Europäische Konzerne in Mexiko
Der Windpark Oaxaca: Die Region am Isthmus von Tehuantepec im Süden Mexikos gilt als eine der windreichsten der Welt. © Deutschlandradio / Anne Demmer
Keine Geschäfte auf Augenhöhe
23:13 Minuten
Hierzulande diskutiert man über jedes Windrad, in Mexiko wird einfach gebaut: egal ob Windparks oder Ammoniakanlagen. Europäische Firmen nutzen auch postkoloniale Strukturen, um ihr Interesse durchzusetzen. Indigene Gemeinden haben oft das Nachsehen.
Wer mit dem Boot in der Bucht von Ohuira anlegt, dem fallen die riesigen Buchstaben an der Häuserwand sofort ins Auge: „Aqui No!“ – Hier nicht. Der Protest richtet sich gegen den Bau einer Ammoniakanlage, die Düngemittel für die Landwirtschaft produzieren soll.
„Die Anlage, die entstehen soll, befindet sich nur sechs, vielleicht sieben Kilometer von unserer Gemeinde entfernt. Das Unternehmen selbst spricht in seinen Studien davon, was ein Leck anrichten kann. Bei dieser kleinen Distanz sind wir leichte Beute. Vielleicht explodiert die Anlage nicht, aber auch eine kleine toxische Wolke kann uns schon auslöschen. Und mit diesem Risiko wollen wir nicht leben“, sagt Melinda Maldonada.
Sie ist gegen die Anlage, die die deutsch-schweizerische Holding Proman in ihrer Heimat im nordmexikanischer Bundesstaat Sinaloa bauen will. Eine unternehmenseigene Studie räumt ein, dass selbst ein kleines Leck in der Gasleitung tödlich sein könnte für die Menschen und die Umwelt. So jedenfalls interpretieren die 43-Jährige und ihrer Mitstreiter die Ergebnisse. Und das hat dazu geführt, dass sie sich organisiert haben.
„Mit deutschem Geld geschieht Unrecht“
Rund 30 Menschen der indigenen Gemeinde in dem kleinen Ort Lázaro Cádenas haben sich an diesem Abend von der Initiative „Aqui No!“ versammelt. Melina Maldonado ist Wortführerin.
„Es gibt bereits Klagen, die zu unseren Gunsten entschieden wurden, weil es keine anständige Befragung gegeben hat“, erzählt sie. „Und jetzt sind sie hier einfach hergekommen und wollen uns vor vollendete Tatsachen stellen. Wir fühlen uns komplett überrumpelt, unsere Rechte werden von diesem Unternehmen verletzt, unsere traditionellen Bräuche und Gewohnheiten. Hier gibt es mehr als 20 Hektar Mangroven. Für uns ist das hier auch ein heiliger Ort der Geister unserer Vorfahren.“
Die Bucht von Ohuira ist eingerahmt von Mangroven. Sie brechen Flutwellen, schützen Arten, können mehr CO2 speichern als die Pflanzenvielfalt des Regenwaldes. Es ist ein Feuchtgebiet, das unter den Schutz des internationalen Artenschutzabkommens Ramsar fällt, erklärt Melina Maldonado. Sie ist Fischerin und studiert an der nahe gelegenen Indigenen Universität in Los Mochis ländliche Soziologie.
„In Deutschland kann man nicht einen kleinen Baum ohne Genehmigung fällen, ohne dass man verklagt wird. Und jetzt wird hier mit deutschem Geld diese Ungerechtigkeit veranstaltet, die unsere indigene Gemeinde direkt trifft“, sagt sie. „Es reicht, dass sie sich über unser Recht stellen. Wir wollen nicht, dass unser Leben hier durch die Produktion von Ammoniak bedroht wird. Dagegen kämpfen wir – für den Schutz der Natur und unser Leben.“
Manche erhoffen sich Arbeitsplätze
Die meisten der rund 1000 Menschen, die in Lázaro Cardenas wohnen, leben vom Fischfang. Mehr schlecht als recht. Der geplante Bau der Ammoniakanlage hat die Gemeinde gespalten, denn natürlich werden Arbeitsplätze versprochen. Ehemalige Gegner seien zu Befürwortern geworden, weil sie bestochen wurden, meint Melina Maldonado.
