Euroland sucht seine Demokratie
Es geht jetzt darum, die europäische und die nationale Parlamentsebene miteinander zu verschränken. Die Parlamente sollen gemeinsam ihre Kontrollfunktion gegenüber der europäischen Exekutive wahrnehmen. Darin liegt der Schatz der demokratischen Gewaltenteilung, meint Ulrike Guérot.
Schleichend verändern sich die Begriffe. "Die Vereinigten Staaten von Europa", das war gestern. Jetzt geht es um die Ausgestaltung der europäischen Demokratie.
Die Forderung nach "Mehr Europa" ist auch out, ein anderes Europa wird gesucht – und dieses andere Europa soll vor allem eins sein: demokratischer, parlamentarischer, bürgernaher und mit mehr Partizipation und Legitimität ausgestattet. Bürger vereinen, nicht Staaten, das ist der neue Trend – und dieser Trend ist gut!
Gleichzeit verschwinden Reizwörter aus der Europadebatte: Es geht nicht mehr um föderal versus intergouvernemental, sondern das neue Code-Wort der Zusammenarbeit ist transnational.
Auffällig war zum Beispiel, dass Bundespräsident Gauck in seiner vielbeachteten Europa-Rede Ende Februar sowohl den Begriff des "europäischen Bundesstaates" als auch jenen der "Vereinigen Staaten von Europa" gemieden hat. Stattdessen sprach er – und zwar gleich zweimal – von der Ausgestaltung einer europäischen Demokratie im Sinne einer res publica: also der Ausübung hoheitlicher Gewalt im Sinne eines gemeinsam zu verwaltenden europäischen Gemeingutes.
Und darüber wird jetzt nachgedacht. Auf den gemeinsamen Binnenmarkt folgten erst die Währungsunion und kürzlich die europäische Bankenaufsicht. Künftig sollen die ureigenen souveränen Rechte in Haushalts- und Steuerfragen, von denen letztlich auch eine einheitliche Sozialpolitik in Europa abhängt, irgendwie gemeinsam – eben transnational – ausgeübt werden können. Kurz: Euroland sucht seine Demokratie!
Befördert durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes geht es dabei vor allem um die Stärkung der nationalen Parlamente im politischen System Europas. Transnational heißt, demokratisch regieren und legitimieren jenseits von Landesgrenzen.
Eine Kostprobe hat der Deutsche Bundestag kürzlich davon gegeben, als er eine Brüsseler Direktive über die europäische Bankenaufsicht durch ein deutsches Zustimmungsgesetz gleichsam mit einer Sahnehaube nationaler Legitimität bedeckt und damit politisch gestärkt hat – ganz im Sinne des neuen Integrationsverantwortungsgesetzes. Das wäre rechtlich nicht unbedingt notwendig gewesen, denn eigentlich hat Europarecht Vorrang vor nationalem Recht.
Es geht jetzt um die Neuordnung des europäischen Parlamentarismus, also darum, die europäische und die nationale Parlamentsebene miteinander zu verschränken. Darum führt jede Diskussion in die Irre, die die Rechte des Europa-Parlaments gegen jene der nationalen Parlamente stellt und einen der beiden zum Verlierer machen will: Es bedarf vielmehr einer gemeinsam ausgeübten, nationalen und europäischen parlamentarischen Kontrollverantwortung gegenüber einer europäischen Exekutive.
Genau da liegt der Schatz der politischen Gewaltenteilung, den es jetzt für Europa zu heben gilt: Legislative versus Exekutive! So muss es sein in der Politik – und damit auch in der zukünftigen europäischen Demokratie.
Es kann indes gut sein, dass die Europäische Union ihre Bürger zu spät entdeckt – und anders als ihr lieb ist. Bei den nächsten Parlamentswahlen im Mai 2014, im Jahr 5 nach der Euro-Krise, könnten nicht nur Briten wie Franzosen viele Europagegner als Abgeordnete nach Straßburg und Brüssel schicken. Und wie eine ganze Generation von enttäuschten und arbeitslosen jungen Italienern, Spaniern und Griechen abstimmen wird, kann man nur erahnen, denn nicht jeder unter 25 ist Erasmus- oder Easyjet-Jugend.
Doch 2014 ist nicht nur das Jahr der Europawahlen, sondern ein weiteres Jahr der Annäherung an das 500-jährige Jubiläum der Reformation. Und Martin Luther hat bekanntlich gesagt, dass es nie zu spät ist, einen Apfelbaum zu pflanzen. In diesem Sinne: Es lebe die Idee der europäischen res publica!
