Europäische Geheimdienste stärken
Der Berliner Politologe Herfried Münkler fordert als Konsequenz aus der NSA-Spähaffäre, dass die Europäer eigene Aufklärungs- und Überwachungssysteme entwickeln. Damit könne dann das europäisch-amerikanische Verhältnis wieder "auf Augenhöhe" gebracht werden.
Ute Welty: Dieses Mal schickt sie nicht den Innenminister, sondern Experten. Zur Aufklärung von "Handygate" entsendet die Bundeskanzlerin die Chefs der deutschen Geheimdienste und Vertreter des Kanzleramtes. Die sollen in Washington Gespräche führen - unverschlüsselt! Wobei das mit dem Klartext so eine Sache ist, denn ganz vergrätzen will man die Amerikaner auch nicht! Was die NSA-Spähaffäre für die internationalen Beziehungen bedeutet, das bespreche ich jetzt mit dem Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler. Guten Morgen!
Herfried Münkler: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Die deutsche Empörung verortet nicht zuletzt unser USA-Korrespondent in Washington zwischen Naivität und Zynismus. Sehen Sie das diesseits des Atlantiks ähnlich?
Münkler: Ich glaube, schon. Also, diese Empörung in Verbindung mit dem Einklagen von Freundschaft verdeckt ein bisschen den Umstand, dass es ja nicht die eigene Spionageabwehr gewesen ist, die darauf gekommen ist, dass das Handy der Kanzlerin abgehört wird, sondern dass man hier eher in Kombination mit den vielen Zahlen von Snowden und dem Zufall darauf gekommen ist. Ich denke, darüber müsste man an allererster Stelle nachdenken, bevor man sich über die Amerikaner echauffiert.
Welty: Fehlt Ihnen das Kehren vor der eigenen Haustür?
Münkler: Ja, das Kehren vor der eigenen Haustür, aber jetzt nicht im moralischen Sinne, wie diese Diskussion mal wieder geführt wird – unter Freunden geht das gar nicht –, sondern eher im Sinne von: Welche Fähigkeiten haben wir und welche Fähigkeiten haben wir nicht. Und nachdem ja klar ist, dass der Bundesnachrichtendienst im Prinzip auf amerikanische Spy-Software angewiesen ist, um entsprechende Aktionen, Operationen durchführen zu können, und den Zugriff auf dieses Equipment damit bezahlt, dass er die Amerikaner an den Informationen teilhaben lässt, ist auch klar, dass wir Europäer uns in einer Situation der Abhängigkeit befinden.
Wenn dann einige Politiker aufkommen und sagen, sie wollten mit den Vereinigten Staaten auf Augenhöhe sprechen, dann ist klar, dass das nicht geht. Das heißt, dass man vor zehn, 20 Jahren einen verheerenden strategischen Fehler gemacht hat, insofern man nicht ein gemeinsames europäisches Programm aufgelegt hat zur Entwicklung eigener Fähigkeiten.
Welty: Lässt sich dieser Fehler überhaupt noch wiedergutmachen?
Münkler: Das müssen wir hoffen, dass jetzt so schnell wie möglich entsprechende europäische Unternehmen damit beschäftigt werden, diese Fähigkeiten aufzubauen. Das ist das, was die eigentliche sinnvolle und längerfristig angelegte Konsequenz aus dieser Affäre ist. Denn auch in Zukunft wird man ja nur davon ausgehen können, dass Verträge und Abkommen eingehalten werden, wenn man selber nicht nur grundsätzlich in der Rolle des Bittstellers, des Abhängigen sich befindet, sondern sagen kann, na gut, also, bitte, wenn ihr Merkels Handy abhört, dann hören wir Obamas Handy ab!
Herfried Münkler: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Die deutsche Empörung verortet nicht zuletzt unser USA-Korrespondent in Washington zwischen Naivität und Zynismus. Sehen Sie das diesseits des Atlantiks ähnlich?
Münkler: Ich glaube, schon. Also, diese Empörung in Verbindung mit dem Einklagen von Freundschaft verdeckt ein bisschen den Umstand, dass es ja nicht die eigene Spionageabwehr gewesen ist, die darauf gekommen ist, dass das Handy der Kanzlerin abgehört wird, sondern dass man hier eher in Kombination mit den vielen Zahlen von Snowden und dem Zufall darauf gekommen ist. Ich denke, darüber müsste man an allererster Stelle nachdenken, bevor man sich über die Amerikaner echauffiert.
Welty: Fehlt Ihnen das Kehren vor der eigenen Haustür?