„Das Unternehmen hat hier ein Dach gebaut und dort ein bisschen Geld bezahlt, damit die Menschen ein bisschen besser leben können. Sie haben die Gemeinde mit diesem Geld gespalten. Früher haben wir unsere Zeremonien zusammengefeiert. Jetzt machen wir das getrennt. Sie haben unsere Einheit zerstört“, sagt sie. „Natürlich gibt es hier viel Bedürftigkeit. Das Gemeindeoberhaupt bekommt Geld und kriegt gesagt: Sieh zu, dass du deine Leute in den Griff bekommst!“
Ganz in der Nähe haben sich Menschen versammelt, die den Bau der Fabrik unterstützen. Nur fünf Minuten dauert die Fahrt mit dem Geländewagen zu dem Gebäude, in dem sie sich treffen. Dennoch trennen sie Welten von Melina und ihren Leuten.
Einige Heiligenfiguren, ein riesiges Holzkreuz und bunte Girlanden verweisen darauf, dass in dem Haus auch religiöse Zeremonien stattfinden. Aber an diesem Abend sind 15 Männer und Frauen gekommen, die sich für die Ammoniakanlage aussprechen. Für die Kritik ihrer Mitbürger von „Aquí No“ haben sie kein Verständnis.
Librado Bacasegua hofft auf Entwicklung. „Mit dem Unternehmen werden sich auch andere Firmen ansiedeln. Das wird den Menschen hier mehr Möglichkeiten bieten. Das Meer gibt nicht mehr so viel her, das reicht nicht mehr für alle. Hier in Topolobambo und in der ganzen Region fehlt es an Arbeit.“
Die Firma bezahlt Medikamente
In der dreijährigen Bauphase würden etwa 2500 Arbeiter benötigt, erklärt der 59-Jährige. Zudem verspreche das Unternehmen, 265 hoch qualifizierte langfristige Arbeitsplätze zu schaffen.
Auch Don Agustin hält große Stücke auf die deutsch-schweizerische Holding GPO. „Wir sind ihnen sehr dankbar. Sie helfen uns, wenn jemand krank ist. Du kaufst die Medikamente und sie übernehmen die Rechnung. Wir geben nichts aus, sie zahlen alles. Sie helfen dir einfach, aber Geld geben sie uns nicht.“
Von Bestechung, wie ihm die Gegner der Fabrik vorwerfen, will der Mittsechziger nicht sprechen.
Mittlerweile ist auch Juan Carlos Maldonado gekommen. Er ist der Melinas Bruder. Wie seine Schwester sprach er sich früher gegen das Werk aus. Doch mittlerweile arbeitet er für die deutsch-schweizerische Holding und kümmert sich um Kontakte der Firma zur Bevölkerung. Also auch darum, dass Don Agustin die Medikamente weiterhin bezahlt bekommt.
„Die Verträge des Unternehmens haben eine sehr soziale Ausrichtung“, sagt er. „Das ist eine große Chance. Es werden nicht nur insgesamt Arbeitsplätze geschaffen, sondern vor allem für die Menschen in den angrenzenden Gemeinden. Wir haben hier ausgebildete junge Menschen, sie werden die ersten sein, die zum Zuge kommen.“
Das Dorf ist gespalten in Befürworter und Gegner
Im Gegensatz zu seiner Schwester fischt Maldonada nicht mehr. Er hatte Lázaro Cardenas für mehrere Jahre verlassen und Schiffstechnik studiert. Nun setzt er darauf, dass sich die Region durch industrielle Modernisierung weiterentwickelt. Mit den Kritikern der Anlage hat er große Probleme.
