Europa

"Sein Prinzip ist überhaupt: Was beliebt, ist auch erlaubt"

Jean-Marie Le Pen (l) und Marine Le Pen, Vorsitzende der französischen rechtsextremen Front National
Jean-Marie Le Pen (l) und Marine Le Pen, Vorsitzende der französischen rechtsextremen Front National © picture alliance / dpa / Foto: Yoan Valat
Von Conrad Lay |
Schon Wilhelm Busch kannte das Rezept, dessen sich Populisten bis heute bedienen: dem Volk aufs Maul schauen und ihm dann nach dem Mund reden! Genauso zuverlässig wie die Populisten treten aber auch deren Gegner auf. Kritik wird als populistisch gebrandmarkt und fortan ignoriert.
Geert Wilders: "Ades… Dies ist ein historischer Tag, denn heute beginnt die Befreiung, die Befreiung von den Eliten Europas, von dem Monster aus Brüssel. …Bruxelles.“
Horst Seehofer: "Wir als Union treten für die deutsche Leitkultur und gegen Multikulti ein. Multikulti ist tot.“
Nigel Farage: “Wir haben völlig offene Tore, ohne jegliche Bedingungen, für 485 Millionen Menschen."
Armin Paul Hampel: “Für sie muss die Zuwanderung her, damit die Deutschen im großen europäischen Brei aufgehen.“
Schon Wilhelm Busch kannte das Rezept, dessen sich die heutigen Populisten bedienen:
"Sein Prinzip ist überhaupt:
Was beliebt, ist auch erlaubt.
Denn der Mensch als Kreatur
Hat von Rücksicht keine Spur."
Die üblichen Verdächtigen
Es gibt eine ganze Reihe von Prognosen, die ihnen einen starken Zulauf vorhersagen. Bis 120, 130 Abgeordnete könnten sie zukünftig stellen, die Gruppierungen, die sich selbst als gern eurokritisch oder skeptisch verstehen, denen – zumindest in den deutschen Medien meist noch das Wort populistisch angehängt wird. Die üblichen Hauptverdächtigen: der französische Front National mit seiner Spitzenkandidatin Marine Le Pen, die niederländische Partei der Freiheit mit Geert Wilders, in Großbritannien an die Ukip, in Italien an die Fünf-Sterne-Bewegung des Komikers Beppe Grillo, die Freiheitliche Partei Österreichs FPÖ, die Schwedendemokraten, die dänische Volkspartei und in Deutschland die AfD, die Alternative für Deutschland.
So unterschiedlich diese Parteien und Bewegungen auch sind, so fordern sie doch alle ein Weniger an Europa und ein Mehr an nationaler Souveränität. Nicht selten verbinden sie dies mit antiislamischen und fremdenfeindlichen Affekten. Wird Europa also immer populistischer?
Jan-Werner Müller: "Sicherlich hat die Euro-Krise es sehr viel leichter gemacht für populistische Parteien, vor allem in Südeuropa Erfolg zu haben, auch vor allem in Frankreich."