Münkler: Ja, das Kehren vor der eigenen Haustür, aber jetzt nicht im moralischen Sinne, wie diese Diskussion mal wieder geführt wird – unter Freunden geht das gar nicht –, sondern eher im Sinne von: Welche Fähigkeiten haben wir und welche Fähigkeiten haben wir nicht. Und nachdem ja klar ist, dass der Bundesnachrichtendienst im Prinzip auf amerikanische Spy-Software angewiesen ist, um entsprechende Aktionen, Operationen durchführen zu können, und den Zugriff auf dieses Equipment damit bezahlt, dass er die Amerikaner an den Informationen teilhaben lässt, ist auch klar, dass wir Europäer uns in einer Situation der Abhängigkeit befinden.
Wenn dann einige Politiker aufkommen und sagen, sie wollten mit den Vereinigten Staaten auf Augenhöhe sprechen, dann ist klar, dass das nicht geht. Das heißt, dass man vor zehn, 20 Jahren einen verheerenden strategischen Fehler gemacht hat, insofern man nicht ein gemeinsames europäisches Programm aufgelegt hat zur Entwicklung eigener Fähigkeiten.
Welty: Lässt sich dieser Fehler überhaupt noch wiedergutmachen?
Münkler: Das müssen wir hoffen, dass jetzt so schnell wie möglich entsprechende europäische Unternehmen damit beschäftigt werden, diese Fähigkeiten aufzubauen. Das ist das, was die eigentliche sinnvolle und längerfristig angelegte Konsequenz aus dieser Affäre ist. Denn auch in Zukunft wird man ja nur davon ausgehen können, dass Verträge und Abkommen eingehalten werden, wenn man selber nicht nur grundsätzlich in der Rolle des Bittstellers, des Abhängigen sich befindet, sondern sagen kann, na gut, also, bitte, wenn ihr Merkels Handy abhört, dann hören wir Obamas Handy ab!
"Eine Sprache der Verdummung"
Welty: Sie haben es eben schon gesagt, es wird ja sehr zwischenmenschlich argumentiert, da ist viel von Freundschaft die Rede, von Vertrauen, von Respekt. Taugt diese Ebene der Argumentation überhaupt für eine nüchterne politische Bewertung?
Münkler: Naja, es ist wohl seit einigen Jahrzehnten der Fall, dass diese Semantik des Persönlichen zur Veranschaulichung von politischen Beziehungen üblich geworden ist. Und das ist eigentlich in einer Demokratie etwas ausgesprochen Schlechtes, weil es zur Folge hat, dass sich – in derselben Semantik formuliert – die Menschen draußen nicht angemessene Vorstellungen darüber machen, wie solche Prozesse laufen. Es ist eigentlich eine Sprache der Verdummung.
Welty: Diese Enttäuschung, die allenthalben zu spüren ist, inwieweit hängt die mit dem historischen Bewusstsein oder der historischen Illusion zusammen, die USA sind die Guten? Und inwieweit ist es an der Zeit, sich davon zu verabschieden?
Münkler: Ja, das spielt sicherlich eine große Rolle, wiewohl eigentlich ja mit Blick auf die deutsche Bevölkerung man sagen müsste, Pi mal Daumen, 17 Millionen sind groß geworden nicht mit der Vorstellung, die USA sind die Guten, sondern die USA sind der Feind, so wie die anderen 63 Millionen groß geworden sind mit der Vorstellung, dass alles, was gefährlich und unangenehm ist, aus dem Osten kommt.
Welty: Sie sprechen die verschiedenen Generationen an.
Münkler: Genau, die in der DDR und in der Bundesrepublik groß geworden sind. Eigentlich müsste es bei den Deutschen sozusagen eine zumindest teilweise in Fleisch und Blut übergegangene Distanz geben. Das ist schwer zu sagen, inwieweit im Hintergrund bei einigen das doch der Fall ist. Aber vermutlich zielen Sie mit Ihrer Frage auf einen Kern des Problems, nämlich zu sagen, eine Naivität, die um sich gegriffen hat, bei der man selber bei solchen Semantiken wie der von Freundschaft und der von Vertrauen und derlei mehr zum Opfer gefallen ist und das glaubt, was einem diese Begriffe suggerieren.
Welty: Wenn wir jetzt noch mal zusammenfassen, was wir in den letzten Minuten erörtert haben: Erleben wir einen Rückschlag, einen Moment der Wahrhaftigkeit oder eine stärkende Krise?
