Euromediterraner Aufbruch
Marseille bereitet sich darauf vor, ab Januar Kulturhauptstadt Europas zu werden. Baustellen im gesamten Zentrum künden von Aufbruchstimmung. Gleich drei neue Museen verändern schon jetzt das Gesicht der französischen Mittelmeer-Metropole.
Ein Würfel aus großen Glasflächen, draußen vor dem malerischen Alten Hafen von Marseille. Die Hafeneinfahrt wird durch zwei mächtige Bollwerke mit dicken Türmen und Wehrmauern kontrolliert. Direkt daneben auf der Mole wird an Marseilles neuen Museen gebaut.
"Das architektonische Prinzip ist, große Ausstellungssäle vorzuschlagen, 50 Meter lang, 25 Meter breit, die Stützen frei, auf drei Seiten Blick auf die Stadt, aufs Mittelmeer, auf die Weite, den Horizont."
... sagt Tilman Reichert, der deutsche Projektleiter des in Algerien geborenen Architekten Rudy Riciotti. Das Besondere an diesem hochmodernen Gebäude für das "Museum der Kulturen Europas und des Mittelmeers", kurz MuCem genannt: Wie ein Netz legt sich eine zweite Haut um den Würfel.
"Die sind von außen mit einem Beton-Gewebe verhüllt. Wir nennen das ein Gewebe, das ist ein Sonnenschutzelement , eine Sonnenschutzfassade."
Das feine Gespinst aus organisch geformten Beton-Schleifen schmiegt sich um das Gebäude wie eine Art Gardine. Zwischen diesem Vorhang und dem eigentlichen Korpus werden gerade die Stege angebracht, auf denen die späteren Besucher außen um das Museum herumlaufen können. Das ist genial gedacht: Das Museum erschließt sich als Teil eines Spaziergangs. Ein sich nach oben schlängelndes Band, von dem aus entweder die Exponate im Gebäude betrachtet werden können. Oder – durch das Beton-Geflecht hindurch – die wirklich atemberaubende und aus dieser Perspektive völlig neue Aussicht auf Marseille - und aufs Mittelmeer.
"Das ist ein Museum, das sich um alle Fragen kümmert, die sich mit den Kulturen rund um das Mittelmeer beschäftigen. Die Beziehungen der Mittelmeerstaaten untereinander sowie ihr Verhältnis zu Europa. Die Besonderheit ist, dass wir den Blick umdrehen. Wir blicken hier von Marseille aus, vom Mittelmeer aus auf Europa. Das ist einzigartig, denn es gibt weltweit kein Museum, das sich auf diese Weise mit diesen Fragen beschäftigt."
...sagt Bruno Suzzarelli, der Direktor dieses in so geglücktem Kontrast neben die alten Wehranlagen gesetzten MuCem. Auch auf der Broschüre, die für die Kulturhauptstadt "MarseilleProvence 2013" wirbt, ist die eurozentristische Weltkarte auf den Kopf gestellt: Marseille liegt in der Mitte, das Meer darüber, Paris und Nordeuropa unten.
"Die Kolonisierung wird in unserem Museum auch vom Standpunkt des Kolonisierten aus betrachtet werden: Was waren die positiven und negativen Effekte? Begleitend zu unseren großen Ausstellungen werden wir in Debatten und Kongressen die jeweiligen Themen vertiefen, mit Künstlern aus Europa, aus Frankreich, Nordafrika oder der Türkei. Eine der großen Eröffnungsausstellungen dreht sich um das Verhältnis Mann-Frau und um das Recht, seine Sexualität zu leben. Das sind aktuelle Fragen, die ein Museum wie unseres aufgreifen muss, besonders da, wo es Streit gibt – und eben nicht nur dort, wo ein Konsens herrscht."
Direkt neben dem MuCem wird die architektonisch mindestens ebenso markante "Villa Méditerranée" hochgezogen – ein in den Boden gerammtes Winkeleisen, dessen obere Seite in schwindelnder Höhe frei über dem Platz schwebt. In einem alten Hafensilo ist ein Konzertsaal untergebracht. Und der gigantische Hangar J4 etwas weiter soll als Kulminationspunkt der Kulturhauptstadt für wechselnde Ausstellungen dienen.