Jan-Werner Müller ist Professor für Politikwissenschaften an der Universität in Princeton in den Vereinigten Staaten und hat sich intensiv mit populistischen Tendenzen Diesseits und Jenseits des Atlantiks auseinandergesetzt:
"Es ist aber nicht nur die Euro-Krise. Genauso wie in den USA die Tea-Party hat ein größerer Trend zum Populismus wahrscheinlich auch etwas zu tun mit einem allgemeinen Unbehagen. Dass man ein Gefühl hat von Kontrollverlust, dass sich Gesellschaften in eine Richtung entwickeln, die man nicht richtig absehen kann, dass Gesellschaften vielfältiger werden, dass ein bestimmtes Bild der eigenen Nation offenbar in Gefahr erscheint. All dies hat die Euro-Krise verschärft, da ist es ja zum Teil wirklich so, dass man einen Kontrollverlust erfährt, dass plötzlich die Troika kommt und die eigenen Geschicke zu bestimmen scheint, aber der tiefere Grund scheint mir dieses allgemeine Unbehagen zu sein.“
Ein Symptom für reale Probleme
Müller warnt jedoch davor, jede Infragestellung des Euro oder sonst eine unangenehme Kritik als populistisch zu bezeichnen. Das Attribut "populistisch“, so fordert er, sollte nicht dazu dienen, andere von einer rationalen Diskussion etwa über die europäische Währung auszuschließen. Die Populisten seien ein Symptom für reale Probleme:
Müller: "Wenn man einfach sagt, ´hier ist jemand dafür, den Euro auf rationale Weise wieder zurückzubauen` und sofort sagt, ´ergo sind das Populisten`, sagt man im Grunde, dass gewisse Politikoptionen völlig vom Tisch sein müssen. Und dass jeder, der diese Fragen auf völlig vernünftige Weise auf den Tisch bringen will, ergo nicht mehr am Diskurs teilnehmen darf. Das scheint mir ein typischer Fall zu sein von einem Ansatz, der sich irgendwann rächen wird. Weil er genau den Eindruck verstärkt, dass gewisse Eliten gewisse Themen einfach gar nicht zulassen, da darf man gar nicht drüber reden. Und wer darüber redet, ist automatisch gefährlich oder gilt als irgendwie von gefährlichen Leuten unterwandert etc.“
Wirkliche Populisten, so sagt Jan-Werner Müller, fühlen sich bedroht, verunsichert, in die Enge getrieben und entwickeln von daher ein starkes Bedürfnis nach eigener Identität, nach Abgrenzung gegen alles Fremde. Sie wettern gegen die alten Eliten, die anscheinend auf diese Bedürfnisse nicht eingehen.
"Die spezifische Logik ist, dass Populisten dezidiert der Meinung sind, dass es eigentlich nur einen einzigen wirklich, legitimen Repräsentanten des wahren Volkes gibt, und dass das wahre Volk auch eindeutig das allgemeine Gut bestimmen kann und dass dieses allgemeine Gut für das ganze wahre Volk auch dann von diesem einen legitimen Repräsentanten umgesetzt werden kann. Mit anderen Worten, die Tendenz bei Populisten ist, zu sagen, die anderen, die Konkurrenten, sind eigentlich gar nicht legitim.“
Beppe Grillo, italienischer Komiker und Politiker, der in Italien die "Fünf-Sterne-Bewegung" gründete.
Beppe Grillo, italienischer Komiker und Politiker, der in Italien die "Fünf-Sterne-Bewegung" gegründet hat.© picture alliance / dpa / Foto: Onorati-Ferrari
Die typische Argumentation der Populisten lautet: die herrschenden Eliten würden mit supranationalen Institutionen wie der EU oder dem Internationalen Währungsfonds IWF zusammenarbeiten und dabei die eigenen, nationalen Bedürfnisse vernachlässigen.
"Gerade in Osteuropa ist dieses populistische Bild sehr deutlich zu sehen in einer Vorstellungswelt, die sagt: es gibt so postkommunistische Eliten, die sind eigentlich alle korrupt, die werden von der EU natürlich unterstützt, die kassieren die ganzen EU-Gelder, die arbeiten für die Roma, da gibt’s dann immer Minderheitenrechte und Geld für die usw., aber beide gehören eigentlich gar nicht wirklich dazu: das wahre Volk ist irgendwo in der Mitte und das lässt sich dann auch an bestimmten kulturellen Merkmalen festmachen. Wenn dann eine Partei kommt oder ein populistischer Politiker, der sagt, ´wir sind diejenigen, die genau diese Mitte repräsentieren gegen die, die eigentlich gar nicht wirklich dazugehören`, das ist der klassische Fall von Populismus, und das führt dann auch dazu, dass man dem Gegner sofort jede Legitimität abspricht. Also es gibt gar keine legitime Opposition mehr."
