Sieg gegen den einsamen Ritter
Er war der einzig mögliche Anwärter und ist nun für das Amt des Kommissionspräsidenten nominiert. Jean-Claude Juncker wird eine Mehrheit im Parlament finden − auch in Zeiten von Camerons hoch ansteckender EU-Skepsis.
"Geht doch" ist man geneigt auszurufen! Die EU-Staats- und Regierungschefs haben letztlich den unter den gegebenen Mehrheitsverhältnissen einzig möglichen Anwärter auf das Amt des EU-Kommissionspräsidenten zu genau diesem erklärt: zum Anwärter auf diese wichtigste Position, die die EU zu vergeben hat.
Sie haben es nicht einmütig getan. Sie haben Jean-Claude Juncker in einer für diesen Fall durchaus vorgesehenen und wohl kaum als ausgesprochen undemokratisch zu bezeichnenden Übung vorgeschlagen: Sie haben ihn gewählt. Sie haben ihn nicht alle gewählt. Und? Die Runde der EU-Staats- und Regierungschefs souveräner Staaten ist kein Politbüro mit Zwang zur Einstimmigkeit. Wenngleich es ein wichtiges, binnenhygienisch richtiges Anliegen ist, Entscheidungen mit einer gewissen Tragweite im Konsens zu fällen.
Das Prinzip hat Grenzen, mit dem Lissabon-Vertrag deutlich enger umrissen als zuvor. Es muss seine Grenzen haben – könnten doch sonst schon jeweils ein, zwei Andersmeinende die ganze EU in Geiselhaft nehmen. Das darf nicht sein, auch wenn unter den Andersmeinenden ein gewichtiger Regierungschef wie der britische sein sollte.
Keine Brücke war Cameron recht
Der britische Premier Cameron wollte es darauf ankommen lassen. Er wollte über keine der Brücken gehen, die ihm seine Kollegen, und vor allem eine gewisse Kollegin namens Merkel, zu bauen versuchten. Er wollte aus Brüssel nach Hause auf seine EU-skeptische Insel zurückkehren als der einsame Ritter, der sich gegen das aus seiner Sicht per se verquere Konzept ʼeuropäische Spitzenkandidaturʼ gestemmt hat. Ein Konzept, mit dessen Sogwirkung sich die Machtstrukturen in der EU zugunsten des Parlaments verschoben haben.
Cameron hat auch, letztlich auf verlorenem Posten, einen Abwehrkampf gegen Juncker als Person geführt. Der steht für all das an Gemeinschaftspolitik und föderalistischen Anwandlungen, was die Briten mit breiter Mehrheit ablehnen. Es ist genauso legitim, dass Cameron das nicht zuletzt aus innenpolitisch motivierten Gründen getan hat, wie es legitim ist, ihn aus europapolitischen Gründen zu überstimmen.
Sparen ist nicht mehr der alleinige Königsweg
Jean-Claude Juncker wird die nötige Mehrheit im Parlament finden. Es ist dabei von mehr als rein wissenschaftlichem Interesse zu sehen, wie Juncker das Amt begreift, wie er es ausfüllt. Wie er damit umgehen wird, dass seine Rechenschaftspflicht gegenüber dem Parlament größer sein wird als bei jedem Kommissionspräsidenten vor ihm. Er tritt in einer Situation an die Spitze der europäischen Institution mit gesetzgeberischer Initiativkraft, in der das Brüsseler Geschehen mehr denn je eingeklemmt sein wird − zwischen Forderungen, Sparen und Stabilität zugunsten von Wachstum und Arbeitsplätzen nicht mehr als alleinigen Königsweg zu definieren, und Forderungen nach Renationalisierung von Kompetenzen genauso wie im Gegenteil nach vertiefter Zusammenarbeit. Und das alles in Zeiten offenbar hoch ansteckender EU-Skepsis.
Das wird schon gehen!? Ja, vielleicht. Aber vielleicht wird es Juncker noch mal bitter bereuen, dass er nun tatsächlich an die Spitze der Kommission rücken wird.