Münkler: Ja gut, ich meine, die Politik ist natürlich auch damit beschäftigt, die Auswirkungen dieses sicherlich tiefgreifenden Vertrauensverlusts in Grenzen zu halten und jetzt hier nicht Effekte eintreten zu lassen, Abbruch dieser Verhandlung, Abbruch jener Verhandlungen, die in der gegenwärtig schwierigen weltwirtschaftlichen Lage obendrein noch schlechter sich auswirken. Also sozusagen, man muss solche Krisen auch eindämmen. Und insofern kann man sagen, das ist vielleicht das Vernünftige und Kluge daran, dass man eine starke Vorstellung daran hat, dass man mindestens 50 Prozent des Problems bei sich selber suchen muss und bei seinen eigenen Unfähigkeiten, solche Späh- und Lauschangriffe abzuwehren.
Und es kommt nicht darauf an, dass gewissermaßen jetzt hier die deutsch-amerikanischen Beziehungen Schaden leiden, sondern dass die deutsch-amerikanischen oder auch die europäisch-amerikanischen Beziehungen auf ein Fundament gestellt werden, das tatsächlich in diesem Begriff der Augenhöhe angemessen abgebildet werden kann.
Welty: Mehr Sachlichkeit fordert der Politikwissenschaftler Herfried Münkler im Interview der "Ortszeit". Ich danke dafür!
Münkler: Bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Münkler: Naja, es ist wohl seit einigen Jahrzehnten der Fall, dass diese Semantik des Persönlichen zur Veranschaulichung von politischen Beziehungen üblich geworden ist. Und das ist eigentlich in einer Demokratie etwas ausgesprochen Schlechtes, weil es zur Folge hat, dass sich – in derselben Semantik formuliert – die Menschen draußen nicht angemessene Vorstellungen darüber machen, wie solche Prozesse laufen. Es ist eigentlich eine Sprache der Verdummung.
Welty: Diese Enttäuschung, die allenthalben zu spüren ist, inwieweit hängt die mit dem historischen Bewusstsein oder der historischen Illusion zusammen, die USA sind die Guten? Und inwieweit ist es an der Zeit, sich davon zu verabschieden?
Münkler: Ja, das spielt sicherlich eine große Rolle, wiewohl eigentlich ja mit Blick auf die deutsche Bevölkerung man sagen müsste, Pi mal Daumen, 17 Millionen sind groß geworden nicht mit der Vorstellung, die USA sind die Guten, sondern die USA sind der Feind, so wie die anderen 63 Millionen groß geworden sind mit der Vorstellung, dass alles, was gefährlich und unangenehm ist, aus dem Osten kommt.
Welty: Sie sprechen die verschiedenen Generationen an.
Münkler: Genau, die in der DDR und in der Bundesrepublik groß geworden sind. Eigentlich müsste es bei den Deutschen sozusagen eine zumindest teilweise in Fleisch und Blut übergegangene Distanz geben. Das ist schwer zu sagen, inwieweit im Hintergrund bei einigen das doch der Fall ist. Aber vermutlich zielen Sie mit Ihrer Frage auf einen Kern des Problems, nämlich zu sagen, eine Naivität, die um sich gegriffen hat, bei der man selber bei solchen Semantiken wie der von Freundschaft und der von Vertrauen und derlei mehr zum Opfer gefallen ist und das glaubt, was einem diese Begriffe suggerieren.
Welty: Wenn wir jetzt noch mal zusammenfassen, was wir in den letzten Minuten erörtert haben: Erleben wir einen Rückschlag, einen Moment der Wahrhaftigkeit oder eine stärkende Krise?
Münkler: Ja gut, ich meine, die Politik ist natürlich auch damit beschäftigt, die Auswirkungen dieses sicherlich tiefgreifenden Vertrauensverlusts in Grenzen zu halten und jetzt hier nicht Effekte eintreten zu lassen, Abbruch dieser Verhandlung, Abbruch jener Verhandlungen, die in der gegenwärtig schwierigen weltwirtschaftlichen Lage obendrein noch schlechter sich auswirken. Also sozusagen, man muss solche Krisen auch eindämmen. Und insofern kann man sagen, das ist vielleicht das Vernünftige und Kluge daran, dass man eine starke Vorstellung daran hat, dass man mindestens 50 Prozent des Problems bei sich selber suchen muss und bei seinen eigenen Unfähigkeiten, solche Späh- und Lauschangriffe abzuwehren.
Und es kommt nicht darauf an, dass gewissermaßen jetzt hier die deutsch-amerikanischen Beziehungen Schaden leiden, sondern dass die deutsch-amerikanischen oder auch die europäisch-amerikanischen Beziehungen auf ein Fundament gestellt werden, das tatsächlich in diesem Begriff der Augenhöhe angemessen abgebildet werden kann.
Welty: Mehr Sachlichkeit fordert der Politikwissenschaftler Herfried Münkler im Interview der "Ortszeit". Ich danke dafür!
Münkler: Bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.