Allerdings kann die Kritik an der "herrschenden Kaste“ durchaus nachvollziehbar sein, nehmen wir einmal das Beispiel Italien: das Land hat zwar zahlreiche Regierungswechsel erlebt, aber im Grunde haben Regierung und Opposition das Land seit Jahrzehnten unter sich aufgeteilt und verwaltet. Beide haben damit gut gelebt, auch wenn das Gemeinwohl Italiens darunter zu leiden hatte. Scharfe Kritik an dieser Verknöcherung der politischen Kaste kommt von dem Komiker Beppe Grillo und seiner Fünf-Sterne-Bewegung.
Beppe Grillo: “Das Fernsehen ist am Ende, die Zeitungen gehören auch der Vergangenheit an, das Internet verändert die ganze Welt. Es ist eine Macht, die alle Vermittlungen hinwegfegt. Und die Politiker sind auch solche Vermittler, die zu nichts mehr nütze sind."
Beppe Grillo schaut von dem geräumigen Salotto seiner Villa hinunter auf den Golf von Genua. Eine paradiesische Aussicht. Gerade hat das Hausmädchen noch einen Espresso gebracht, dann begibt Grillo sich hinüber – vorbei an dem schwarzen Flügel – in sein Arbeitszimmer. Die kultivierte, distinguierte Atmosphäre des privaten Grillo passt so gar nicht zu seinen hemdärmeligen öffentlichen Auftritten. Auch von den deutschen Piraten hält er nichts:
"Die Piraten waren anfangs ganz interessant, aber sie sind an ihren eigenen Schwierigkeiten gescheitert. Ihre sog. Liquid democrazy, liquid feed back, das waren nur große Worte, die Horizonte eröffneten, aber am Ende muss es jemanden geben, der die Informationen zusammenführen und daraus ein Programm machen kann."
Der die Fäden im Hintergrund spinnt
Und als dieser "jemand, der die Informationen zusammenführt“, sieht Beppe Grillo sich selbst. Er ist derjenige, der die Fäden im Hintergrund spinnt. Und wehe, jemand weicht von der Linie ab, die Grillo vorgibt. Auf sog. "Abweichler“ reagiert er scharf, weil er eine möglichst klare Grenzlinie ziehen will zwischen seinen Abgeordneten und allen anderen. Politikwissenschaftler Jan-Werner Müller:
"Grillo ist ein sehr interessanter Grenzfall. Sie finden bei Grillo viele Äußerungen, wo man sagen würde: ´Der Mann hat eigentlich recht, das sind vernünftige Argumente im Kontext einer italienischen Republik, die schon seit Jahrzehnten von tief gehenden Problemen affiziert wird`. Das mag ein bisschen übertrieben sein, aber wenn man sich die italienische Geschichte seit 1945 anschaut, ist das ja zum Teil nicht völlig falsch.
Also, ich denke, man muss zwischen diesen Argumenten differenzieren und andererseits solchen Argumenten, die Grillo auch bringt, wo er plötzlich sagt, ´wir wollen eigentlich 100 Prozent im Parlament`. Das ist eine populistische Aussage. Was er im Grunde damit sagt, ist ja, dass die anderen im Grunde keine Legitimität haben, es gibt gar keinen Platz für andere mehr, er ist der einzige wahre Volksvertreter, das logische Resultat, wenn die Leute das mal wirklich begreifen würden, wäre: es gäbe eigentlich nur die Grillo-Partei, die anderen sind alle korrupt, die anderen sind alle mit dem alten System verbandelt, ergo: Grillo gehört eigentlich ganz Italien.“
Grillos Fünf-Sterne-Bewegung hat letztes Jahr an Parlamentswahlen teilgenommen und auf Anhieb 25 Prozent Stimmen erhalten. Sie stellt an die 160 Abgeordnete, die sich verpflichten müssen, die Hälfte ihrer Diäten wieder abzugeben. Beppe Grillo will seine Leute davor bewahren, sich korrumpieren zu lassen: Mit dem freiwilligen finanziellen Verzicht sollen sie moralisch rein bleiben.
