Europäische Union

Mehr Demokratie für Europa!

Von Jürgen Rüttgers · 18.11.2013
Die europäische Politik erinnert an eine mittelalterliche Fürstenherrschaft - und Anti-Europa-Populisten nutzen das für sich. Darauf kann es nur eine Antwort geben, meint der frühere NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers.
Vor wenigen Tagen hat der italienische Ministerpräsident Letta davor gewarnt, dass wir es bei der nächsten Europawahl mit dem "europafeindlichsten Parlament der Geschichte" zu tun bekommen. Da mag er Recht haben. In rund einem halben Jahr im Mai 2014 findet diese Wahl statt.
Letta hat Angst vor starken europafeindlichen Protestparteien. Auch da mag er Recht haben. Ob in Frankreich, Italien, in den Niederlanden, in Griechenland und jetzt sogar in Deutschland – die Europopulisten werden immer stärker. Soweit, aber nicht so gut. Gut ist, dass ein europäischer Ministerpräsident den Mut hat, Klartext zu reden.
Nicht gut ist aber Lettas Gegenstrategie. Er will "Ein Europa der Völker" statt ein "Europa der Populisten". Er will, dass die europäischen Institutionen effizienter und übersichtlicher werden.
Aber: Wer hat denn die Unübersichtlichkeit, die Zersplitterung geschaffen? Doch nicht die europäischen Völker. Sondern der Rat der europäischen Staats- und Regierungschefs. Dieses Gremium tagt regelmäßig wie ein mittelalterlicher Fürstenkongress und ist verantwortlich für die Geheimdiplomatie in Brüssel. Statt mehr Demokratie in Europa zu wagen, werden Kompromisse gesucht, politische Geschäfte gemacht und oft Entscheidungen vertagt.
Wir sind deutsche Europäer und europäische Deutsche
Der Europäische Rat ist auch die einzige Institution, die keine europäische, sondern nur eine nationale Legitimation hat. Dieser Rat ist gleichzeitig Vertretung der Mitgliedsländer, europäische Administration und europäischer Gesetzgeber. Auch das ist undemokratisch. Die EU muss aber demokratischer werden.
Nur das Europaparlament ist von den Bürgern direkt gewählt. Es ist legitimiert. Die Europäische Kommission braucht die Zustimmung des Europaparlaments. Wer Kommissionspräsident wird, hängt demnächst vom Wahlergebnis der Europawahl ab.
Die Europäische Union ist heute schon auf dem Weg, ein Staat mit einer eigenen Souveränität zu werden, mit einem eigenen Parlament, einer eigenen Verwaltung, einem diplomatischen Dienst, einer eigenen Staatsbürgerschaft. Der Europäische Gerichtshof wacht über die Menschen und Bürgerrechte, die für alle 400 Millionen EU-Bürger gelten. Die Europäische Union kann völkerrechtliche Verträge schließen.
Auf unserem Pass steht: Europäische Union und Bundesrepublik Deutschland. Wir haben also so etwas wie eine doppelte Staatsbürgerschaft. Deshalb sind wir deutsche Europäer und europäische Deutsche. Was wir noch nicht haben, ist eine klare Gewaltenteilung und volle demokratische Rechte. Wer verloren gegangenes Vertrauen in Europa wiederherstellen will, der muss deshalb für mehr Demokratie sorgen.
Der Traum vom vereinten Europa muss wiederbelebt werden
Sie haben, sehr geehrter Herr Ministerpräsident Letta, als Mitglied des Europäischen Rates jederzeit das Recht, eine Initiative für mehr Demokratie zu ergreifen. Ein Recht, dass Sie und Ihre Kollegen dem Europäischen Parlament bis heute verweigern.
Übrigens: Sie haben auch das Recht, in Europa mehr gegen die Jugendarbeitslosigkeit zu tun. Fast ein Viertel der jungen Europäer hat keine Arbeit, in Spanien und Griechenland ist es jeder Zweite. Wer der Jugend keine Chance gibt, sein Leben in Freiheit zu gestalten, verliert Vertrauen. Leider waren die Ergebnisse der letzten Ratssitzung in Paris zum Thema Jugendarbeitslosigkeit nicht sehr überzeugend.
Damit Europas Jugend wieder Zukunft hat, muss der Traum vom vereinten Europa wiederbelebt werden. Deshalb braucht Europa mehr Demokratie. So bekämpft man Populisten erfolgreich.
Jürgen Rüttgers, Jahrgang 1951, studierte Geschichte und Rechtswissenschaft in Köln. Er war Bundestagsabgeordneter, Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, Landesvorsitzender der CDU und Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens. Derzeit arbeitet er als Rechtswalt in Düsseldorf.
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