Für die künstlerischen Inhalte von "MarseilleProvence 2013" wurde der deutsche Kulturmanager Ulrich Fuchs als stellvertretender Direktor engagiert. Fuchs hat bereits das österreichische Linz erfolgreich durch das Kulturhauptstadtjahr 2009 geleitet und macht sich derzeit mit 70 Mitarbeitern in einem historischen Palais im Stadtzentrum Gedanken darüber, wie sich das Programm für Marseille am besten umsetzen lässt:
"Kulturhauptstadt wird man nicht deswegen, weil man schon soviel geleistet hat, sondern weil man sich entschlossen hat, Kultur als einen Motor der Stadtentwicklung zu definieren ... Seit 2600 Jahren kommen Leute hier im Hafen an, integrieren sich, werden aufgenommen mit all den Schwierigkeiten und Brüchen. Die Stadt ist gekennzeichnet durch ein hohes Maß an Kosmopolitismus, auch die Fähigkeit, Leute aufzunehmen. Das ist ein Essential von Marseille."
Warum ausgerechnet ein Deutscher an so entscheidender Stelle für die Kulturhauptstadt Marseille verpflichtet wurde? - Vielleicht, meint Ulrich Fuchs mit leicht ironischem Unterton, weil aus südfranzösischer Sicht dafür jeder besser geeignet ist, als einer aus der verhassten Hauptstadt Paris. Denn von der zentralistischen Regierung lassen sich die in höchstem Maße lokalpatriotischen Marseiller ungern reinreden.
Fuchs setzt darauf, die kulturelle Vielfalt Marseilles hervorlocken zu können. Denn Architektur alleine, sei sie auch so spektakulär wie die des neuen Museums der mediterranen Kulturen, kann eine Stadt mit so gravierenden sozialen Problemen wie Marseille natürlich nicht von heute auf morgen verändern.
Aber immerhin versetzt das Docklands-Projekt in Kombination mit den Vorbereitungen auf die Kulturhauptstadt die Mittelmeer-Metropole spürbar in Aufbruchstimmung. Groß sind die Hoffnungen, das bislang vor allem für seine Fischsuppe berühmte Marseille kulturell, aber auch wirtschaftlich auf ein höheres Niveau hieven zu können – eine Art Bilbao-Effekt für die Bouillabaisse-Metropole!
"Das architektonische Prinzip ist, große Ausstellungssäle vorzuschlagen, 50 Meter lang, 25 Meter breit, die Stützen frei, auf drei Seiten Blick auf die Stadt, aufs Mittelmeer, auf die Weite, den Horizont."
... sagt Tilman Reichert, der deutsche Projektleiter des in Algerien geborenen Architekten Rudy Riciotti. Das Besondere an diesem hochmodernen Gebäude für das "Museum der Kulturen Europas und des Mittelmeers", kurz MuCem genannt: Wie ein Netz legt sich eine zweite Haut um den Würfel.
"Die sind von außen mit einem Beton-Gewebe verhüllt. Wir nennen das ein Gewebe, das ist ein Sonnenschutzelement , eine Sonnenschutzfassade."
Das feine Gespinst aus organisch geformten Beton-Schleifen schmiegt sich um das Gebäude wie eine Art Gardine. Zwischen diesem Vorhang und dem eigentlichen Korpus werden gerade die Stege angebracht, auf denen die späteren Besucher außen um das Museum herumlaufen können. Das ist genial gedacht: Das Museum erschließt sich als Teil eines Spaziergangs. Ein sich nach oben schlängelndes Band, von dem aus entweder die Exponate im Gebäude betrachtet werden können. Oder – durch das Beton-Geflecht hindurch – die wirklich atemberaubende und aus dieser Perspektive völlig neue Aussicht auf Marseille - und aufs Mittelmeer.
"Das ist ein Museum, das sich um alle Fragen kümmert, die sich mit den Kulturen rund um das Mittelmeer beschäftigen. Die Beziehungen der Mittelmeerstaaten untereinander sowie ihr Verhältnis zu Europa. Die Besonderheit ist, dass wir den Blick umdrehen. Wir blicken hier von Marseille aus, vom Mittelmeer aus auf Europa. Das ist einzigartig, denn es gibt weltweit kein Museum, das sich auf diese Weise mit diesen Fragen beschäftigt."
