Wann beginnt endlich Asylpolitik?
Zehntausende von afrikanischen Flüchtlingen hat die italienische Marine in den vergangenen Monaten geborgen. Dass Italien die Menschen nicht alle aufnehmen kann, ist klar, doch die EU weist das Problem von sich. Beschämend, findet Arlette-Louise Ndakoze.
Abwehrend gegenüber Asylsuchenden hat die Europäische Union Strategien entwickelt, um die Flüchtlingsfrage weitestgehend von sich zu weisen. Damit nicht genug. Sie macht Flüchtende für ihr eigenes Schicksal verantwortlich.
In einem einzigen Terminus spiegelt sich die gesamte europäische Rhetorik der Zurückweisung: Flüchtlinge und Migranten, die ohne - bzw. ohne gültigen - Pass, Ausweis und Visa Europa erreicht haben, behandelt sie als "illegale" Einreisende, die rechtswidrig gehandelt haben. Zynischer geht es nicht.
Abwehr begleitet das gesamte Asylverfahren
Menschen retten sich vor lebensbedrohlichem Unrecht wie Krieg und Armut, und ihnen wird vorgeworfen, sie täten selbst Unrechtes, allein weil sie ohne gültige Papiere auf der Flucht seien. Sie werden stigmatisiert, indem ihnen kriminelle Motive unterstellt werden. So gibt sich die EU von Anfang an einen Grund, ein Asylgesuch abzulehnen.
Dabei schützt allein schon das Völkerrecht politisch Verfolgte davor, an einer Grenze im Ausland zurückgewiesen zu werden. Keinesfalls dürfen Asylsuchende, so legen es die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention gleichermaßen fest, dorthin zurückgeschickt werden, wo ihnen unmenschliche Behandlung, Strafen oder Tod drohen.
Zweifel an den Absichten der Antragsteller, Unverständnis für ihre Lebensgeschichte, also Abwehr begleitet auch das Asylverfahren. Dieses unterscheidet nämlich, ob sich jemand auf der Flucht befindet, weil er politisch verfolgt wird, weil im Herkunftsland Bürgerkrieg herrscht oder weil er in wirtschaftlicher Not ist. Vorrangig werden die Fälle politischer Flüchtlinge geprüft, obwohl Gründe einer Flucht nicht immer eindeutig politischer oder wirtschaftlicher Natur sind.
Das belegen die Schicksale jener Afrikaner, die von Togo, Mali oder Nigeria nach Libyen emigrierten. 2011, als der Bürgerkrieg begann, wichen sie nach Tunesien aus. Von dort wagten sie die Passage übers Mittelmeer zur italienischen Insel Lampedusa. Es blieb ihnen keine Wahl. Unmenschliche Verhältnisse aus Armut und Repression ließen sie ihre Heimat verlassen. In Libyen wurden sie mit dem Tod bedroht und aus Tunesien schließlich vertrieben.
Das aktualisierte Dubliner Übereinkommen der EU verhindert aber eine genaue Prüfung des Einzelfalls und das faire rechtliche Gehör. Denn es schreibt vor, dass ein Flüchtling nur dort Asyl beantragen darf, wo er zuerst eingereist ist.
Nördliche EU-Mitglieder müssen sich mit den Nöten der Flüchtlinge auseinandersetzen
Damit ist programmiert, dass Aufnahmeländer wie Italien, Griechenland oder Spanien überfordert werden und Asylanträge nicht ausreichend prüfen können, schon gar nicht in angemessener Zeit. Die Ausmaße der Überforderung zeigten sich in Italien auf befremdliche Weise: Dort kamen in den letzten Jahren Fischer und Reeder vor Gericht, weil sie Flüchtlinge vor dem Ertrinken gerettet hatten.
Um diese zynische Praxis zu beenden, sollten die nördlichen EU-Mitglieder aufhören, das Problem den südlichen Anrainern des Mittelmeeres zu überlassen, und beginnen, gemeinsame europäische Asyl- und Aufnahmezentren zu finanzieren, beginnen, sich mit den Nöten der Flüchtenden auseinanderzusetzen.
Nicht aus dem Grund, weil die vielen toten Flüchtlinge dem Image Europas schaden; auch nicht deshalb, weil Europa für die Fluchtwellen mit verantwortlich sei. Solche Gründe stellen nicht nur jene in den Hintergrund, um die es geht, nämlich Menschen, die um Asyl bitten, sondern auch das allgemeine Grundrecht, dass ein menschenwürdiges Leben keine Gründe braucht.
Arlette-Louise Ndakoze, 1983 in Burundi geboren, studierte Frankreichstudien (Philosophie, Literatur und Geschichte) in Berlin und Ruanda und arbeitet derzeit als freie Journalistin für Deutschlandradio und den Berliner Radiosender 88,4.