Europa zu gehören?
Markaris: Ich glaube also wirklich, es wäre für Griechenland, der Ausstieg aus der Eurozone wäre zuerst einmal wirtschaftlich für Griechenland katastrophal. Ich habe auch deswegen mit Ja gestimmt und nicht mit Nein. Und ich glaube, dass sich die Griechen nicht bewusst sind, was sie erwartet, sollten sie zurück in die Drachme gehen. Davon bin ich fest überzeugt. Sie haben keine Ahnung, was sie erwartet. Das wird eine nicht schwierige, sondern desaströse, sagen wir, ein desaströser Rückgang in eine Vergangenheit sein, die auch viel schwieriger sein wird als in den 60er-Jahren.
Die Fehler der Europäer
Kassel: Wenn Sie zurückgehen, Herr Markaris, ich habe ein Interview gelesen, das Sie vor fünf Jahren der deutschen Zeitung "Die Welt" gegeben haben, vor knapp fünf Jahren, im Oktober 2010. Da ging es, es ist ja alles schon so lange, auch um die griechische Schuldenkrise, und damals haben Sie gesagt, Griechenland ist für mich das ungerechteste Land Europas. Ist das seitdem noch schlimmer geworden?
Markaris: Ja. Es ist schlimmer geworden. Aber man redet viel, auch in Griechenland, aber es gibt Stimmen im Ausland, die das immer wieder sagen, dass eben auch die Europäer Fehler gemacht haben. Wenn Sie mich fragen, was der größte Fehler der Europäer war, der ist ganz am Anfang passiert. Die Europäer hätten ganz am Anfang sagen sollen, liebe Griechen, entweder die Reformen oder gar kein Geld. Sie haben aber akzeptiert, dass die Griechen, die damaligen griechischen Regierungen Gegenmaßnahmen vorgeschlagen haben, die eigentlich das Volk erschöpft haben, und vor allem den Mittelstand. Wenn man sagt, die faulen Griechen, dann müssen doch die Europäer nach Athen kommen, sehen, was für geschlossene Läden sie auf den Straßen finden werden. Die sind nicht faul – sie sind einfach arbeitslos.
Kassel: Sie haben auch damals schon in diesem Interview gesagt, die Probleme begannen nicht erst mit dem Beitritt zur Eurozone, sie begannen vielleicht schon in den 80er-Jahren, den frühen, mit dem Beitritt zur EU.
Markaris: Ja, das sage ich immer wieder.
Kassel: Vielleicht sogar schon noch früher?
Markaris: Ja. Und ich habe immer gesagt, niemals ist in Griechenland so viel Geld eingeflossen aus Subventionen wie am Anfang der 80er-Jahre. Und dieses Geld wurde einfach verschwendet, dieses Geld wurde einfach an die Klientel verteilt. Das weiß jetzt fast jeder in Griechenland. Aber ich muss auch sagen, dass die EU, also die EWG damals, nie kontrolliert hat. Die haben nie gesagt, also liebe Griechen, wir müssen doch sehen, wie sie mit diesem Geld umgehen, denn das ist das Geld des europäischen Steuerzahlers. Das haben sie nie gesagt.
Lange Tradition
Kassel: Langsam sagen das ja die einen oder anderen. Aber Herr Markaris, wenn Sie sagen, das, was jetzt unter anderem ganz stark zu dieser Schuldenkrise geführt hat, hat eine so lange Tradition, mindestens führt es zurück bis in die 80er-Jahre, von der Mentalität führt es uns vielleicht 200 Jahre zurück oder mehr – wie kann man sich das denn jetzt kurzfristig wieder abgewöhnen? Denn alle reden davon, wir haben jetzt Zeit bis Freitag oder bis Sonntag, dann muss die Krise gelöst sein, sonst wird sie eskalieren.
Markaris: Ich glaube, die Europäer wollen den Griechen so weit entgegen kommen, dass sie eine neue, kurze Frist von vier Monaten geben, in der die Griechen ein Programm machen und das auch umsetzen, was heute auch für mich vielleicht vernünftig, wenn auch kurz erscheint. Es wäre viel effizienter gewesen, wenn man das am Anfang gemacht hätte. Und einen Mentalitätswandel in Griechenland herbeizuführen, das wird dauern. Es kann nicht in vier Monaten also der Fall sein, es wird länger dauern. Da muss man sich eben am Anfang sich mehr darum kümmern, dass die Griechen, was sie akzeptiert haben, auch umsetzen. Der Mentalitätswandel, der wird dauern.
Kassel: Ist denn die Mehrheit der Griechen, ein paar Eliten werden das sicher nicht sein, weil es nicht in ihrem Sinne sein kann, aber ist denn die Mehrheit der Griechen bereit zu diesem Mentalitätswandel?
Markaris: Ich kann die Frage so beantworten, dass ich Ihnen sage, ja, ein Teil, aber das ist eine Minderheit, wäre für diesen Mentalitätswandel bereit. Aber die große Mehrheit, da habe ich meine Probleme und meine Bedenken. Und ich muss sagen, ich habe meine Probleme und meine Bedenken, weil ich fest davon überzeugt bin, dass dieser Mentalitätswandel oder der Mangel an einem Mentalitätswandel am Bildungssystem liegt in Griechenland. Und man muss unter anderem das Bildungssystem reformieren, aber das ist nicht die Sache der Europäer. Das hätten man schon lange machen müssen. Dafür sind die Europäer weder schuld noch zuständig.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.