Menschen, versöhnt euch!
Was 1988, kurz vor dem Ende des Kalten Krieges begann, bekommt heute durch den Ukraine-Konflikt erneut politische Brisanz: Die Europäische Schriftstellerkonferenz. Die Teilnehmer verabschiedeten ein Manifest, mit dem sie vor allem eines fordern: Mehr Verständnis für das, was anders ist.
Der ungarische Schriftsteller György Dalos hat sowohl die Schriftstellerkonferenz von 1988 als auch die in diesem Jahr erlebt. Im Interview mit Deutschlandradio Kultur beklagte er, dass das Interesse am Projekt Europa nachlasse. Diese Müdigkeit zeige sich auch während der diesjährigen Konferenz, auf politischer Ebene werde sie deutlich in abnehmender Beteiligung an Wahlen. So bestimmten zunehmend die Nichtwähler über die Zukunft Europas, warnte Dalos.
Mitinitiator der Europäischen Schriftstellerkonferenz Frank-Walter Steinmeier ermutigte zu einem Nebeneinander von politischen und kulturellen Grenzen. Er sagte: "Wer glaubt, politische Grenzen müssten kulturellen Grenzen folgen, begeht einen schweren Fehler." Müssten sie immer ein und dieselben sein, schlussfolgerte Steinmeier, wäre die Literatur "viel ärmer" und die Politik "viel dümmer".
Der in Zagreb geborene Schriftsteller Nicol Ljubic, ein weiterer Initiator der Schriftstellerkonferenz, sah die Gefahr, dass Europa automatisch als "EU-Europa" angesehen und nicht als ein politisches Konstrukt erkannt werde.
Gefühl für Menschenwürde wecken
Die Konferenz kam zu dem Schluss, dass es für das Projekt Europa bereichernd sei, viele Perspektiven zuzulassen. In einem gemeinsamen Manifest stellten die Teilnehmer ihre Sichtweisen bewusst nebeneinander.
Einer der Unterzeichner des Manifests ist der in der Schweiz lebende russische Autor Michael Shishkin. Er beobachtet und kommentiert von dort die Vorgänge in der Ukraine und Russland. Literatur hat seiner Auffassung nach die Aufgabe, "das Gefühl der menschlichen Würde in meinem Leser aufzuwecken". Mit Blick auf die aktuellen politischen Entwicklungen in Russland und der Ukraine sagte er, der Name Putin werde nie in seinen Büchern auftauchen.
Die deutsche Schriftstellerin Mely Kiyak beschreibt ihren Traum im Manifest so: "Ein Kontinent, versöhnt mit sich. Weil jeder Bürger eines jeden Dorfes, einer jeden Provinz, eines jeglichen Landes seinen Frieden gemacht hat mit sich und seiner Geschichte. Und sie erzählt. In seiner Sprache. Wenn das Europa wäre, wie schön wäre das!"
mla