Im letzten Zug über die Vogelfluglinie
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Mit der Bahn von Hamburg nach Kopenhagen fahren, hieß jahrelang erst Zug und dann Fähre im Zug fahren. Für die Strecke wird nun ein Tunnel gebaut. Ein letztes Mal unterwegs mit dem Eurocity entlang der "Vogelfluglinie".
Aram Vissers ist ein Hüne. Er hat lange blonde Haare und einen Rauschebart. An diesem Samstagnachmittag ist Aram Wissers extra aus seiner Heimatstadt Utrecht angereist. Nun steht er auf Gleis 8 des Hamburger Hauptbahnhofs und wartet auf den Eurocity nach Kopenhagen:
"Bahnfahren ist wirklich reisen. Mit dem Flieger – du steigst auf, Wolken, Wolken, Wolken – du kommst wieder runter und du bist komplett in einer anderen Welt. Mit der Bahn ändert sich die Welt, ändern sich die Leute, die ganze Strecke. Und das ist für mich wirklich reisen. Das gefällt mir."
Die schönste statt die schnellste Verbindung
Aram ist Bahnfan, hat 32 Länder per Zug bereist. Nach Möglichkeit wählt er nicht die schnellste Verbindung. Sondern die schönste. Der Eurocity von Hamburg nach Kopenhagen, die sogenannte Vogelfluglinie, ist da ein Leckerbissen. Schließlich gibt es in Europa, nur noch ganz wenige Verbindungen, bei denen ein Fernzug Fähre fährt. Und das auch noch 45 Minuten!
Doch bald wird ein Tunnel zwischen der deutschen Ostseeinsel Fehmarn und dem dänischen Rødby gebaut. Deshalb fährt der Eurocity ab sofort die Jütland-Route. Über Land und Brücken statt schippernd über das Wasser. Damit endet ein Kapitel europäischer Eisenbahngeschichte. Ob die deutsche und die dänische Bahn zum Abschied heute Abend etwas vorbereitet haben? Aram zuckt mit den Schultern:
"Ich habe von anderen Leuten hier auf dem Bahnsteig gehört, dass vermutlich nichts passiert."
56 Jahre mit dem Zug in der Fähre
Die Vogelfluglinie ist der kürzeste Weg von Hamburg nach Kopenhagen. Zur Einweihung der Fährverbindung von Puttgarden nach Rødby am 14.Mai 1963 reisten der dänische König, der deutsche Bundespräsident und viel Prominenz an den Fehmarnbelt.
56 Jahre später hat die Deutsche Bahn zur letzten Fahrt des Eurocity 39 noch nicht einmal eine Pressemitteilung verschickt. Fast alle interessierten Journalisten haben Absagen bekommen, weil Interviews angeblich Fahrgäste stören könnten. Auch Gespräche mit dem DB-Personal sind untersagt. Dass die beiden Schaffner Peter und Frank an diesem Abend bedrückt sind, hört man allerdings auch so:
"Herzlich willkommen im Eurocity-Zug der deutschen und dänischen Bahn nach Kopenhagen auf der letzten Fahrt nach Kopenhagen über den Fehmarnbelt. Genießen Sie die Fahrt noch schön, ab morgen geht es nur noch über das Festland via Frederecia nach Kopenhagen."
Ostholstein vom Fernverkehr abgehängt
Der dänische Zug mit der charakteristischen schwarzen Gummischnauze zuckelt jetzt durch Ostholstein. Hier sehen viele im geplanten Fehmarnbelttunnel eine Bedrohung für die Umwelt und den Tourismus. Doch die Fahrgäste, die im holsteinischen Oldenburg aussteigen, ärgern sich jetzt erstmal darüber, dass Ostholstein fast komplett vom Fernverkehr der Bahn abgehängt wird.
Nach anderthalb Stunden rollt zum letzten Mal in Puttgarden ein Zug im Schritttempo in den weit geöffneten Schiffsbauch. Gerade so passen die sechs Waggons rein. An der Schiffsklappe stehen mehr als ein Dutzend Zugfans mit ihren Kameras.
Pflichtprogramm für Zugfans
Oben, auf dem Schiffsdeck gönnen sich nur wenige Minuten später Alan und sein Bruder Ronin ein Dosenbier. Die beiden Brüder sind extra aus Dublin angereist, um noch einmal auf der alten Vogelfluglinie von Hamburg nach Kopenhagen zu fahren. Das sei Pflicht, sagt Alan.
Alan ist Busfahrer in Dublin. Aber gleichzeitig überzeugt, dass der Zug das beste Verkehrsmittel sei. Auf dem Schiffsdeck in der deutsch-dänischen Nacht trifft er zufällig einen Kollegen. Knud ist ebenfalls Bahnfan. Und Busfahrer in Oslo. Er meint: Züge verbinden nicht nur Orte. Sondern auch Menschen.
Nach 45 Minuten ist der Hafen von Rødby erreicht. An der Zugspitze hängen eine deutsche und dänische Flagge. Hinter der Scheibe nimmt Lokführer Ove Lunden Platz. Ein trauriger Abend sei das heute, meint der 61-Jährige. Gerade angesichts der ganzen Klimadebatten sei es doch seltsam, dass ausgerechnet der Zug auf der kürzesten Route gestrichen werde und die Dieselzüge jetzt einen längeren Weg über Land nehmen.
Ab 2028 die schnellste statt die schönste Verbindung
Ein paar Wagen dahinter sitzt Susan Munk mit ihrem Strickzeug. Sie reist oft von ihrem Wohnort nahe Kopenhagen nach Deutschland. Nur zufällig hat sie heute erfahren, dass sie im letzten Eurocity sitzt. Wobei – was heißt hier letzter Eurocity? Das Tunnelprojekt könnte sich verzögern, sagt Munk, am Ende könnte der umweltfreundliche Zug auf die Fähre zurückkehren.
Doch dass das Tunnelprojekt nochmal gekippt wird, scheint sehr unwahrscheinlich. 2028 könnte das Bauwerk fertig sein. In zweieinhalb Stunden würden die Züge dann von Hamburg nach Kopenhagen brausen. Das wäre dann vielleicht nicht mehr die schönste Route. Aber die schnellste.