"Europa braucht die Türkei und die Türkei braucht Europa"
Die Türkei wird immer wichtiger. Ob die Sicherheit im Nahen Osten, die Energietransporte nach Europa oder die wachsende Wirtschaftsleistung, das Land sei eine Mittel-bzw. Ordnungsmacht in der Region geworden, sagt Colin Dürkop, Leiter des Auslandsbüros der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in Ankara.
Nana Brink: Nach dem Besuch bei den deutschen Soldaten der Patriot-Abwehrstaffel, die an der Grenze zur Syrien stationiert sind, und dem Besuch an den frühchristlichen Stätten in Kapadokien geht es für Bundeskanzlerin Merkel an diesem Tag ihres Türkei-Besuchs nun ums Eingemachte – die stockenden EU-Beitrittsgespräche. Sie möchte sie wieder beleben, ließ sie vor Abreise verlauten, ergebnisoffen.
Und dann war sie wohl nicht begeistert zum Beispiel von den im Vorfeld laut gewordenen Äußerungen des deutschen EU-Kommissars Günther Oettinger, der meinte, deutsche und französische Spitzenpolitiker würden in zehn Jahren auf Knien nach Ankara robben, um die Türkei um einen Beitritt zu bitten. Und genau darüber möchte ich jetzt mit Colin Dürkopp sprechen. Er ist Leiter des Auslandsbüros der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in der Türkei. Schönen guten Morgen, Herr Dürkop!
Colin Dürkop: Schönen guten Morgen, Frau Brink.
Brink: In Abwandlung des Zitats von EU-Kommissar Oettinger: Wie sehr braucht Europa die Türkei?
Dürkop: Nun, ich denke mal, das sind die zwei Seiten ein- und derselben Medaille, also Europa braucht die Türkei und die Türkei braucht Europa in gleichen Maßen. Beide sind füreinander in gleichen Maßen wichtig. Also wir haben ja auch, was jetzt Deutschland angeht, wir haben drei Millionen in Deutschland lebende Menschen türkischer Herkunft. Die sind ja ein sehr bedeutender Faktor in den bilateralen Beziehungen und in der deutschen Innenpolitik. Dann spielt natürlich die Türkei im unruhigen Nahen Osten eine immer wichtigere Rolle. Sie ist mittlerweile eigentlich zu einer regionalen Mittelmacht beziehungsweise Ordnungsmacht geworden.
Das zeigt sich ja jetzt ganz aktuell bei dem Krisenland Syrien, aber auch, was den Irak, Iran und so weiter betrifft. Ein weiterer Faktor ist die Energiesicherheit für Deutschland und Europa. Ganz wichtig, die Türkei ist das Schlüsselland für die Energietransporte aus dem Nahen Osten in den Westen und spielt daher eine besonders wichtige Rolle. Und letztlich auch, was die Wirtschaft betrifft, sind die Türkei und Europa, und insbesondere auch Deutschland schon seit jeher sehr wichtig füreinander.
Brink: Aber all das, was Sie jetzt erwähnt haben, pardon, das könnte doch alles auch in einer sogenannten privilegierten Partnerschaft, das ist ja das Wort, das immer gern benutzt wird, eigentlich vollzogen werden. Warum dann ein Beitritt?
Dürkop: Nein, die Türkei will schon seit Republikgründung und auch vorher schon immer nahe an Europa sein. Der Blick ist immer auf Westen gerichtet gewesen und die Türkei hat ja seit acht Jahren offiziellen Beitragskandidatenstatus und ist in offiziellen Beitrittsverhandlungen. Und aus ihrer Sicht kann man dann nicht im selben Maße dann plötzlich sagen, dass es nur eine privilegierte Partnerschaft geben soll. Das ist die türkische Sicht.
Beide Seiten sind sich natürlich einig, dass es ein langer und schwieriger Prozess ist, und dass er auch ergebnisoffen ist. Denn letztendlich wissen beide Seiten, dass am Ende des Prozesses also alle 27 Mitgliedsländer auch über den Beitritt abstimmen müssen. Und auch die Türkei wird dann darüber abzustimmen haben. Das sagt zum Beispiel auch der türkische Staatspräsident Gül bei jeder seiner Europareisen.
Brink: Sie leben nun in der Türkei. Spüren Sie, dass es ein wirkliches Interesse der Türkei an Europa gibt?
Dürkop: Ja, das ist immer ein schwankender Prozess. Im Moment ist natürlich die Zustimmungsrate eher gering, weil auch die türkische Bevölkerung mitkriegt die, sagen wir mal, doch ablehnende Haltung auch von einigen europäischen Ländern. Das hat natürlich auch Einfluss auf die Einstellung der türkischen Bevölkerung. Also im Moment ist sie eher niedrig.