...sagt Bruno Suzzarelli, der Direktor dieses in so geglücktem Kontrast neben die alten Wehranlagen gesetzten MuCem. Auch auf der Broschüre, die für die Kulturhauptstadt "MarseilleProvence 2013" wirbt, ist die eurozentristische Weltkarte auf den Kopf gestellt: Marseille liegt in der Mitte, das Meer darüber, Paris und Nordeuropa unten.
"Die Kolonisierung wird in unserem Museum auch vom Standpunkt des Kolonisierten aus betrachtet werden: Was waren die positiven und negativen Effekte? Begleitend zu unseren großen Ausstellungen werden wir in Debatten und Kongressen die jeweiligen Themen vertiefen, mit Künstlern aus Europa, aus Frankreich, Nordafrika oder der Türkei. Eine der großen Eröffnungsausstellungen dreht sich um das Verhältnis Mann-Frau und um das Recht, seine Sexualität zu leben. Das sind aktuelle Fragen, die ein Museum wie unseres aufgreifen muss, besonders da, wo es Streit gibt – und eben nicht nur dort, wo ein Konsens herrscht."
Direkt neben dem MuCem wird die architektonisch mindestens ebenso markante "Villa Méditerranée" hochgezogen – ein in den Boden gerammtes Winkeleisen, dessen obere Seite in schwindelnder Höhe frei über dem Platz schwebt. In einem alten Hafensilo ist ein Konzertsaal untergebracht. Und der gigantische Hangar J4 etwas weiter soll als Kulminationspunkt der Kulturhauptstadt für wechselnde Ausstellungen dienen.
Für die künstlerischen Inhalte von "MarseilleProvence 2013" wurde der deutsche Kulturmanager Ulrich Fuchs als stellvertretender Direktor engagiert. Fuchs hat bereits das österreichische Linz erfolgreich durch das Kulturhauptstadtjahr 2009 geleitet und macht sich derzeit mit 70 Mitarbeitern in einem historischen Palais im Stadtzentrum Gedanken darüber, wie sich das Programm für Marseille am besten umsetzen lässt:
"Kulturhauptstadt wird man nicht deswegen, weil man schon soviel geleistet hat, sondern weil man sich entschlossen hat, Kultur als einen Motor der Stadtentwicklung zu definieren ... Seit 2600 Jahren kommen Leute hier im Hafen an, integrieren sich, werden aufgenommen mit all den Schwierigkeiten und Brüchen. Die Stadt ist gekennzeichnet durch ein hohes Maß an Kosmopolitismus, auch die Fähigkeit, Leute aufzunehmen. Das ist ein Essential von Marseille."
Warum ausgerechnet ein Deutscher an so entscheidender Stelle für die Kulturhauptstadt Marseille verpflichtet wurde? - Vielleicht, meint Ulrich Fuchs mit leicht ironischem Unterton, weil aus südfranzösischer Sicht dafür jeder besser geeignet ist, als einer aus der verhassten Hauptstadt Paris. Denn von der zentralistischen Regierung lassen sich die in höchstem Maße lokalpatriotischen Marseiller ungern reinreden.
Fuchs setzt darauf, die kulturelle Vielfalt Marseilles hervorlocken zu können. Denn Architektur alleine, sei sie auch so spektakulär wie die des neuen Museums der mediterranen Kulturen, kann eine Stadt mit so gravierenden sozialen Problemen wie Marseille natürlich nicht von heute auf morgen verändern.
Aber immerhin versetzt das Docklands-Projekt in Kombination mit den Vorbereitungen auf die Kulturhauptstadt die Mittelmeer-Metropole spürbar in Aufbruchstimmung. Groß sind die Hoffnungen, das bislang vor allem für seine Fischsuppe berühmte Marseille kulturell, aber auch wirtschaftlich auf ein höheres Niveau hieven zu können – eine Art Bilbao-Effekt für die Bouillabaisse-Metropole!