"Es gibt keinen Populismus ohne Moralisierung der Politik. Die Grundkonzeption von Populismus: ´wir sind die wahren und auch moralisch reinen Vertreter des Volkes im Gegensatz zu einem korrupten Establishment`, dreht sich immer um Moral.“
Ende Januar 2014 veranlasste Beppe Grillo seine Abgeordneten, das Parlament in Rom zu blockieren. Dutzende von ihnen versperrten die Zugänge zum Parlament und zu den Ausschüssen, sie stürmten das Rednerpult und hielten Transparente hoch mit der Aufschrift:
"Ihr seid alle gekauft“, "Ihr seid alle korrupt“, "Das ist eine Diktatur.“
Es kam zu Handgreiflichkeiten unter den Abgeordneten und zu wüsten Beschimpfungen sexistischer Art von Seiten der Grillo-Parlamentarier. Beppe Grillo verteidigte die rabiate Aktion und lobte seine Abgeordneten.
"Es sind große, sehr große Krieger. Denn sie wurden in die Ecke gedrängt. Sie sind auf das Dach des Parlaments gestiegen, um die Verfassung zu retten. Dank unserer Initiative musste Berlusconi den Senat verlassen. Denn wir haben dafür gestimmt, dass es keine geheime Abstimmung gibt. Denn sonst würde Berlusconi noch im Senat sitzen. Das Parlament hat nichts mehr in Italien zu sagen, Italien wird durch Regierungsdekrete regiert."
CL: "Ich zitiere Riccardo Nuti, den Fraktionsvorsitzende der Fünf-Sterne-Bewegung und zugleich einen der Blockierer, mit den Worten: ´Die Demokratie ist tot, es gibt keinen Grund, die parlamentarische Arbeit fortzusetzen.` Welche Folgen zieht er daraus?"
Grillo: "Nuti hat völlig recht. Wenn das Parlament keine Gesetze mehr beschließt, dann gibt es die Demokratie nicht mehr. Dann geht es nur mit Regierungsdekreten weiter."
CL: "Was macht man im Parlament, wenn es keine Demokratie gibt?"
Grillo: "In der Tat gibt es in Italien kein Parlament mehr, das diesen Namen verdient. Es ist, als ob es das Parlament nicht mehr gäbe."
CL: "Aber es gibt doch Parlamentarier?"
Grillo: "Die gibt es, aber sie wurden von den Parteien bestimmt, nicht vom Volk gewählt. Die haben überhaupt keine demokratische Verpflichtung. Das sind alles nur Worte. Das sind Leute, die das Land heruntergewirtschaftet haben. Hier wird gar nichts mehr gemacht, unsere Souveränität gibt es nicht mehr. Weder finanziell noch politisch noch wirtschaftlich. Wir haben alles verloren. Und wir wollen die Souveränität zurück haben. Wir wollen unsere Würde wieder haben, die Souveränität über die Währung, die wirtschaftliche Souveränität. Wir wollen über die Dinge entscheiden."
Der Grünen-Politiker und Publizist Daniel Cohn-Bendit.
Grünen-Politiker und Publizist Daniel Cohn-Bendit.© picture alliance / dpa / Foto: Marijan Murat
Daniel Cohn-Bendit: "Das ist eine faszinierende autoritäre Struktur, die er da entwickelt hat, und die er pflegt, und die funktioniert innerparteilich.“
Daniel Cohn-Bendit vertritt die französischen Grünen im Europaparlament und ist Co-Vorsitzender der dortigen Grünen Fraktion. Er kritisiert an Beppe Grillo, dass sich dieser mithilfe der Internet-Demokratie, d.h. seines Blogs, zum Alleinherrscher seiner Bewegung gemacht habe:
"Grillo, der ja als Schauspielclown angefangen hat, ist ja ein sehr autoritärer Charakter. Der hat ja im Grunde genommen diese Internet-Demokratie, diese direkte Demokratie, als die autoritärste Struktur an und für sich entwickelt."
Auch in Frankreich werden die Populisten bei den Europa-Wahlen stark abschneiden. Daniel Cohn-Bendit rechnet damit, dass Marine Le Pen an die 25 Prozent der Stimmen erhalten wird.
"Also sie kann nicht gewinnen, aber sie sahnt ab an den Rändern, einen nationalen Rückzug, diese nationale, reaktionäre Tendenz hat es in Frankreich immer gegeben; was sie stark macht, dass sie abgesahnt hat gegenüber den national-sozialen Strömungen, auch in der kommunistischen Partei, in der Arbeiterklasse, und sie hat natürlich in den traditionell rechten Schichten - sahnt sie ab, weil im Grunde genommen die politischen Parteien nicht klarzumachen ist: was sind ihre Strategien gegenüber der Globalisierung? Marine Le Pen hat eine einfache Strategie: Raus aus dem Euro, raus aus Europa, Grenzen zu, alles wird paletti."
Rückzug auf das Nationale als Abwehrreflex
Marine Le Pen appelliert an die alte Größe Frankreichs, ruft bei ihren Wählern die Sehnsucht nach der "Grande Nation“ wach. Sie versteht den Rückzug auf das Nationale als Abwehrreflex.
Cohn-Bendit: "Vor allem als Abwehrreflex gegen Globalisierung, wobei Europa als Transmissionsriemen der Globalisierung verstanden wird. Und natürlich die Islamfeindlichkeit spielt eine große Rolle. Das kann man nicht einfach ignorieren. Marine Le Pen kultiviert die Islamphobie, die Homophobie, das sind alles Dinge, die ihr in die Karten spielen, also die Modernisierung der französischen Gesellschaft dadurch, dass man Schwulenehe zulässt oder Lesbenehe, das mobilisiert einen Teil des reaktionären Frankreichs und es ist der Humus, wo auch eine Marine Le Pen stärker werden kann.“
Die Forderung nach nationaler Souveränität, in der sich Beppe Grillo und Marine Le Pen einig sind, führt nach Ansicht von Daniel Cohn-Bendit nicht weiter. Wer sich angesichts der Globalisierung eigene Handlungsspielräume bewahren wolle, müsse dies auf der europäischen Ebene tun, nicht mehr im Rahmen des Nationalstaates.
"Ich denunziere nicht die Kritik an der EU für populistisch, ich sage nur: sie ist falsch und bedient sich populistischer Affekte. Das ist ja was anderes: ´Die Griechen sind faul`. Das sind populistische Affekte. ´Die Griechen wollen von uns Geld, überhaupt die Europäer wollen unser Geld`, das sind populistische Affekte. Ich sage immer, in 30 Jahren wird Deutschland nicht mehr Mitglied des G8 sein. Die nationale Souveränität ist im Grunde genommen angesichts der Globalisierung mehr und mehr dahin. Wenn wir unsere Lebensentwürfe verteidigen, brauchen wir eine europäische Souveränität. Das ist meine These. Dann sollen mir die anderen sagen, ´nein nein, Deutschland wird in den nächsten 30 Jahren…`, nein, Deutschland wird nichts sein verglichen zu Mexiko, zu Indien, zu Brasilien usw., und darum geht es.“
Lässt sich die Haltung des Italieners Beppe Grillo und der Französin Marine Le Pen auf einen Nenner bringen? Einig sind sie sich in ihrem Angriff auf die alte Politikerkaste, auch wenn Le Pen selbst dieser Kaste angehört. Ebenfalls einig sind sie sich in ihrer Abwehrhaltung gegen Euro und die EU sowie in ihrer Hinwendung zu nationaler Souveränität, auch wenn diese illusorisch sein mag.
Unterschiede gibt es jedoch hinsichtlich Ausländerfeindlichkeit und Homophobie: beides kann man Beppe Grillo nicht unterstellen. Und noch ein Unterschied: während Marine Le Pen – auch in ihrer Selbstwahrnehmung - das rechtsnationale Lager repräsentiert, lehnt Grillo rundweg die Unterscheidung zwischen rechts und links ab.
Gefühle gegen andere
Gemeinsamkeiten zwischen beiden populistischen Politikern sieht Daniel Cohn-Bendit darin, dass sie sich nicht scheuen, Gefühle gegen andere zu lenken, Wut zu kanalisieren und Affekte zu mobilisieren.