Brink: Sie haben Präsident Gül erwähnt, der sehr für eine – sozusagen Verhandlungen in Richtung Europa plädiert. Dem gegenüber steht aber zum Beispiel der Ministerpräsident Erdogan. Der hatte ja vor wenigen Wochen öffentlich über ein Ende der türkischen EU-Bewerbung nachgedacht und einen Beitritt seines Landes zu der von China und Russland dominierten Organisation der Shanghai Five. Das ist doch eigentlich eine Absetzbewegung.
Dürkop: Nein, ich würde nicht sagen, es ist eine Absetzbewegung. Es ist natürlich in dem Maße, wo von der EU Signale kommen, dass die Türkei nicht willkommen ist, oder es auch am Ende des Prozesses nie schaffen würde, denkt sich der Ministerpräsident natürlich, was gibt es für andere Optionen. Und nun sind die Länder, die in der Shanghai-Five-Organisation sind, natürlich alle aufstrebende Wirtschaftsmächte.
Das Wirtschaftsleben verlagert sich und die Möglichkeiten ja auch zunehmend, das sehen wir ja auch in einigen europäischen Ländern, zunehmend in den asiatischen Raum. Insofern ist es vielleicht gar nicht mal so abwegig, dass er auch darüber nachgedacht hat. Aber das heißt ja nicht, dass es ein Ersatz ist für die europäische Option. Es ist – natürlich muss die Türkei in solchen Umständen auch in Alternativen denken.
Brink: Was erwarten Sie von Bundeskanzlerin Merkel heute?
Dürkop: Nun, die Erwartungen sind natürlich sehr hoch, das hat man auch im Vorfeld des Besuches gesehen. Wenn eine deutsche Regierungschefin in die Türkei kommt als Vertreterin des größten und wichtigsten europäischen Landes, sind natürlich die Erwartungen sehr hoch. Es wurde vor allem auch betont ihre Signale in Richtung, dass jetzt neue Kapitel in den EU-Beitrittsverhandlungen eröffnet werden sollen, dass in diesen ins Stocken geratenen Prozess wieder mehr Schwung kommen soll. Dann wurde natürlich auch sehr positiv gewertet, dass sie ihren Besuch nicht nur als Kurzvisite, sondern einen zweitägigen Besuch ausgedehnt hat und mit einer wirklich sehr, sehr potenten Wirtschaftsdelegation in die Türkei kommt.
Brink: Colin Dürkop, Leiter des Auslandsbüros der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in der Türkei. Schönen Dank, Herr Dürkop, für das Gespräch.
Dürkop: Ich danke auch. Auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Weitere Informationen zum Auslandsbüro der Konrad-Adenauer-Stiftung in der Türkei
Und dann war sie wohl nicht begeistert zum Beispiel von den im Vorfeld laut gewordenen Äußerungen des deutschen EU-Kommissars Günther Oettinger, der meinte, deutsche und französische Spitzenpolitiker würden in zehn Jahren auf Knien nach Ankara robben, um die Türkei um einen Beitritt zu bitten. Und genau darüber möchte ich jetzt mit Colin Dürkopp sprechen. Er ist Leiter des Auslandsbüros der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in der Türkei. Schönen guten Morgen, Herr Dürkop!
Colin Dürkop: Schönen guten Morgen, Frau Brink.
Brink: In Abwandlung des Zitats von EU-Kommissar Oettinger: Wie sehr braucht Europa die Türkei?
Dürkop: Nun, ich denke mal, das sind die zwei Seiten ein- und derselben Medaille, also Europa braucht die Türkei und die Türkei braucht Europa in gleichen Maßen. Beide sind füreinander in gleichen Maßen wichtig. Also wir haben ja auch, was jetzt Deutschland angeht, wir haben drei Millionen in Deutschland lebende Menschen türkischer Herkunft. Die sind ja ein sehr bedeutender Faktor in den bilateralen Beziehungen und in der deutschen Innenpolitik. Dann spielt natürlich die Türkei im unruhigen Nahen Osten eine immer wichtigere Rolle. Sie ist mittlerweile eigentlich zu einer regionalen Mittelmacht beziehungsweise Ordnungsmacht geworden.
Das zeigt sich ja jetzt ganz aktuell bei dem Krisenland Syrien, aber auch, was den Irak, Iran und so weiter betrifft. Ein weiterer Faktor ist die Energiesicherheit für Deutschland und Europa. Ganz wichtig, die Türkei ist das Schlüsselland für die Energietransporte aus dem Nahen Osten in den Westen und spielt daher eine besonders wichtige Rolle. Und letztlich auch, was die Wirtschaft betrifft, sind die Türkei und Europa, und insbesondere auch Deutschland schon seit jeher sehr wichtig füreinander.