„Als ich einmal mit Vertretern von GPO hierher kam, hätten sie mich fast gelyncht. Sie respektieren den Rechtsstaat und meine Rechte nicht. Alles hat eine sehr persönliche Ebene bekommen, und das alles wegen der Fabrik“, sagt er.
Vertreter des Unternehmens sehen die internen Probleme der Dorfgemeinschaft nicht. Victor Vaca ist bei GPO für die Entwicklung der Anlage verantwortlich.
„Wir arbeiten seit 2014 mit den Gemeinden zusammen. Wenn wir mit Menschen aus den indigenen und anderen ländlichen Gemeinschaften reden, sprechen sich nur wenige gegen das Vorhaben aus. Sie sind nicht die Mehrheit und es gibt auch keine Spaltung in den Dörfern“, sagt er.
Für Arturo Moya, den GPO-Generaldirektor sind die Gegner eine kleine radikale Minderheit. Keine besorgten Anwohner, die sich für die Umwelt engagieren. „Das alles sind Teile des Mythos, den diese kleine Gruppe in ihrem terroristischen Narrativ verbreitet, um den Rest der Bevölkerung einzuschüchtern.“
Deutsche Unternehmen sollen profitieren
GPO gehört der deutsch-schweizerischen Holding Proman, einer der größten Düngemittelhersteller weltweit. Um die Fabrik in Topolobampo zu finanzieren, erhält die Firma von der deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau, der KfW, einen Kredit von 860 Millionen US-Dollar. Ein erheblicher Teil dieser Anleihe wird durch eine Hermesbürgschaft der Bundesregierung abgesichert.
Wirtschaftlich würde sich das Geschäft lohnen: 390 Millionen US-Dollar des Kredits gehen direkt an deutsche Firmen, die Geräte für die Ammoniakanlage herstellen. Damit GPO die Finanzierung bekommt, muss das Unternehmen internationale Umwelt- und Sozialstandards einhalten.
Die Befürchtungen der Fischer, das Kühlwasser könne die Lagune erhitzen, weist die KfW zurück. Auf Anfrage des Deutschlandradios erklärt sie schriftlich:
„Die Projektgesellschaft hat im Rahmen von Studien zur Umweltverträglichkeit untersuchen lassen, welche Erwärmung vor Ort durch Ableitung von Prozesswärme ins Meer zu erwarten ist. Das Ergebnis dieser Modellierungen war, dass eine erhebliche Erwärmung ausgeschlossen werden kann.“
Schlimme Umweltschäden werden befürchtet
Die Wissenschaftlerin Diana Escobedo beschäftigt sich seit Langem mit der Bucht, sie wurde zunächst auch von der deutsch-schweizerischen Holding GPO wegen ihrer Expertise angefragt. Darüber hinaus werden unabhängige Umwelt- und Sozialstudien in Auftrag gegeben.
Die mexikanische Wissenschaftlerin befürchtet, dass die große Menge an Wasser, das entsalzt wird, Schaden anrichtet. „Da geht es um 2000 Kubikmeter pro Stunde. Das ist barbarisch. Während das Wasser entsalzt und in der Anlage als Kühlwasser genutzt wird, fließt eine heiße Salzlake in die Lagune zurück.“
Dadurch werde nicht nur das Wasser in der Bucht erhitzt, sondern es gerieten auch Rückstände von Filtern in den See, die zu Verschmutzungen führten. Das sei hier besonders beunruhigend.
"Schadstoffe bleiben dort sehr lange"
„Die Lagune ist ein halb geschlossenes System“, erklärt sie. „Der Mund, der sie mit der nächsten verbindet, ist nur 700 Meter breit, und das bei einer Fläche von 125 Quadratkilometer. Das heißt, Schadstoffe bleiben dort sehr lange. Das haben mehrere Studien gezeigt.“
Wie auch die Fischerin Melina Maldonado befürchtet sie, dass die Gasleitungen beschädigt werden und Ammoniak ausströmen könnte.
„Diese Substanz trägt große Risiken mit sich. Das ist ein aggressives Gas, eines der lebensgefährlichsten. Es kann in weniger als einer Minute töten. Wir sprechen nicht von einer Explosion, sondern von einer Fuge. Im Radius von 14,5 Kilometer würden alle, die Indigenen, die Fischer, alle im Hafen von Topolobampo unmittelbar sterben“, sagt sie.
Diese Angaben gingen aus den Umweltstudien der GPO selbst hervor, betont die Wissenschaftlerin.
Projektentwickler Vaca steht dem gelassen gegenüber. „Wir haben Systeme, die alle Rohre und alle Tanks überwachen, um Unfälle zu verhindern. Zugleich kümmern wir uns darum, dass unsere Nachbarn alle wissen, wie sie sich gegebenenfalls zu verhalten haben“, sagt er.
„Aber ich denke, wir müssen nicht auf hypothetische Fragen eingehen, sondern die Realität betrachten. Die besagt, dass es keine Berichte darüber gibt, dass bei der industriellen Produktion durch Unfälle die Bevölkerung zu Schaden gekommen ist.“
Unterstützung gibt es von ganz oben
Allerdings listet die von GPO in Auftrag gegebene Studie zwar keine Unfälle in der Produktion auf, aber Vorkommnisse anderer Art. So kamen 2005 unweit von Topolobampo 38 Personen ums Leben, nachdem ein Autobus mit einem mit Ammoniak beladenen Lkw zusammengestoßen war. Die meisten starben durch Vergiftungen oder Verbrennungen. Die Erinnerung an die Katastrophe ist in der Region noch lebendig.
Mit Mexikos Präsidenten Andrés Manuel López Obrador hat GPO einen wichtigen Verbündeten. Der Staatschef plant große Infrastrukturprojekte: eine Containerstrecke zwischen Atlantik und Pazifik, ein Touristenzug auf der Halbinsel Yucatan und eine Erdölraffinerie.
Ende November erklärte er die Umsetzung solcher Projekte zum Interesse nationaler Sicherheit. Demnach müssen künftig solche Vorhaben innerhalb von fünf Tagen eine Vorabgenehmigung erhalten. Kritiker fürchten, dass die Projekte intransparenter durchgesetzt werden und Einsprüche weniger Chancen auf Erfolg haben, da sofort mit dem Bau begonnen werden kann.
Bislang müsse man Düngemittel aus dem Ausland kaufen, mit der Fabrik könne man 20 bis 30 Prozent des nationalen Bedarfs selbst produzieren, erklärte López Obrador.
Auf Menschen, die sich solchen Projekten entgegenstellen, ist der Linkspolitiker grundsätzlich nicht gut zu sprechen: „Diese selbst ernannten Umweltschützer sind nicht sehr aufrichtig. Viele verkleiden sich als solche, um einen persönlichen Vorteil zu erlangen. Wir haben gesehen, dass sie von ausländischen Unternehmen und sogar von der US-Botschaft finanziert werden.“
Bezahlte Reisen zu Vorzeigeprojekten
Melina Maldonado ärgert sich über solche Unterstellungen. Es ist sieben Uhr am Morgen, sie steht in ihrem orangefarbenen Ölzeug breitbeinig am Bug des kleinen Bootes. In ihrem engen Fischernetz haben sich Krebse, Garnelen und kleine Fische verfangen.
Sie gibt ihrem Vater ein Zeichen den Motor zu drosseln. Seit über 60 Jahren lebt der Vater bereits vom Fisch. Es ist eine Familientradition, von der sein Sohn jetzt Abstand nimmt und stattdessen auf Ammoniak setzt.