Cohn-Bendit: "Wenn man einen Affekt mobilisiert. Wenn man einen Affekt gegen die anderen – das ist richtig, gegen die Fremden, dann wird’s gefährlich. Eine Politik ohne Emotionen ist nicht möglich, aber Emotionen müssen nicht Affekte mobilisieren. Das ist im Grunde genommen die Kunst dabei."
Kritik am Euro, Kritik an den europäischen Eliten, Kritik an der Zuwanderung – wer vertritt solche Positionen in Deutschland?
Alexander Gauland: "Es wird immer wieder der Versuch gemacht, bestimmte Inhalte schon als populistisch sozusagen weg zu definieren aus der öffentlichen Debatte, und den Eindruck zu vermitteln, naja, das ist eigentlich nicht erlaubt und so darf man eigentlich nicht diskutieren. Und wer an der öffentlichen Debatte teilnehmen will, der muss eben ganz anders argumentieren, so wie die Eliten das zum Beispiel in der Europafrage tun.“
Alexander Gauland, Vorsitzender der AfD Brandenburg. Die Alternative für Deutschland hat zwar auf europäischer Ebene eine Zusammenarbeit mit Marine Le Pen und Geert Wilders abgelehnt und begreift sich selbst nicht als populistisch, vertritt allerdings durchaus ähnliche Positionen.
"Also es gibt die Frage nach Zuwanderung in die Sozialsysteme. Es gibt die Frage nach multikultureller Gesellschaft. Es gibt die Frage nach Familienwerten. Das hat nichts unbedingt mit dem Euro zu tun, aber es ist richtig, es gibt Menschen in unserer Partei, die hoffen, dass Dinge sie wieder ausdrücken können und wieder diskutieren können, die in der öffentlichen Meinung kaum noch vorkommen, ja die in Teilen sogar als politisch inkorrekt gelten. Das ist schon richtig, das würde ich jetzt aber nicht als populistisch bezeichnen, sondern es gibt Menschen, die fühlen sich in unserer Gesellschaft in der öffentlichen Diskussion ausgegrenzt, nicht mehr wahrgenommen mit ihren Problemen und die möchten von der AfD in der Tat, dass diese Fragen wieder diskutiert werden, offen und ehrlich, das ist richtig."
In einem Beitrag Gaulands für die Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 24.Januar 2014 klang das noch ganz anders:
"Man muss, um erfolgreich zu sein, all jene mitnehmen, die die AfD nur deshalb wollen und wählen, weil sie anders ist, populistisch dem Volk aufs Maul schauend, und weil sie das politikfähig formuliert, was in Wohnzimmern und an Stammtischen gedacht und beklagt wird. Manchmal geht das gut zusammen, wenn Liberale und Populisten die Einmischung der EU in unser tägliches Leben beklagen."
Gauland, der einen bildungsbürgerlichen Habitus pflegt, stört sich an dem rechtsradikalen Geruch, der von Populisten wie Marine Le Pen ausgeht:
"Marine Le Pen ist nun nicht gerade meine persönliche Verbündete, und wenn sie den Begriff Populismus in Frankreich so verwendet und ihn positiv wertet, o.k., ist das ihre Sache. Ich möchte den Begriff Populismus im Grunde gar nicht in der öffentlichen Debatte haben, weil er entweder negativ konnotiert ist und etwas Negatives ausdrücken soll und den anderen gleich in eine Ecke schieben nach dem Motto: ´Du verstehst nichts davon, das ist typische Stammtischparole, das sind Menschen, die sich nicht damit befasst haben`, und auf der anderen Seite stehen die gebildeten Eliten, die Europa-Freunde, die sagen: wir wissen, wie’s geht und das ist dann die echte demokratische Kultur, so wird’s doch heute verwandt. Es wird doch der Versuch gemacht, mit dem Wort Populismus bestimmte Meinungen in die Stammtisch-Ecke zu treiben."
Alexander Gauland sitzt am 09.02.2014 in Diedersdorf (Brandenburg) auf dem außerordentlichen Parteitag des Brandenburger Landesverbandes der Alternative für Deutschland (AfD) auf dem Podium.