Brink: Aber all das, was Sie jetzt erwähnt haben, pardon, das könnte doch alles auch in einer sogenannten privilegierten Partnerschaft, das ist ja das Wort, das immer gern benutzt wird, eigentlich vollzogen werden. Warum dann ein Beitritt?
Dürkop: Nein, die Türkei will schon seit Republikgründung und auch vorher schon immer nahe an Europa sein. Der Blick ist immer auf Westen gerichtet gewesen und die Türkei hat ja seit acht Jahren offiziellen Beitragskandidatenstatus und ist in offiziellen Beitrittsverhandlungen. Und aus ihrer Sicht kann man dann nicht im selben Maße dann plötzlich sagen, dass es nur eine privilegierte Partnerschaft geben soll. Das ist die türkische Sicht.
Beide Seiten sind sich natürlich einig, dass es ein langer und schwieriger Prozess ist, und dass er auch ergebnisoffen ist. Denn letztendlich wissen beide Seiten, dass am Ende des Prozesses also alle 27 Mitgliedsländer auch über den Beitritt abstimmen müssen. Und auch die Türkei wird dann darüber abzustimmen haben. Das sagt zum Beispiel auch der türkische Staatspräsident Gül bei jeder seiner Europareisen.
Brink: Sie leben nun in der Türkei. Spüren Sie, dass es ein wirkliches Interesse der Türkei an Europa gibt?
Dürkop: Ja, das ist immer ein schwankender Prozess. Im Moment ist natürlich die Zustimmungsrate eher gering, weil auch die türkische Bevölkerung mitkriegt die, sagen wir mal, doch ablehnende Haltung auch von einigen europäischen Ländern. Das hat natürlich auch Einfluss auf die Einstellung der türkischen Bevölkerung. Also im Moment ist sie eher niedrig.
Brink: Sie haben Präsident Gül erwähnt, der sehr für eine – sozusagen Verhandlungen in Richtung Europa plädiert. Dem gegenüber steht aber zum Beispiel der Ministerpräsident Erdogan. Der hatte ja vor wenigen Wochen öffentlich über ein Ende der türkischen EU-Bewerbung nachgedacht und einen Beitritt seines Landes zu der von China und Russland dominierten Organisation der Shanghai Five. Das ist doch eigentlich eine Absetzbewegung.
Dürkop: Nein, ich würde nicht sagen, es ist eine Absetzbewegung. Es ist natürlich in dem Maße, wo von der EU Signale kommen, dass die Türkei nicht willkommen ist, oder es auch am Ende des Prozesses nie schaffen würde, denkt sich der Ministerpräsident natürlich, was gibt es für andere Optionen. Und nun sind die Länder, die in der Shanghai-Five-Organisation sind, natürlich alle aufstrebende Wirtschaftsmächte.
Das Wirtschaftsleben verlagert sich und die Möglichkeiten ja auch zunehmend, das sehen wir ja auch in einigen europäischen Ländern, zunehmend in den asiatischen Raum. Insofern ist es vielleicht gar nicht mal so abwegig, dass er auch darüber nachgedacht hat. Aber das heißt ja nicht, dass es ein Ersatz ist für die europäische Option. Es ist – natürlich muss die Türkei in solchen Umständen auch in Alternativen denken.
Brink: Was erwarten Sie von Bundeskanzlerin Merkel heute?
Dürkop: Nun, die Erwartungen sind natürlich sehr hoch, das hat man auch im Vorfeld des Besuches gesehen. Wenn eine deutsche Regierungschefin in die Türkei kommt als Vertreterin des größten und wichtigsten europäischen Landes, sind natürlich die Erwartungen sehr hoch. Es wurde vor allem auch betont ihre Signale in Richtung, dass jetzt neue Kapitel in den EU-Beitrittsverhandlungen eröffnet werden sollen, dass in diesen ins Stocken geratenen Prozess wieder mehr Schwung kommen soll. Dann wurde natürlich auch sehr positiv gewertet, dass sie ihren Besuch nicht nur als Kurzvisite, sondern einen zweitägigen Besuch ausgedehnt hat und mit einer wirklich sehr, sehr potenten Wirtschaftsdelegation in die Türkei kommt.
Brink: Colin Dürkop, Leiter des Auslandsbüros der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in der Türkei. Schönen Dank, Herr Dürkop, für das Gespräch.
Dürkop: Ich danke auch. Auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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