Watson: Juncker hat die besten Chancen
Jean-Claude Juncker habe die besten Chancen Präsident der EU-Kommission zu werden, meint der britische Europaabgeordnete Graham Watson - daran werde Großbritanniens Skepsis gegenüber Juncker nichts ändern.
Ute Welty: Hollywoodstar Michael Douglas hat der Bundeskanzlerin Zauberhände bescheinigt, wenn es um Wirtschaftskrisen geht. Merkel könne gut führen und sei als Diplomatin unverzichtbar für die Welt geworden.
Das mag der eine oder andere auf der europäischen Bühne anders sehen, nicht alle in der konservativen Parteienfamilie sind zum Beispiel für den konservativen Juncker als Kommissionspräsident. Mit diesem, sagen wir mal, Widerspruch im Rücken ist Angela Merkel zum informellen Minigipfel nach Schweden geflogen, der hat aber trotz einer gemeinsamen Ruderpartie jetzt nicht so viel gebracht.
Ob die europäische Idee also jetzt baden geht, das kann ich Graham Watson fragen, der für die britischen Liberalen im Europaparlament sitzt. Guten Morgen!
Graham Watson: Guten Morgen!
Welty: Der konservative britische Premier Cameron lehnt den konservativen Kandidaten Jean-Claude Juncker als Kommissionspräsident weiter ab. Wird Juncker tatsächlich an einem No aus London scheitern?
Watson: Ich glaube, Juncker hat die besten Chancen, Kommissionspräsident zu werden. Natürlich ist London dagegen, nicht nur Cameron, sondern auch jetzt die Labour Party haben gesagt, Juncker soll nicht Präsident der Kommission werden. Aber ob Großbritannien die Macht hat, so was zu stoppen, weiß ich nicht. Und ich finde, dass Cameron sein Land außerhalb des Mainstreams der Europäischen Union gesetzt hat, und hat deshalb auch weniger Möglichkeit, diesen Prozess zu beeinflussen.
Angela Merkel hat sehr klar im Bundestag gesagt, dass die Koalition in Deutschland sich für Jean-Claude Juncker einsetzt. Es gibt viele andere Länder, die Juncker wollen. Ich weiß nicht, ob Cameron selbst vielleicht mit Unterstützung von Reinfeldt und Mark Rutte aus den Niederlanden diesen Prozess stoppen kann.
Welty: Was war denn das dann gestern? War das eine reine Show-Veranstaltung, dieser informelle Minigipfel in Schweden?
Watson: Ich bin nicht sicher, dass solche Minigipfel sehr hilfreich sind für Europa.
Welty: Aber es sah schön aus, wie die vier auf einem See gerudert sind!
Ein gemeinsames Interesse
Watson: Ja, ich meine, man muss solche Diskussionen unter 28 Ländern führen und nicht unter vier. Ich verstehe, dass einige Länder wie Großbritannien - und ich teile auch diese Meinung - sagen, wir müssen eine Reform der Europäischen Union haben. Eine solche Reform brauchen wir. Aber wenn man sagt, vier Länder werden versuchen, diesen Prozess zu steuern, ist es nicht realistisch. Ich bin sicher, dass Schweden, Großbritannien, Deutschland, Niederlande und andere Länder auch ein gemeinsames Interesse haben, einen Reformprozess durchzubringen. Sie sollten auch dafür arbeiten. Aber diesen Prozess mit einem Namen zu verbinden, ist sehr schwierig. Man kann nicht sagen, der ist kein Reformierer, der Juncker, der hat auch in seiner Zeit als Präsident der Euro-Gruppe ganz viele Reformen durchgebracht in Europa.
Welty: Dann lassen Sie uns mal Tacheles reden! Wie sieht denn der Kompromiss aus, den Cameron in Großbritannien vertreten kann?
Watson: Cameron versucht, nicht nur einen Reformprozess in der Europäischen Union zu machen, sondern auch Juncker zu verhindern, ohne einen anderen Kandidat zu haben. Manche sagen, dass Reinfeldt, Premierminister Schwedens das gestern gemacht hat, weil er selbst Kommissionspräsident werden will. Aber er versucht, dies zu tun ohne einen alternativen Kandidat und ohne Unterstützung. Er sagt schon, ich werde eine Volksabstimmung machen in Großbritannien über eine Reform der Verträge, sodass Großbritannien noch weniger Teil an dem europäischen Unionsprozess nimmt.