Ulrike Guérot leitet seit 2007 das Berliner Büro des European Council on Foreign Relations. Zuvor war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin des German Marshall Fund, der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages. Als Juniorprofessorin lehrte sie an der amerikanischen Johns Hopkins Universität. Für ihr europäisches Engagement wurde sie mit dem ‘Ordre pour le Merite' ausgezeichnet.
Die Forderung nach "Mehr Europa" ist auch out, ein anderes Europa wird gesucht – und dieses andere Europa soll vor allem eins sein: demokratischer, parlamentarischer, bürgernaher und mit mehr Partizipation und Legitimität ausgestattet. Bürger vereinen, nicht Staaten, das ist der neue Trend – und dieser Trend ist gut!
Gleichzeit verschwinden Reizwörter aus der Europadebatte: Es geht nicht mehr um föderal versus intergouvernemental, sondern das neue Code-Wort der Zusammenarbeit ist transnational.
Auffällig war zum Beispiel, dass Bundespräsident Gauck in seiner vielbeachteten Europa-Rede Ende Februar sowohl den Begriff des "europäischen Bundesstaates" als auch jenen der "Vereinigen Staaten von Europa" gemieden hat. Stattdessen sprach er – und zwar gleich zweimal – von der Ausgestaltung einer europäischen Demokratie im Sinne einer res publica: also der Ausübung hoheitlicher Gewalt im Sinne eines gemeinsam zu verwaltenden europäischen Gemeingutes.
Und darüber wird jetzt nachgedacht. Auf den gemeinsamen Binnenmarkt folgten erst die Währungsunion und kürzlich die europäische Bankenaufsicht. Künftig sollen die ureigenen souveränen Rechte in Haushalts- und Steuerfragen, von denen letztlich auch eine einheitliche Sozialpolitik in Europa abhängt, irgendwie gemeinsam – eben transnational – ausgeübt werden können. Kurz: Euroland sucht seine Demokratie!
Befördert durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes geht es dabei vor allem um die Stärkung der nationalen Parlamente im politischen System Europas. Transnational heißt, demokratisch regieren und legitimieren jenseits von Landesgrenzen.
Eine Kostprobe hat der Deutsche Bundestag kürzlich davon gegeben, als er eine Brüsseler Direktive über die europäische Bankenaufsicht durch ein deutsches Zustimmungsgesetz gleichsam mit einer Sahnehaube nationaler Legitimität bedeckt und damit politisch gestärkt hat – ganz im Sinne des neuen Integrationsverantwortungsgesetzes. Das wäre rechtlich nicht unbedingt notwendig gewesen, denn eigentlich hat Europarecht Vorrang vor nationalem Recht.
Es geht jetzt um die Neuordnung des europäischen Parlamentarismus, also darum, die europäische und die nationale Parlamentsebene miteinander zu verschränken. Darum führt jede Diskussion in die Irre, die die Rechte des Europa-Parlaments gegen jene der nationalen Parlamente stellt und einen der beiden zum Verlierer machen will: Es bedarf vielmehr einer gemeinsam ausgeübten, nationalen und europäischen parlamentarischen Kontrollverantwortung gegenüber einer europäischen Exekutive.
Genau da liegt der Schatz der politischen Gewaltenteilung, den es jetzt für Europa zu heben gilt: Legislative versus Exekutive! So muss es sein in der Politik – und damit auch in der zukünftigen europäischen Demokratie.
Es kann indes gut sein, dass die Europäische Union ihre Bürger zu spät entdeckt – und anders als ihr lieb ist. Bei den nächsten Parlamentswahlen im Mai 2014, im Jahr 5 nach der Euro-Krise, könnten nicht nur Briten wie Franzosen viele Europagegner als Abgeordnete nach Straßburg und Brüssel schicken. Und wie eine ganze Generation von enttäuschten und arbeitslosen jungen Italienern, Spaniern und Griechen abstimmen wird, kann man nur erahnen, denn nicht jeder unter 25 ist Erasmus- oder Easyjet-Jugend.
Doch 2014 ist nicht nur das Jahr der Europawahlen, sondern ein weiteres Jahr der Annäherung an das 500-jährige Jubiläum der Reformation. Und Martin Luther hat bekanntlich gesagt, dass es nie zu spät ist, einen Apfelbaum zu pflanzen. In diesem Sinne: Es lebe die Idee der europäischen res publica!
Ulrike Guérot leitet seit 2007 das Berliner Büro des European Council on Foreign Relations. Zuvor war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin des German Marshall Fund, der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages. Als Juniorprofessorin lehrte sie an der amerikanischen Johns Hopkins Universität. Für ihr europäisches Engagement wurde sie mit dem ‘Ordre pour le Merite' ausgezeichnet.