Europäische Kulturhauptstädte 2022

Novi Sad und Kaunas hoffen auf einen Imagewandel

06:08 Minuten
Skulptur eines Mannes mit ausgebreiteten Armen vor der Mykolas Zilinskas-Kunstgalerie und der Michaeliskirche im Zentrum von Kaunas in Litauen.
Nummer zwei im Land: Das litauische Kaunas will aus dem Schatten der Hauptstadt Vilnius treten. © imago / Jochen Tack
Von Maximilian Kuball |
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Statt zwei wird es nächstes Jahr drei Europäische Kulturhauptstädte geben. Auch das ist eine Folge der Pandemie. Bei einer Präsentation zeigten zwei von ihnen, Novi Sad in Serbien und Kaunas in Litauen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede.
Wenn drei Städte gemeinsam die großen Linien ihrer Kulturhauptstadt-Programme vorstellen, dann gehört natürlich auch eine Bühne dazu: Auf dieser zeigen Tänzerinnen und Tänzer, ganz in schwarz, einen Ausschnitt aus ihrem Programm. Sie gehören zu einer international besetzten Tanzkompanie mit Sitz im litauischen Kaunas. Dort begrüßt Virginija Vitkiené, Chefin des Organisationskomitees von Kaunas 2022, in einem modernen Betonbau die Kulturhauptstadt-Gemeinde.

Städte im Schatten der Metropolen

Lange hatte man sich wegen der Corona-Beschränkungen nicht treffen können. Aber nun treten Esch-sur-Alzette, Novi Sad und Kaunas demonstrativ gemeinsam auf - eine Novität in der Geschichte der Kulturhauptstädte. Vielleicht, weil die drei auch abseits der Jahreszahl 2022 Gemeinsamkeiten haben:
So sind alle drei Städte die zweitgrößten ihres Landes und stehen damit immer ein bisschen im Schatten der Metropolen und Hauptstädte Luxemburg, Belgrad und Vilnius. Das sei ein Problem, auch und gerade in Litauen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, so Virginija Vitkiené:
"Vilnius ist die natürliche Hauptstadt. Wie in allen anderen Fällen entwickelte sie sich sehr schnell, auch im Vergleich mit anderen Städten des Landes. Alle Investitionen flossen nach Vilnius. Kaunas dagegen wurde mehr als 25 Jahre sich selbst überlassen - war also nicht 'nur' bloß die zweitgrößte Stadt, sondern schlicht nicht wichtig."

Erinnerungen an Blütezeit und Trauma

Der Titel "Europäische Kulturhauptstadt" soll nun dabei helfen, aus dem Schatten von Vilnius herauszutreten. Und zwar, indem man sich auf die eigene Identität besinnt, sagt Vitkiené:
"Bis vor fünf oder sieben Jahren war Kaunas eine Stadt ohne Identität. Wir wussten zwar, da schlummert ein Schatz, aber es gab keinen Weg, diesen zu heben. Damit ist nicht nur Schönes wie die modernistische Architektur gemeint; unsere Traumata waren genauso verborgen."
Der Blick richtet sich dabei besonders auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. Zum einen auf die vielleicht besten Tage der Stadtgeschichte, als Kaunas nach dem Ersten Weltkrieg die provisorische Hauptstadt des neugegründeten Staates Litauen wurde und als diplomatisches und kulturelles Zentrum eine Blütezeit von 20 Jahren erlebte. Zum anderen auf die Zeit des Zweite Weltkriegs, als die jüdischen Bewohner von Kaunas - teils unter Kollaboration der Stadtbewohner - verschleppt und ermordet wurden.
Heute erinnern Wandgemälde und Tafeln an das jüdische Leben in Kaunas, etwa an die von hier stammende Lyrikerin Leah Goldberg. Dafür hat das sogenannte "Memory Office" gesorgt, eines der Projekte des Kulturhauptstadt-Jahres.

Neue Wirklichkeit in Novi Sad

Auch in Novi Sad spielt die Geschichte eine Rolle: Auf einem Areal mit alten Industriehallen nahe der Donau wird Anfang September das Festival "Kaleidoscope of Culture" eröffnet. Mit Tanz und Pantomime erzählen serbische Schülerinnen und Schüler von der Gründung ihrer Stadt durch Kaiserin Maria Theresia, von den Weltkriegen und den kommunistischen Zeiten im ehemaligen Jugoslawien bis zum Bombardement durch NATO-Truppen in den 1990er-Jahren. Eine Epoche, die Novi Sad endlich hinter sich lassen will, so Nemanja Milenković vom dortigen Organisationskomitee:
"Serbien als Marke, als 'brand' hatte am Ende des 20. Jahrhunderts ein echt schlechtes Image. Branding ist der Prozess, das zu ändern. Es geht dabei nicht um Propaganda, nicht um Lügen. Sondern es geht darum, eine neue Wahrheit zu sagen. Mit dem preisgekrönten Musikfestival Exit, mit den Titeln als Europäische Jugendhauptstadt und Europäische Kulturhauptstadt hat sich die Atmosphäre in Novi Sad wirklich verändert. Es ist in der Region die Stadt der Kultur, der Kreativwirtschaft, der jungen Leute geworden."
Ein weiter Weg - zumal für eine Stadt, die den Titel Europäische Kulturhauptstadt trägt, obwohl sie außerhalb der EU liegt: Serbien ist bisher kein Mitglied, sondern Beitrittskandidat. Auch das Programm von Novi Sad wirkt ein bisschen unfertig, sieht bisher nach einer Aneinanderreihung von Festivals, Aufführungen und Ausstellungen aus. Es scheint, als ob in Serbien noch ein eher konventioneller, enger Kulturbegriff gepflegt wird.
Im litauischen Kaunas ist er dagegen deutlich weiter gefasst: Hier bestimmen historische Wurzeln und gesellschaftliche Diskurse das Programm. Doch Verständnis von Kultur hin oder her: Gemeinsam haben Novi Sad und Kaunas, dass sie sich vom Titel Kulturhauptstadt einen Imagewandel erhoffen - von der wenig beachteten Nummer zwei des Landes zur jungen, attraktiven Kulturmetropole.
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