Europa in der Krise

Do it, Frau Merkel!

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) legt während der Abstimmung zu Verhandlungen über ein neues Griechenland-Hilfspaket ihren Stimmzettel in die Urne. Sie wird dabei von weiteren Bundestagsabgeordneten umringt, darunter Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD).
Der Bundestag hat den Weg freigemacht für neue Verhandlungen über ein Griechenland-Hilfspaket. © afp / John Macdougall
Von Stephan Detjen |
Der Wertekonsens in Europa ist brüchig geworden, das zeigt nicht nur das endlose Ringen um Griechenland. Jetzt ist es an Angela Merkel zu beweisen, ob sie nur Krisenmanagerin oder auch Architektin Europas sein will. Ein Kommentar von Stephan Detjen.
Die Risse sind tief, Spaltungen unübersehbar, die Fundamente sind brüchig. In Europa, in Deutschland, in der Koalition und in allen Fraktionen des Bundestages. Voller Skepsis und Zweifel hat die Mehrheit der Großen Koalition dem stockenden Euro-Rettungskurs der Bundesregierung zugestimmt. Kaum weniger schwankend und in sich gespalten haben sich Linke und Grüne in der Opposition zu Ablehnungen und Enthaltungen entschlossen. Auf eine fatale Weise gleichen sich am Ende dieser Woche die parlamentarischen Demokratien in Athen und Berlin: Hier wie dort hatten die Regierungsspitzen alle Mühe, ihre Mehrheiten für eine Politik hinter sich zu bringen, von der sie selber nicht wirklich überzeugt sind.
Es bleibt zugleich das Verdienst Wolfgang Schäubles, dass er mit seinem umstrittenen Grexit-Papier nüchtern illustriert hat, was ein Scheitern der Kompromisssuche bedeuten würde. Wer genau gelesen hat, versteht nicht zuletzt, dass es weder die einfache und noch weniger jene billige Lösung gibt, die sich die Grexit-Befürworter von der "Bild"-Zeitung bis weit in die Unionsparteien hinein erhoffen.
Angela Merkel hat heute im Bundestag betont, dass Europa eine Werte- und eine Rechtsgemeinschaft sei. Die Mahnung, die sie mit Blick in Richtung Athen aussprach, lässt sich auch an die eigenen Reihen wenden: Nur weil "der Grieche" einen Vertreter Merkels im Parteivorsitz "nervt" kann ihn niemand so einfach aus der Währungsunion werfen. Das müsste gerade die Union gut wissen, die in ihrer Europäischen Parteienfamilie, der EVP, auch die Partnerschaft mit Quälgeistern wie Silvio Berlusconi oder Victor Orban erheblich länger ausgehalten hat, als das hinter ihr liegende halbe Jahr mit Alexis Tsipras.
Die Krise, in der Europa steckt, ist eine Orientierungskrise
Immerhin: Trotz aller Zweifel, Einwände und Vorbehalte hat die große Mehrheit des Bundestages heute bekräftigt, dass sie an der Vision eines in Solidarität vereinten Europas festhält. Es wäre wichtig für Europa, dass dieser Teil der Botschaft nicht verhallt. Denn weit über die Griechenland-Debatte hinaus ist in den vergangenen Wochen und Monaten deutlich geworden, wie brüchig der Wertekonsens in Europa insgesamt geworden ist. Viel zu sehr hat das spektakuläre Ringen um die Griechenlandhilfen zum Beispiel überlagert, welchen Tiefpunkt Europa zugleich in der Diskussion um eine gemeinsame Flüchtlingspolitik erreicht hat.
Die Krise, in der Europa steckt, ist eine Orientierungskrise. Zu einer Chance wandelt sie sich nur dann, wenn die kommenden Entwicklungen nicht allein an den ökonomischen Kennzahlen von Hilfsprogrammen gemessen werden. Ganz Europa muss sich ein viel weiter reichendes, politisches Hilfsprogramm verschreiben, das die Grundregeln der Gemeinschaft stärkt und ausbaut.
Einen ersten Schritt hat der französische Staatspräsident Hollande unmittelbar nach dem Brüsseler Gipfel unternommen, als er die Schaffung einer gemeinsamen Wirtschaftsregierung und parlamentarische Strukturen für die Eurozone forderte. Jetzt ist es an Angela Merkel zu beweisen, ob sie nur Krisenmanagerin oder auch Architektin Europas sein will. Die Aufforderung, die der Belgier Guy Verhofstadt in seinem furiosen Auftritt im Europaparlament an Alexis Tsipras wendete, gilt ab heute auch für die Bundeskanzlerin: Do it, Frau Merkel!
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