Welty: Und welchen Kompromiss könnte das Europäische Parlament vertreten? Denn die Abgeordneten wollen ja mehr Mitbestimmung und sie sind ja auch bereit, dafür zu kämpfen!
Kommissionspräsident wird vom Parlament gewählt
Watson: Ja, hier ist die Kernfrage! Diese Regierungschefs agieren, als ob das Parlament keine Rolle spielt. Aber das ist ein kollektiver Erinnerungsverlust! Dieselben Personen oder ihre Länder haben einen Vertrag unterschrieben, Lissabonner Vertrag, wo es steht klar und fest: Das Parlament wählt die Kommission.
Das Parlament wählt die Kommission. Es stimmt, dass die Staats- und Regierungschefs eine Rolle dabei haben, eine wichtige Rolle im Nominierungsprozess, aber der Kommissionspräsident wird vom Parlament gewählt. Und deshalb müssen sie mit dem Parlament Diskussionen haben, wer wäre akzeptabel?
Welty: Aber wenn das Prozedere unstrittig ist, muss es denn dann tatsächlich auch ein Spitzenkandidat sein? Also, Juncker war ja Spitzenkandidat für die Konservativen, könnte das Parlament nicht auch jemanden anders akzeptieren?
Watson: Alle Parteien im Parlament oder fast alle Parteien im Parlament haben gesagt, wir wollen diesen Prozess von Spitzenkandidaten. Kein Regierungschef hat zu der Zeit gesagt, das geht nicht!
Welty: Na, die Iren waren, glaube ich, nicht so einverstanden.
Europa hat Koalitionsverhandlungen
Watson: Ja, vielleicht nicht so dafür. Aber ich meine, keiner hat gesagt, nein, das ist unmöglich. Ein solches Prozedere ist auch im Lissabonner Vertrag vorgesehen. Und Verträge sind wichtig. Es stimmt sicher, dass Herman Van Rompuy mit Sondierungen beauftragt worden ist. Ich sage nicht, es wäre unmöglich für das Parlament, einen anderen Kandidaten zu akzeptieren, wenn es einen Konsens innerhalb 28 Staats- und Regierungschefs im Rat gibt. Aber wenn nicht, dann ist es sehr schwierig. Und ich finde das auch keine schlechte Sache, plötzlich hat Europa so etwas wie Koalitionsverhandlungen. Und ich glaube, wir müssen eine tiefgehende Diskussion haben, eine Diskussion, die das Kandidatenthema überlagert: Was wollen wir von Europa, welche Reformen wollen wir sehen? Und dann, und nur danach: Wer wäre am besten, einen solchen Reformprozess durchzubringen?
Welty: Wie geht es Ihnen persönlich damit, dass Großbritannien jetzt, na ja, sagen wir: einen Sonderweg beschreiten will? Andere meinen, Sie schießen quer. Gucken einen die Kollegen da schon mal schräg von der Seite an?
Watson: Ich finde, dass Großbritannien sich in einer sehr schwierigen Lage befindet. Politik in diesen Sachen wird nicht von der Regierung gesteuert, sondern von der Murdoch-Presse. Und es ist der Fall für Cameron, wie es auch für Blair und in gewissen Maßen auch für John Major war, dass das britische Publikum sehr wenig von Europa weiß.
Die wissen nicht, wie das funktioniert, wie groß das ist. Und die Regierung versucht immer, sich als Europagegner zu präsentieren, auch wenn die Regierung weiß, dass man Europa nötig hat.
Welty: Ich versuche es noch mal mit der Frage: Ist Ihnen das manchmal peinlich?
Watson: Ja, mir ist das peinlich. Ich finde, die Europäische Union ist für Großbritannien wie für andere Mitgliedsstaaten eine sehr gute Sache. Und ich finde, dass wir zusammenarbeiten sollten, noch mal das aufzubauen. Wir haben sehr viel davon gewonnen und nicht nur auf wirtschaftlicher Ebene, sondern in der Sicherheit unserer Mitbürger und den Gelegenheiten auf dieser Welt.
Welty: Betont der britische Europaabgeordnete Graham Watson im Interview mit Deutschlandradio Kultur. Ich danke dafür!
Watson: Danke
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.