Grenzenlos ins All
Während nationale Bewegungen in Europa stärker werden, ist in der Raumfahrt davon nichts zu merken. Die Mitarbeiter des europäischen Erdbeobachtungs-Programms Copernicus arbeiten reibungslos zusammen. Gerade ist der Umweltsatellit Sentinel-2B ins All gestartet.
Ein Feuerball erleuchtet den Nachthimmel über Französisch Guayana. Dann schießt das grellweiße Licht wie ein umgekehrter Kugelblitz nach oben und verschwindet 20 Sekunden später in tiefhängenden Wolken. Erst als der Himmel schon wieder stockdunkel ist, erreicht das Donnern des Triebwerks die Aussichtsterrasse am Kontrollzentrum des Europäischen Weltraumbahnhofs.
Es ist der Abschiedsgruß von Sentinel-2B. Für die nächsten sieben bis zehn Jahre soll der gut eine Tonne schwere Umweltsatellit hochaufgelöste Bilder aller Wälder, Felder, Städte und Küsten der Erde an die Empfangsstationen funken. Gunn Schweickart strahlt über beide Backen. Die Airbus-Ingenieurin hat den Bau des Satelliten geleitet.
"Das ist einfach nur schön. Ein Projekt erfolgreich zu Ende zu bringen, ist einfach nur schön. Die nächsten beiden Satelliten sind schon in Bau, insofern wird es mir nicht langweilig werden und werde ich in kein tiefes Loch fallen."
Zwei Stunden nach dem Start hat Sentinel-2B seine Sonnensegel entfaltet und erste Daten geschickt. Im Kontrollzentrum gibt es Applaus, erleichtertes Gelächter – und Champagner. Derzeit muss man bis in den südamerikanischen Dschungel reisen, um Europa in bester Stimmung zu erleben. Am Boden knirscht und kriselt es, selbst in Französisch Guayana, direkt vor der Tür des Weltraumbahnhofs, wird gerade gestreikt. Doch wenn es ins All geht, funktioniert Europa wie geschmiert. Frankreich betreibt die Startrampen, italienische Ingenieure haben die Vega-Rakete entwickelt, mit der Sentinel 2B gestartet ist. Dessen Einzelteile stammen von Firmen aus 20 Ländern, zusammengebaut wurden sie in Friedrichshafen. Bei Zuverlässigkeit und Genauigkeit ist Europas Raumfahrt weltweit führend.
Nasa-Mitarbeiter: "Das ist kein Wettbewerb"
Sentinel 2B ist der fünfte Umweltsatellit für das europäische Erdbeobachtungs-Programm Copernicus. Zusammen mit seinem 2015 gestarteten Zwillingsbruder Sentinel 2A liefert er alle fünf Tage ein vollständiges Bild der Landoberfläche, Küsten und Binnengewässer. Die Kameras erfassen 13 Spektralkanäle im optischen und infraroten Bereich – mit einer Auflösung bis hinunter auf zehn Meter. Damit verfügt Copernicus über bessere und aktuellere Daten als Landsat, das entsprechende Programm der Nasa.
"Landsat macht seit 1972 kontinuierlich Aufnahmen gerade im optischen und nah-infrarot Bereich, phantastischer Satellit und war das Arbeitstier über die letzten 40 Jahre. Heute ist der Gold-Standard Sentinel 2 und wir werden natürlich versuchen, unseren Standard hochzuhalten, um wirklich das Bestmögliche am Markt anbieten zu können."
Sagt Josef Aschbacher, Chef aller Erdbeobachtungsprogramme bei der ESA. Sein Counterpart bei der Nasa heißt Michael Freilich. Von einem Konkurrenzkampf im All will er nichts wissen.
"Das ist kein Wettbewerb. Die ganze Menschheit sieht doch den selben Planeten auf dem wir alle leben. Mit unserer engen Zusammenarbeit stellen wir sicher, dass die Messwerte der Sentinel- und der Landsat-Satelliten auf effiziente Art und Weise gemeinsam genutzt werden können. Solch ein kombiniertes System liefert wesentlich bessere Ergebnisse, zum Beispiel um wolkenfreie Aufnahmen zu bekommen. Es geht hier nicht darum, ob das eine oder das andere System besser ist, wir brauchen beide."
Strikte Regeln der EU
Wenn auf optischen Bildern nur Wolken zu sehen sind, können Radarsatelliten die Lücke füllen. Auch dabei arbeiten Esa und Nasa zusammen. Sieben Milliarden Euro hat Europa bisher für das Copernicus-Programm ausgegeben. Der wirtschaftliche Nutzen dieser Investition sei aber bis zu zehn Mal größer, versichert Philippe Brunet. Er ist in der EU-Kommission für die Raumfahrtpolitik verantwortlich – und damit auch für einen Großteil des Etats für die Erdbeobachtung aus dem All.
"Wir haben in Europa ja die Gemeinsame Agrarpolitik, und die erfordert viel Kontrolle. Auch die Versicherungswirtschaft profitiert – und der Umweltschutz. Die Satellitendaten geben zum Beispiel Aufschluss über die Bodenfeuchte, das hilft bei der Dosierung von Spritzmitteln und verhindert Verschwendung bei der Bewässerung. Die Rohdaten sind natürlich nur die Grundlage für Apps und Programme. Wer die nutzt, muss das System dahinter nicht verstehen, Hauptsache es funktioniert."
Im Kontrollzentrum des europäischen Raumfahrtbahnhofs im südamerikanischen Kourou dauert die Start-Party bis in den frühen Morgen. Doch gute Laune hin oder her: Dort wo die EU regiert, sind strikte Regeln und Verordnungen nicht fern. Selbst das Lebensende des gerade gestarteten Satelliten ist schon vorbestimmt. Projektleiterin Gunn Schweickart musste sich darum kümmern.
"Früher hat man sie einfach abgeschaltet und vor sich hin fliegen lassen mit dem Risiko, dass sie irgendwann mit einem anderen Satelliten kollidieren. Und da gibt es heute von der EU deutlich strengere Vorschriften. Man muss sie also auf einen sogenannten Friedhofs-Orbit absenken, und von dort können sie dann langsam über die Jahrzehnte in der Erdatmosphäre verglühen dann."
Anders als beim Start wird dieser Feuerball dann aber so hoch oben leuchten, dass auf der Erde nichts davon zu sehen ist.