Europäische Flüchtlingspolitik

"Der politische Wille fehlt"

Vor der Insel Lampedusa warten Flüchtlinge in einem Schlauchboot darauf, in Sicherheit gebracht zu werden.
Flüchtlinge in einem Schlauchboot vor Lampedusa © dpa / picture alliance / Darrin Zammit Lupi
Hans ten Feld im Gespräch mit Nana Brink |
Mangelnder politischer Wille, keine klaren Zeichen: So urteilt der bisherige Vertreter des UN-Flüchtlingskommissariats in Deutschland, Hans ten Feld, über die europäische Flüchtlingspolitik. Deutschland jedoch nehme eine Vorreiterrolle ein und sende wichtige Signale.
Der bisherige Vertreter des UN-Flüchtlingskommissariats (UNHCR) in Deutschland, der niederländische Diplomat Hans ten Feld, hat die europäische Flüchtlingspolitik kritisiert. Es fehle der politische Wille, bei diesem Thema klare Zeichen zu setzen, sagte ten Feld im Deutschlandradio Kultur:
"Da sind erste, kleine Schritte gemacht worden auf europäischer Ebene. Aber da muss noch so viel, viel mehr geschehen."
Es müssten etwa legale Wege für Flüchtlinge, die nach Europa wollten, geschaffen werden, forderte er:
"Es muss gar nicht notwendig sein, dass Leute sich in die Hände von Schleppern begeben. Dass sie über Zäune klettern müssen, um zu versuchen, ihr Leben zu retten."
Deutschland ist ein wichtiger Geldgeber
Ten Feld verwies auf die Vorreiterrolle Deutschlands im solidarischen und verantwortlichen Umgang mit der Flüchtlingsproblematik. Das Land sei ein wichtiger Geldgeber. Hier beschäftige man sich auch mit der Frage, wie man ganzheitlich mit diesem Thema umgehen könne:
"Nicht nur in Europa und nicht nur als Frage von Grenzkontrollen. Sondern auch damit, wie man vor Ort oder in Nachbarländern helfen kann . Das sind wichtige Schritte, wichtige Signale, die da von Deutschland ausgehen."
Die größte Herausforderung seiner Tätigkeit sei es gewesen, Regierungen und Länder dazu aufzurufen, die Grenzen offen zu halten, bilanzierte ten Feld. Nach der ersten Phase der humanitären Nothilfe sei es aber auch ebenso notwendig gewesen, den Flüchtlingen mit Entwicklungsplänen eine Perspektive zu bieten – entweder zur Integration oder zur möglichen Rückkehr in ihre Heimatländer. Ten Feld ist Ende Juni 2015 mit Erreichen der Altersgrenze nach mehr als 35 Jahren im Dienst der Vereinten Nationen in den Ruhestand gegangen.

Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Über 35 Jahre lang hat Hans ten Feld für die Vereinten Nationen gearbeitet. Auf so eine lange Karriere wie der niederländische Diplomat kann wohl kaum einer in dieser Organisation zurückgreifen. Begonnen hat er seine Laufbahn beim Entwicklungsprogramm in Togo, dann war er in Samba, in Kambodscha, in Indien, in Myanmar, in Neuseeland und auch immer wieder in Deutschland. Gestern hat Hans ten Feld seine Karriere beendet und zwar als Vertreter des UN-Flüchtlingskommissariats in Deutschland, kurz UNHCR genannt. Guten Morgen!
Hans ten Feld: Guten Morgen!
Brink: Gegenwärtig scheint ja die Flüchtlingsfrage in Europa eine so drängende wie nie zuvor zu sein. Und so drängend wie sie ist, so unlösbar scheint sie uns auch. Macht Ihnen das den Abschied schwer?
Feld: Es macht es schwer in dem Sinne, dass da so wenig Führung ist in Europa und Wille, politischer Wille im Besonderen, um hier klare Zeichen zu setzen, aber zugleich – ich meine, ich verabschiede mich in der Arbeit hier in Deutschland. Und gerade Deutschland ist eigentlich ein leuchtendes Beispiel in Europa, wie man wohl sich verhalten sollte und wie man Solidarität zeigen sollte, auch für Flüchtlinge, auch in benachbarten Ländern, die meistens bis zu 90% aller Flüchtlinge aufgenommen haben.
Deutschland ist ein "leuchtendes Beispiel"
Brink: Sie sagen: Deutschland sei ein leuchtendes Beispiel. Das erscheint ja vielen hier nicht so. Was erscheint Ihnen so leuchtend?
Feld: Ich meine es kann natürlich immer besser und verbessert werden, aber Deutschland hat sehr hohe Zahlen an Asylbewerbern, gehört zu den höchsten Aufnahmeländern, was Asylbewerber angeht. Es hat aber sich bereit erklärt, syrische Flüchtlinge aufzunehmen – insgesamt ein Kontingent von 20.000 bundesweit –, und die Bundesländer haben auch nun mal Plätze bereitgestellt.
Deutschland hat schon in 2012 ein Resettlement-Programm auf die Beine gebracht, wobei also Flüchtlinge aus Drittländern eingeladen werden, um ihre Zukunft hier in Deutschland neu zu gestalten, hier bleiben zu können, ihr Leben neu aufbauen zu können. Deutschland ist ein wichtiger Geldgeber und Deutschland hat doch eine Vorreiterrolle eingenommen in Europa, um darüber zu reden: Wie kann man solidarisch und verantwortlich umgehen mit dem Flüchtlingsproblem? Und wie kann man ganzheitlich damit umgehen - nicht nur in Europa und nicht nur als Frage von Grenzkontrollen. Es geht aber auch um die Frage, wie man vor Ort helfen kann, in Nachbarländern. Das sind wichtige Schritte, wichtige Signale, die da von Deutschland ausgehen.
Das Bemühen um offene Grenzen
Brink: Nun haben Sie 35 Jahre lang für die Vereinten Nationen gearbeitet, eine unglaublich lange Zeit. Wo lag in dieser Zeit die größte Herausforderung für Sie?
Feld: Die größte Herausforderung war doch immer wieder einerseits die Regierung, die Länder dazu aufzurufen, die Grenzen offen zu halten, wirklich Flüchtlinge auch aufzunehmen. Aber zugleich hat es über die Jahre hinweg die größte Herausforderung, nach der ersten Phase und nach der Phase der humanitären Nothilfe, die Verbindung zu legen zur Aufnahme und zur Aufnahme in Entwicklungspläne. Um die Flüchtlinge nicht als vorübergehende Gäste zu sehen sozusagen, aber wirklich aufzunehmen und eine Perspektive zu bieten. Dass sie wieder zurückkehren konnten, wenn das dann möglich wäre, oder dass sie ihr Eigenleben selbstständig als Menschen wieder vor Ort aufbauen konnten.
Brink: Sie sagen die Grenzen offen halten, aber ist das eigentlich nicht genau das, was ja gerade nicht passiert in Europa?
Feld: Das ist das größte Problem zurzeit, wo wir immer wieder dafür eingetreten sind, dass Seenotrettung nicht gestoppt werden darf, dass die stattfinden muss, aber wichtiger ist es tatsächlich noch, dass legale Wege geschaffen werden. Es muss eigentlich gar nicht notwendig sein, dass Leute sich in den Händen von Schleppern bewegen, dass sie über Zäune klettern müssen, um ihr Leben versuchen zu retten. Wenn es wirklich legale Wege gibt, und die müssten geschafft werden, Familien müssten wieder zusammengeführt werden, Studenten müssten wieder eine Zukunft geboten werden, humanitäre Visen müssen aufgestellt werden und da sind erste kleine Schritte gemacht worden auf europäischer Ebene, aber da muss noch so viel, viel mehr geschehen.
Brink: Herzlichen Dank, Hansten Feld. Nach 35 Jahren beendet er seine Karriere bei den Vereinten Nationen, zuletzt als UN-Flüchtlingskommissar in Deutschland. Herzlichen Dank und alles Gute für Sie für die Zukunft!
Feld: Herzlichen Dank und alles Gute mit Ihrer Sendung!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema