Wo die Gemeinschaft zählt
Verwinkelte Gassen, Kanäle und kleine Brücken: Leeuwarden hat viel Ähnlichkeit mit Amsterdam. Doch die Stadt im Nordwesten der Niederlande hat mehr zu bieten als das hübsche Flair. Besonders sind nämlich auch die Friesen selbst.
Fast übergroß ragt das Friesen-Museum am Wilhelminaplein auf. Der 2013 eröffnete Neubau dominiert das südliche Ende der Leeuwardener Altstadt, – so als wollte er dem Besucher, der vom nahegelegenen Bahnhof hier zwangsläufig entlangkommt, den Stolz der Friesen auf ihre Geschichte unmissverständlich vor Augen führen. Tatsächlich ist das Frysk Museum, wie es auf Friesisch heißt, mit seinen rund 170.000 Objekten alles andere als ein kleines Heimatmuseum. Bis zum Aufstieg der Hanse im Mittelalter waren die Friesen schließlich das bedeutendste Handels- und Seefahrervolk an der Nordsee und im Verlauf ihrer langen Geschichte vielen Reichen zugeordnet, ohne dabei je ihre kulturelle Identität preiszugeben. Die Ausstellung des Museums reicht von Funden aus der Antike bis zum Widerstand gegen die deutschen Besatzer Frieslands im Zweiten Weltkrieg.
"Wenn man Kulturhauptstadt sein will, muss man zwei Fragen beantworten: Was braucht Ihre Stadt, Ihre Region, und was braucht Europa?"
Sagt Oeds Westerhof, eine Art Generalkommissar für das Kulturhauptstadtjahr in Leeuwarden. Der Kulturmanager erinnert sich an das Jahr 2012, als er schon die Wettbewerbskampagne für die Friesen leitete. Das war auf dem Höhepunkt der EU-Krise. Während die anderen Bewerber eher auf die kulturellen Werte Europas setzten, wählte Westerhof bewusst einen bescheideneren Ansatz.
Die westfriesische Identität
"Wir haben ein Wort in unserer Sprache Friesisch, das ist ‚mienskipp‘. Könnte man jetzt übersetzen auf Deutsch in ‚Gemeinschaft‘, und Gemeinschaft, das ist etwas, worüber es gehen muss in Europa – und auch in unserer Stadt. Und deswegen haben wir gewonnen."
Gemeinschaft, sagt Westerhof, sei etwas, das heute Menschen in vielen Ländern fehle. Er habe die Stimmung in der Region schon lange beobachtet. Mit ihrer Lage im äußersten Nordwesten der Niederlande fühlen sich die Friesen nämlich oft genug von der Regierung ignoriert. Wirtschaftlich und infrastrukturell tat sich lange wenig in der Provinz Friesland, und der Überdruss an der Politik, der sich allmählich ausbreitete, den kennt man nur zu gut auch aus anderen Teilen Europas – letztlich ist es der selbe Nährboden an Politikverdrossenheit, auf dem auch die Euroskepsis gedeihen kann. Die Kampagne für die Kulturhauptstadt erschien Westerhof als Chance, an das Selbstwertgefühl der Friesen zu appellieren.
"Die Stadt ist wieder wichtig geworden für die Einwohner selbst. Und das Zweite ist, dass wir auch sehr stark gemerkt haben, dass die Leute auch wirklich die Stadt und die Region besser machen möchten. Themen wie Biodiversität oder Landschaft, Qualität von Landschaft sind sehr wichtig, und das hat auch den engagierten Leuten Selbstvertrauen gegeben."
Gewiss – das schöne Stadtpanorama Leeuwardens aus dem 17. Jahrhundert wird willkommener Spielort für das Kulturhauptstadtprogramm sein. Doch eigentlich setzt man ganz auf die westfriesische Identität, die man über die typische Topografie der gesamten Provinz Friesland erfahren soll:
"Wir haben elf Städte in der Region, das sind historische Städte, wir nennen die noch immer Städte, sie haben auch das Stadtrecht, wie das heißt. Die kleinste ist, glaube mit 600 oder 700 Einwohnern. Aber es gibt traditionell einen Einschnelllauf-Wettbewerb durch die Städte, das geht nicht mehr, weil es zu warm ist seit 20 Jahren im Winter. Aber wir möchten der Tradition etwas Neues geben, und wir werden elf Brunnen sprudeln lassen im Zentrum von jeder Stadt durch internationale Künstler."
Elf Städte, elf Springbrunnen
Die elf Springbrunnen, eigens gestaltet von namhaften Künstlern wie Stefan Balkenhol oder Mark Dion stehen symbolisch zugleich für eines der großen Leitthemen im Kulturhauptstadtjahr: Vieles wird sich um das Wasser als historische Lebensgrundlage der Friesen – und der Niederlande allgemein – drehen. Ein Innovations-Festival zum Thema Wasser wird Wissenschaftler, Kulturschaffende und Historiker zusammenbringen; direkt am UNESCO-Weltnaturerbe Wattenmeer soll sich, ein großes Projekt mit Landschaftskunst entfalten. Bei alldem legt Oeds Westerhof Wert darauf, dass man, ganz im Sinne des Gemeinschaftsmottos, nichts über die Köpfe der Bürger hinweg geplant habe.
"Wir haben die Leute gefragt, was möchten Sie gerne entwickeln, was möchten Sie gerne nach Friesland holen? Und wir haben ein Programm präsentiert mit 40 Hauptprojekten, und jetzt in unserem Programm sind 62 Hauptunterteile, weil wir noch Ideen gekriegt haben, die so wertvoll sind, dass wir die auch noch in unserem Programm haben möchten."
Leeuwarden will sich also nicht ein Jahr selbst feiern und wieder vergessen werden, sondern auch über 2018 hinaus etwas von diesem Jahr haben.