"Deutschland wird führen müssen"
Der neue Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt, Michael Roth (SPD), sieht Deutschland in einer deutlichen Führungsrolle, aber es müsse dabei "solidarisch" sein. Auch dürfe im Zuge der Krise das Sozialstaatsmodell nicht in Frage gestellt werden.
Korbinian Frenzel: Soweit der Bericht aus Brüssel, Griechenland übernimmt heute offiziell die Geschäfte der Europäischen Union als sogenannter Ratspräsident, aber die Machtfragen, die stellen sich – auch das haben wir gehört – woanders. Am Telefon begrüße ich den SPD-Politiker Michael Roth, den neuen Staatsminister für Europafragen im Außenministerium. Einen schönen guten Tag, Herr Roth!
Michael Roth: Ich grüße Sie, Herr Frenzel!
Frenzel: Wir haben Frank-Walter Steinmeier gerade gehört in dem Beitrag: In der Sache soll nicht viel anders gemacht werden, aber in der Form. Was ist das denn, ist das rot lackierte Merkelpolitik?
Roth: Überhaupt nicht. Europa ist viel mehr als Krise, viel mehr als Euro, Europa ist vor allem auch eine Werteunion und es ist eine Solidaritätsunion,und das wollen wir in den nächsten Jahren deutlicher machen und vor allem auch klar gegenüber unseren Partnern zum Ausdruck bringen. Deutschland ist so verwundbar wie kein anderes Land in Europa. Wir liegen in der Mitte dieses Kontinents, wir profitieren stark von Europa, und wir dürfen niemals den Eindruck erwecken, bräsig und selbstgenügsam zu sein als Deutsche. Insofern ist für uns Partnerschaft auf Augenhöhe ein ganz wichtiges Ziel unserer Politik.
Griechische Strukturreformen müssen fortgesetzt werden
Frenzel: Was bedeutet das denn konkret? Die Griechen werden das ja sicherlich fragen, ob sich mit der SPD jetzt in dieser Bundesregierung etwas ändert, wenn es zum Beispiel um neue, weitere Hilfen geht, um Erleichterung bei den Zinsen, all das, was diskutiert wird. Wird es das im Gegensatz zu der Merkel-Regierung mit Ihnen jetzt geben?
Roth: Also erst einmal sind Gesten und auch Zeichen der Solidarität und des Respekts und der Anerkennung ganz, ganz wichtig. Das, was die kleinen Leute, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die alten Menschen in Griechenland vollbracht haben, das ist enorm. Wir haben aber gleichzeitig auch den griechischen Freunden gesagt: Die Strukturreformen müssen konsequent weiter fortgesetzt werden. Und das braucht Zeit. Aber die brauchen auch mal Anerkennung.
Und man muss auch deutlich machen: Es darf nicht im Zuge der Krise das Sozialstaatsmodell in Frage gestellt werden, weil eben auch die Europäische Union weltweit Ansehen genießt, nicht nur, weil wir für Werte stehen, für Demokratie und für Rechtsstaatlichkeit und für Freiheit stehen, sondern eben auch für Solidarität und für soziales Miteinander. Und das muss die Aufgabe in den nächsten Jahren sein. Deshalb steht im Koalitionsvertrag auch: Der Kampf gegen die dramatisch hohe Jugendarbeitslosigkeit in Europa ist die zentrale Aufgabe der Europäischen Union, und Deutschland wird da nach Kräften mithelfen.
Frenzel: Wenn wir noch mal zurückschauen, was war denn das Problem bisher – zu wenig deutsche Führung, zu viel, oder war sie einfach zu diffus, fehlte ihr ein Plan?
"Deutschland darf nicht lautsprecherisch auftreten"
Roth: Deutschland wird führen müssen. Da ist die Erwartungshaltung unserer Partner klar. Aber Deutschland muss solidarisch führen und Deutschland muss immer bereit und in der Lage sein, Kompromisse zu schmieden, die akzeptabel sind für unsere Partner, und da ist eine ganz enge Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich unerlässlich, da ist es wichtig, dass wir vor allem auch immer wieder Brücken schlagen nach Mittel-, Osteuropa, insbesondere nach Polen, und es ist ganz, ganz wichtig, dass wir eine hervorragende und stets bewährte deutsche Tugend wieder deutlich pflegen, nämlich ein respektvoller Umgang mit den kleineren Mitgliedsstaaten, und das auch im wohlverstandenen eigenen Interesse.