Alexander Gauland, Alternative für Deutschland (AfD)© picture alliance / dpa / Foto: Bernd Settnik
Die Kritik der AfD geht deutlich über eine Kritik an der europäischen Währung hinaus, sie bezieht sich auch auf die "Brüsseler Bürokratie“, ja insgesamt auf die Idee, aus Europa ein staatliches Gebilde zu formen.
"Es kann doch nicht sein, dass wir eine ununterbrochen wachsende Bürokratie haben, die sich natürlich immer weiter bestimmte Aufgaben sucht, die über den gemeinsamen Markt, den wir ja bejahen und den wir auch verteidigen wollen, hinausgeht. Sie erleben immer wieder, dass bestimmte Kompetenzen an sich gezogen werden. Damit wird das immer mehr verstärkt, was die Menschen im Grunde nicht wollen: dass Entscheidungen von oben getroffen werden, weit weg von ihren Bedürfnissen, dass aber die Entscheidungskompetenz eigentlich bei ihnen unten liegen müßte. Und diese Haltung lehnen wir im Grundsatz ab."
Die Kritik an der Bürokratie steht dabei stellvertretend für eine Kritik insgesamt an der europäischen Politik. Daniel Cohn-Bendit:
"Das ist populistisch, mit dem antibürokratischen Argument: ´Brüssel ist bürokratisch`. Also ich war ja sechs Jahre hier Stadtrat, die Stadtverordnetenversammlung ist eine hyperbürokratische Veranstaltung, die Länderebene ist eine hyperbürokratische Veranstaltung, und die nationale Ebene auch. D.h. wenn man sagen würde, jede politische Ebene ist bürokratisch, sage ich: ja. Das ist so. Denn Demokratie im Grunde genommen ist Freiheit in Gesetze gegossen. Das ist nicht immer sexy. Deswegen finde ich, man kann sagen, Europa schafft kleinliche Gesetze oder falsche Gesetze, damit kann man sich auseinandersetzen, aber dieser Bürokratie-Vorwurf, das ist populistisch."
Die große Angst
Gemeinsam ist allen europäischen Populisten, dass sie Angst haben. Angst vor Wohlstandsverlusten.
Französischer Arbeitsloser: "Wir sind enttäuscht von den Politikern bisher, gerade was Arbeitsplätze angeht. Wir wollen den Wechsel. Und das ist der Front National für uns."
Angst vor Zuwanderung und dem Verlust der nationalen Identität.
Kölmel: "Wir sind das einzige Land weltweit, wo man sich z.B. überlegen muß, bei welcher Gelegenheit, dass man die Deutschland-Fahne zeigen darf und wo nicht."
Angst vor dem Verlust nationaler Souveränität.
Frage: "Sie gehören alle gefeuert. Herr Barroso, Sie werden ihren Job verlieren, und Herr Schulz ebenso. Ich will, dass ihr alle gefeuert werdet."
Diese drei Elemente - die wirtschaftliche, kulturelle und politische Ebene – bündeln die populistischen Parteien in ihrer euroskeptischen Haltung. Auf allen drei Ebenen steht die EU stellvertretend für die Negativfolgen eines Modernisierungsprozesses, als deren Verlierer sie sich sehen.
Die genannten populistischen Tendenzen müssen sich jedoch nicht notwendigerweise in der Neugründung von Parteien niederschlagen. So kann der Populismus auch durch linke Strömungen aufgefangen und kanalisiert werden. Zu denken ist wiederum an Beppe Grillo, der explizit das Ziel verfolgt, in seine eher linke Agenda auch rechte Wähler einzubinden, um das gesamte Protestpotenzial zu verkörpern. In Deutschland kann die Partei "Die Linke“, gerade weil sie über jeden Faschismusvorwurf erhaben ist, es sich leisten, mit Methoden auf Stimmenfang zu gehen, die man teilweise eher von Rechtspopulisten erwarten würde. Die wiederum können sich immer auch in der Partei wiederfinden, die ausdrücklich nicht rechts von sich dudelt.
