Europäische Außenpolitik

Netzwerker sind gefragt

Ein leerer Luftballon mit dem Logo der Europäischen Union
Für eine gemeinsame EU-Außenpolitik sind die spezifischen kulturellen und historischen Erfahrungen der einzelnen Mitgliedsländer wertvoll, findet Jörg Himmelreich. © dpa / picture alliance / Arno Burgi
Von Jörg Himmelreich · 08.01.2015
Solange die EU keine politische Gemeinschaft sei, werde es keine einheitliche EU-Außenpolitik geben, meint der Publizist Jörg Himmelreich. Doch sieht er genau darin eine Chance: Je nach Thema müssten geeignete Staaten die Führung übernehmen und viel netzwerken.
Der "Islamische Staat" im Nahen Osten, die "Ebola-Epidemie" in Afrika und Putins Überfall in der Ukraine – die Europäische Union ist umgeben von fundamentalen, nie dagewesenen unmittelbaren Gefahren für ihre Sicherheit. Sie alle werden lange anhalten. Sie alle schreien nach einem gemeinschaftlichen Handeln in der Außenpolitik.
Außenpolitik noch immer Kernkompetenz der Mitgliedsstaaten
Aber Außenpolitik gehört bekanntermaßen nicht zu den Aufgaben, die allein der neuen Brüsseler Administration unter Jean-Claude Juncker übertragen sind. Sie ist noch immer eine Kernkompetenz der einzelnen 28 Mitgliedsstaaten. Darüber kann auch eine EU-Außenministerin nicht hinweg täuschen, selbst wenn sie über einen eigenen Auswärtigen Dienst verfügt.
Und solange die Europäische Union keine politische Gemeinschaft ist, wird es sie auch nicht geben: eine deutlich hörbare EU-Außenpolitik, die mit einer Stimme aus Brüssel spricht. Das muss kein Schaden sein, wenn aus dem Dezentralen der Außenpolitik eine föderale Methode wird, und eben keine Ausrede für zögerliches Nicht-Handeln bleibt.
Die NATO beispielsweise krankt daran, dass sie nur einstimmig handeln darf. Und da Einstimmigkeit unter den 28 Staaten selten zu erzielen ist, reicht es oft nur zu einer kleinen "Koalition der Willigen", die jeweils zum Handeln bereit ist. Das könnte man zwar als Chance flexibler Antworten im Einzelfall ansehen. Stattdessen wird das Bündnis jedes Mal aber ins schiefe Licht gerückt, gespalten zu sein.
Besondere Erfahrungen jedes Mitgliedslandes nutzen
Der Wiener Kongress vor 200 Jahren sorgte gerade deswegen jahrzehntelang für Frieden in Europa, weil er die fünf damaligen europäischen Großmächte nicht in ein Korsett gemeinsamer Außenpolitik presste, sondern ein immer wieder neu abgestimmtes Verständnis für Leitprinzipien einer Friedensordnung hervorbrachte.
Eine gemeinsame Außenpolitik der EU bedarf zwar des Rückenwindes durch das Duo Deutschland und Frankreich. Zusätzlich aber böte sich ein Spiel mit verteilten Rollen an, in dem jedes Mitgliedsland eine besondere diplomatische Stimme hörbar werden lässt, so es regional, historisch oder kulturell von einem Problem betroffen ist oder erfahren ist, es zu lösen.
Es waren die Polen, die sich beharrlich für eine europäische Partnerschaft mit ihrem Nachbarn Ukraine einsetzten. Es waren die baltischen Staaten, die höchst sensibel auf Russlands Griff nach der Krim reagierten. Und es waren zuvor schon die osteuropäischen EU-Länder, die gemeinsam einen europäischen Energiemarkt einforderten, der sie unabhängiger von russischem Öl und Gas macht.
Rollenspiel darf nicht zu alten Machtträumen verleiten
Im Kampf gegen die Terrorgruppe "Islamischer Staat" oder gegen die Epidemie "Ebola" übernehmen hingegen Frankreich und Großbritannien eine Führungsrolle, weil sie mit dem Nahen Osten oder mit Afrika vielfach verbunden sind.
Ein solches Rollenspiel setzt voraus, dass ehemalige Kolonialmächte nicht alte Machtträume beleben und dass ein einflussreiches Deutschland sich nicht aus der Verantwortung stiehlt, was ja andererseits nicht daran hinderte, anderen EU-Staaten zuweilen diplomatisch den Vortritt zu lassen. Zum Rollenspiel würde auch gehören, als großes Land demonstrativ auf die Anliegen der kleinen Mitglieder Rücksicht zu nehmen.
Es mag zuweilen beschwerlich und langwierig sein, bis sich die EU-Staaten über unterschiedliche Interessen hinweg auf gemeinsames Handeln einigen. Der Prozess wird immer dann erfolgreich sein, wenn er tatsächlich von europäischer Verantwortung getragen wird.
Eine solche gemeinsame Außenpolitik unter variabler, auch deutscher Federführung hat Wladimir Putin zu spüren bekommen. Er wird sie nicht ignorieren.
Jörg Himmelreich schreibt als Autor für die "Neue Zürcher Zeitung" und forscht zu kulturgeschichtlichen und außenpolitischen Themen Russlands und Asiens. Er war Mitglied des Planungsstabs des Auswärtigen Amts in Berlin sowie Gastdozent und politischer Berater in Washington, Moskau, London und ist Senior Transatlantic Fellow des German Marshall Fund of the United States in Berlin.
Jörg Himmelreich
Jörg Himmelreich© Peter Ptassek