„Auch er hat fast sein ganzes Leben von Garnelen gelebt, dann ist er nach Hermosillo gegangen und jetzt sagt er, dass er nichts mehr vom Fischfang wissen will. GPO hat ihm Geld geboten, er hat es angenommen“, erzählt er. „Mit seiner Schwester Melina spricht er nicht mehr. Ich rede zwar noch mit ihm, aber er will nicht verstehen. Wenn sie ihn bezahlen, nur zu, aber er soll bloß nicht versuchen, den Rest der Familie von der Ammoniak-Anlage zu überzeugen.“
Melina nickt zustimmend. Das Unternehmen habe viel in die Überzeugungsarbeit investiert. Reisen nach Trinidad und Tobago bezahlt, um dort ein Vorzeigeprojekt zu präsentieren. „Nach der ersten Klage gab es Leute, die sich dann auf einmal mit dem Unternehmen eingelassen haben. Sie wurden nach Trinidad und Tobago geschickt. Sie sind komplett verwandelt zurückgekommen.“
Martin García Cruz ist einer derjenigen, der die Einladung angenommen hat. Mit 21 weiteren Indigenen, Fischern und Bauern fuhr er nach Trinidad and Tobago. Früher war er gegen die Anlage, aber die Reise hat ihn überzeugt.
„Wir haben dort große Unterschiede zu dem gesehen, was die Leute hier so reden. Wir waren in drei Anlagen, eine davon ist schon über 20 Jahre alt, und nie hat es einen umweltbelastenden Unfall gegeben. Wir waren in einer Fischerregion. Das war völlig anders als hier, dort gibt es eine 100-prozentige Entwickung für die Menschen vor Ort“, sagt er.
Gegner riskieren in Mexiko ihr Leben
Die Reisen, die Stellenangebote, die Bezahlung der Medikamente – so sieht die Überzeugungsarbeit der internationalen Investoren aus. Es ist aber auch ihnen bekannt, dass Gegner eines solchen Projekts in Mexiko ihr Leben riskieren. Ulises Vásquez kämpft gegen die Ammoniakanlage – trotz lukrativer Angebote. Er wurde, weil er eine Demonstration organisiert hatte, mit dem Tode bedroht und musste das Dorf Topolobampo verlassen.
„Etwa zehn bewaffnete Leute kamen in drei Kleintransportern zu mir nach Hause. Sie waren nicht sehr aufdringlich, sagten mir aber sehr klar, dass die Demo nicht stattfinden dürfe“, erzählt er. „Ein Mann forderte mich auf, die Bewegung zu verlassen. Sie würden ungern jemanden aus Topolobampo ‚mitnehmen‘, um den Rest der Bewegung ruhig zu stellen.“
„Mitnehmen“, das heißt in Mexiko, Menschen zu verschleppen und meist zu ermorden. Vásquez ist davon überzeugt, dass der Bürgermeister des Dorfes, Gerardo Vargas Landero, hinter der Drohung steckt. Dennoch ist er optimistisch, er hofft auf eine juristische Lösung. Einige der Klagen wurden bereits zugunsten der Gegner der Anlage entschieden. Zwei Fälle liegen noch beim Obersten Gerichtshof.
28 Windparks, aber kein Strom für Anwohner
Ein anderes, internationales Großprojekt in Mexiko ist längst gebaut und in Betrieb, soll aber noch erweitert werden. Es geht um erneuerbare Energien, um die Windkraft. Die Region am Isthmus von Tehuantepec, im Süden des Landes, gilt als eine der windreichsten Orte der Welt und ist deshalb bei internationalen Firmen, die in Windenergie investieren, hoch begehrt. Entstanden sind dort bereits 28 Parks.
Die indigene, zapotekische Gemeinde vor Ort erkennt die eigene Heimat nicht wieder. Dicht an dicht drehen sich mehr als 1500 Turbinen im Wind. Die Rotoren werfen ihren Schatten auf Guadalupe Ramírez Gesicht. Das Surren der Räder ist allgegenwärtig.