Seehofer: "Eurostaaten, die sich nicht an die gemeinsamen Regeln der Haushaltsdisziplin halten und dadurch sich und die Währungsunion in Schwierigkeiten bringen, müssen damit rechnen, die Währungsunion verlassen zu müssen."
Horst Seehofer fordert gerne einfache Lösungen, nach dem Motto "Wir zahlen nicht mehr. Sollen doch die anderen bezahlen".
"Man könnte das relativ einfach machen, indem man allen, die in Deutschland eine KFZ-Steuer bezahlen, mit dem KFZ-Steuerbescheid das Pickerl mitschickt, und damit ist die Maut für die Deutschen erledigt."
Das Problem ist hier - wie auch bei anderen Themen - nicht, dass man inhaltlich unterschiedlicher Meinung sein kann. Problematisch ist dagegen, wie Seehofer es versteht, Affekte auf andere zu lenken: mal sind es die Griechen, mal die ausländischen Straßenbenutzer, mal die sog. Armutszuwanderer. Seehofers Vorgänger Edmund Stoiber hatte dafür folgende Formel entwickelt:
"Dem Volk aufs Maul schauen, aber nicht nach dem Mund reden. Das ist unser Motto, dem Volk aufs Maul schauen."
Hervorrufen von Neidreflexen
Ausländer, die sich auf betrügerische Weise öffentliche Gelder erschlichen haben, können ausgewiesen werden; das sieht bereits das geltende EU-Recht vor. Aber Horst Seehofer hat es auf die Zuspitzung abgesehen, die da lautet: "Wer betrügt, der fliegt." Erst das Hervorrufen von Neidreflexen und Affekten gegen andere machen den Satz populistisch. Kein Wunder, dass sich Alexander Gauland von der AfD empört und befürchtet, die CSU könne ihm das Protestpotenzial streitig machen:
"Das halte ich für den Versuch, der AfD das Wasser abzugraben, mit irgendeiner Parole, die im Grunde genommen, eine Parole ohne Wert ist. Ich will jetzt nicht das Wort Populismus verwenden, sondern es ist im Grunde genommen eine große Heuchelei."
Daniel Cohn-Bendit dagegen kann sich über die rechten Ausfälle der CSU nicht weiter empören; sicher, das sei "bloß" populistisch, meint er:
"Ja, die CSU hat immer mit so was gespielt seit Franz-Joseph Strauss, es ist ja nichts Neues. Die CSU hat immer ein rechtes Potenzial gebunden, also ein ultrarechtes Potenzial gebunden. Ich finde, das muss man den politischen Parteien aber zugute halten, eigentlich funktioniert die Demokratie in Deutschland noch, wenn ich es mit Europa vergleiche, nicht schlecht, d.h. es gibt eine tiefe Ungerechtigkeit, aber den Menschen geht es im Verhältnis eigentlich nicht schlecht Deutschland hat so schreckliche Erfahrungen in der Geschichte gemacht, dass es sich demokratisch schon stark stabilisiert hat.“
Kritischer sieht die Dinge Politikprofessor Jan-Werner Müller aus Princeton. Seiner Ansicht nach sind auch die etablierten Parteien nicht frei davon, populistisch zu reden:
"Also wenn die Kanzlerin von den Menschen spricht, als sei das quasi so eine homogene Masse da draußen im Lande, und für die gibt es eben eine richtige Lösung – alle kennen den berühmten Satz: es ist alternativlos - , dann ist das natürlich, wenn Sie meiner Definition folgen, zumindest ein leicht populistisch angehauchtes Gedankenmuster. Man sollte schon immer im Gedächtnis behalten, dass Demokratie halt ohne Pluralismus nicht geht, dass es ohne wirkliche Debatten von wirklichen Alternativen nicht geht, und dass nicht nur von den Rändern populistisch irgendetwas auf uns zukommt, sondern dass wir uns einschläfern lassen können mit populistischen Argumenten, die aus der Mitte kommen."
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