Die Europäische Union ist nicht eine Union der Großen. Sie ist vor allem eine Union der kleinen und mittleren Staaten. Und deshalb darf Deutschland nicht lautsprecherisch auftreten, sondern wir müssen immer auch mitdenken: Was könnte das heißen? Aber wir werden uns in Brüssel, wir werden uns in der Europäischen Union kraftvoll, aber immer auch solidarisch einbringen müssen.
Frenzel: Sie selbst haben gesagt, die Gemeinschaftsmethode muss wieder gestärkt werden, ich übersetze das mal, das heißt also, mehr Brüssel, weniger Hauptstädte, weniger schöne Gipfelbilder, wo spät in der Nacht Beschlüsse getroffen werden. Ist das eine neue Linie, die wir erwarten können von Ihnen?
Roth: Vor allem muss Europa aus der Vertrauenskrise heraus und Europa muss für die Bürgerinnen und Bürger wieder stärker als Teil der Lösung und weniger als Teil des Problems wahrgenommen werden. Insoweit ist das Zusammenspiel zwischen den Hauptstädten und Brüssel wichtig. Aber wir müssen die demokratisch legitimierten Organe der Europäischen Union wieder stärken. Es geht um ein starkes europäisches Parlament, es geht auch um starke nationale Parlamente, es geht um eine starke europäische Kommission.
Es hilft nicht viel, wenn wir versuchen, deutlich zu machen, dass das Gute in den Hauptstädten, in den nationalen Hauptstädten gemacht wird und das Schlechte in Brüssel. Dafür werden wir alle einen viel zu hohen Preis zu zahlen haben. Also es ist mehr Teamgeist gefragt, und Europa ist eine Mannschaft. Und da will Deutschland eine wichtige Rolle übernehmen, aber wir wollen eben auch zeigen, dass wir es nur gemeinsam besser machen können.
Frenzel: Ist denn mehr Europa immer die richtige Antwort? Es gibt ja aus verschiedenen Hauptstädten, auch zum Beispiel aus den Niederlanden, die ja nicht als euroskeptisch bekannt sind, den Wunsch, darüber noch mal nachzudenken, ob wir nicht ein paar Sachen doch zurückgeben. Könnte das auch Vertrauen wieder zurückbringen in der Bevölkerung für das europäische Projekt, wenn es sich ein wenig bescheiden würde?
Nationalstaatlich ist keine zukunftsfähige Antwort
Roth: Ich halte den Widerspruch zwischen weniger und mehr Europa für falsch, es geht um ein besseres Europa. Europa hat jetzt schon in vielen Bereichen klare Kompetenzen. Manchmal kümmert man sich um zu viel Nebensächliches und Kleineres, was auch gar nicht im Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger so stark verankert ist. Manchmal ist weniger mehr. Wir dürfen aber nicht den Eindruck erwecken, als ginge es um die Verhinderung von Europa, denn ich bin mir ziemlich sicher: Nicht zuletzt die Krise hat gezeigt, dass der Kampf gegen unregulierte Finanzmärkte nur gemeinsam aufgenommen werden kann, dass wir die Banken nur gemeinsam werden regulieren können, dass wir das Klima nur gemeinsam werden schützen können, dass wir auch in außen-, sicherheitspolitischen Fragen aus der Kleinstaaterei heraus müssen und müssen in vielen Fragen gemeinsame Lösungen suchen.
Europa ist zwar groß, aber Europa ist im globalen Maßstab viel zu klein, um zurückzublicken und zu sagen: Wir machen das alles wieder nationalstaatlich. Das ist keine zukunftsfähige Antwort. Aber es muss besser sein. Insofern finde ich, sollten wir die Dogmen der Vergangenheit lassen. In manchem könnte sich durchaus auch Brüssel zurücknehmen, in anderem muss aber Brüssel und müssen auch die Gemeinschaftsinstitutionen stärker werden, bei dem Aufbau einer demokratisch verankerten Wirtschaft und Währungsunion beispielsweise, da brauchen wir mehr gemeinsame Entscheidungen.
Frenzel: Das sagt Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
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