Die 70-Jährige fühlt sich betrogen. „Hier brennt nicht eine einzige Glühbirne dank dieser Windräder. Wir profitieren davon überhaupt nicht, obwohl man das ja vermuten würde, in Anbetracht all der Energie, die hier damit produziert wird.“
Ihr Haus, ihr Maisfeld, ihre Kühe sind umzingelt von den Windparks. Die Windräder würden tief in den Boden mit Zement eingelassen, erklärt Guadalupe Ramírez. „Das Wasser muss sich dadurch einen anderen Weg suchen. Dem Boden fehlt nun Feuchtigkeit. Das hat Auswirkungen auf unsere Landwirtschaft.“
Zudem würde der Ölabfluss der Turbinen die Wasserwege verschmutzen. Guadalupe Ramirez lebt von der Landwirtschaft, wie die meisten, überwiegend indigenen Bewohner in der Region.
Europas Firmen verdienen am Wind in Mexiko
In den letzten zehn Jahren sind die Windparks um sie herum immer weiter gewachsen. 2011 kamen die ersten spanische Firmen. Auch Siemens plant Großprojekte, ebenso das französische Unternehmen Électritcité de France (EDF). Dessen Anlage sollte auf dem kommunal verwalteten Gelände der indigenen Gemeinde von Unión Hidalgo entstehen.
In zapotekischer Sprache dazu informiert und befragt worden seien sie nicht, sagen die Betroffenen, obwohl das nach mexikanischem Recht die Voraussetzung ist. Auch hier wurden Korruptionsvorwürfe laut. 15.000 Menschen leben in der Gemeinde. Es ist hier genauso wie in Sinaloa im Norden des Landes mit der deutsch-schweizerischen Ammoniakanlage. Es gibt das Für und das Wider, und irgendwann gibt es Drohungen.
Im Gegensatz zur von Windrädern umzingelten Bäuerin Ramirez gehört Jordi Gómez zu den Befürwortern. Der 28-Jährige sitzt auf einer Parkbank auf einem begrünten Platz.
„Wenn man die politische Dimension und die sozialen Konflikte außen vorlässt, dann ist das eine gute Sache“, sagt er. „Aber es gab viele Konfrontationen. Ich selbst habe schon von den Windparks profitiert, ich habe bei dem Aufbau der Windräder für das spanische Unternehmen geholfen.“ Er hofft auch in Zukunft auf einen Job in einem der Windparks, in einer Region, die unter hoher Arbeitslosigkeit leidet.
Ein „ehrlicher Dialog“ gefordert
Das französische Unternehmen EDF hat mittlerweile eine öffentliche Anhörung angeschoben. Auf Anfrage betont eine Sprecherin, dass alle Regeln im gesamten Verlauf des Prozesses eingehalten wurden. Zusammen mit weiteren Mitstreitern hat Bäuerin Guadalupe Ramirez jedoch Beschwerden vor Gerichten in Mexiko und in Frankreich eingereicht, um das Projekt zu stoppen.
Die Klage wurde kürzlich wegen Verfahrensfehlern zum Teil zurückgewiesen. Einen vorläufigen Baustopp hatten die Aktivistinnen und Aktivisten bereits im Vorfeld erreicht. Guadalupe Ramirez will weiter für die Rechte der indigenen Gemeinde kämpfen. Viele hätten Angst, sich selbst zu äußern.
„Wenn sie uns einen ehrlichen Dialog anbieten würden, selbstverständlich wären wir bereit zu reden und zu erklären, warum wir den Windpark auf diese Art und Weise nicht wollen. Wir würden vieles klarstellen können“, sagt sie.
Guadalupe Ramírez ist bereit, den Dialog mit den internationalen Firmen zu suchen. Erneuerbare Energien sind grundsätzlich willkommen, aber nur, wenn Menschen- und Umweltrechte eingehalten werden.