Ölaufsaugende Watte zur Reinigung der Meere - Unser Reporter Christoph Richter hat die Erfinder in Sachsen-Anhalt getroffen.
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Ölsaugende "Zauberwatte" im Finale
Eine Art "Zauberwatte" aus Sachsen-Anhalt könnte heute Abend mit dem Europäischen Erfinderpreis geehrt werden. Der Generaldirektor des Deutschen Museums in München, Wolfgang M. Heckl, ist Jury-Mitglied und lobt den Erfindergeist als wichtigen Wirtschaftsmotor.
"Hinter jeder Erfindung stecken Menschen", sagte Wolfgang M. Heckl, Generaldirektor des Deutschen Museums in München im Deutschlandfunk Kultur. "Der Erfinderpreis des Europäischen Patentamts will diese Menschen an die Öffentlichkeit holen" Die Auszeichnung solle zeigen, dass es Vorbilder für die Jugend gebe und die Zukunft Herausforderungen bereithalte. "Wir brauchen technisch-wissenschaftliche Erfindungen, Entdeckungen, aber natürlich auch deren marktliche Umsetzung", sagte der Professor für Experimentalphysik und Nanotechnik an der TU München, der in der Jury für den Europäischen Erfinderpreis sitzt. Gerade weil Europa nicht über Rohstoffe verfüge, müsse man vor allem Dinge anbieten, die der Geist geschaffen habe, sagte er.
Ölsaugende Watte "Pure"
Der wichtigste Erfinderpreis, den das Europäische Patentamt vergibt, wird heute Abend in Venedig verliehen. Die ölaufsaugende Watte "Pure", die eine Firma in Sachsen-Anhalt entwickelt hat, gehört zu den Nominierten. Ihre Erfindung ist ein neuer Stoff, der Öle und Chemikalien im Wasser bindet und Schadstoffe wie ein Schwamm aufsaugen kann.
Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Der Europäische Erfinderpreis ist so was wie der Oskar für Erfinder. Seit 2006 wird er vergeben von einer Jury im Auftrag des Europäischen Patentamts, und unter den Finalisten in der Kategorie Kleinere und Mittlere Unternehmen dieses Jahr auch eines aus Sachsen-Anhalt. Das Unternehmen Deurex mit einer Superwatte, mit der man frappierend effektiv Ölkatastrophen bekämpfen kann. Und davon ist sogar der Präsident des Europäischen Patentamtes erstaunt, der diese Superwatte als eine bahnbrechende Innovation bezeichnet hat. Christoph Richter, unser Landeskorrespondent, hat die erfinderische Firma in Elsteraue bei Zeitz besucht und deren Produktmanager gelauscht.
Liane von Billerbeck: Von Elsteraue in Sachsen-Anhalt jetzt nach Venedig. Dort wird der Europäische Erfinderpreis heute vergeben, der wichtigste Innovationspreis, den das Europäische Patentamt München verleiht. Und über das Erfinden will ich jetzt reden mit Wolfgang M. Heckl. Er ist, und jetzt kommt eine lange Liste, und ich habe schon einiges weggelassen, Generaldirektor des Deutschen Museums in München, Professor für Experimentalphysik und Nanotechnologie an der TU München mit dem Communicator-Preis der DFG ausgezeichnet, und Autor des Bestsellers "Die Kultur der Reparatur". Schönen guten Morgen, Wolfgang Heckl!
Wolfgang M. Heckl: Guten Morgen!
von Billerbeck: Vor allem aber sind Sie Jurymitglied für den Europäischen Erfinderpreis. "Pure", die eben vorgestellte Öl aufsaugende Watte, heute im Preisfinale, ist ja nicht die einzige Erfindung, die auf einem glücklichen Zufall beruht. Auch künstliche Süßstoffe, Mikrowellengeräte und sogar die Klettverschlüsse verdanken ihre Entstehung solchen Umständen. Sind also Zufälle eher die Regel beim Erfinden?
Heckl: Die Engländer haben ein schönes Wort dafür, das heißt Serendipity. Das bedeutet, wenn der Zufall auf einen aufgeschlossenen Geist trifft. Vieles ist Zufall beim Erfinden, aber man muss es auch erkennen.
Erfindungen im Team
von Billerbeck: Wir haben ja noch immer das Klischee vom Erfinder im Kopf, also dieser Mensch, der einsam in seinem Kämmerlein vor sich hin tüftelt. Welche Grundvoraussetzungen braucht es denn, dass sich ein solcher erfinderischer Geist entfaltet?
Heckl: Es gibt natürlich noch diesen einsamen Erfinder, so wie wir das vielleicht Galileo zuschreiben, der ja die erste Wasserpumpe hier in Venedig 1514 erfunden hat. Oder wenn wir an Leonardo denken, der das U-Boot schon gedacht hat im Jahr 1500, auch hier in Venedig. Aber vielfach werden natürlich heute Erfindungen im Team gemacht, im Team von Entwicklern, die in industriellen Produktionsanlagen arbeiten. Dort gibt es natürlich schon bestimmte Ziele. Dort gibt es Arbeitsgruppen, die in eine bestimmte Richtung arbeiten.
Aber mit dieser Erfindung, mit Pure, also mit diesem Wunderwachs, mit dieser Zauberwatte, da ist es wirklich so gewesen, wir haben es ja auch gerade im Beitrag gehört, dass man eben eine Erfindung auch erkennen muss. Das ist ähnlich wie mit den Haftnotizen, die ja zunächst auch – jeder kennt sie, die gelben Haftnotizen, nicht wahr, die zunächst auch eine Fehlproduktion waren. Aber wenn man dann mit aufmerksamen Augen durch die Welt geht, wenn man in diesem Fall bei "Pure", wenn man erkennt, dass eine hydrophobe Watte geeignet ist – so genau, glaube ich, weiß man es noch gar nicht, worauf das wirklich beruht, geeignet ist, die Probleme, die so vielfältig auftreten mit Ölkatastrophen – wir denken an den Golf von Mexiko damals –, dass diese Watte also geeignet ist, hier für den Menschen etwas zu leisten, dann ist das der Kern der Erfindungen.
Hinter jeder Erfindung stecken Menschen, und der Erfinderpreis des Europäischen Patentamts will diese Menschen an die Öffentlichkeit holen. Er will zeigen, dass es Vorbilder gibt für unsere Jugend, für die, die nach uns folgen, dass wir Aufgaben haben, die bedeuten, die Menschheit geht auf schwierige Zeiten zu. Wir stehen vor Herausforderungen. Wir brauchen technisch-wissenschaftliche Erfindungen, Entdeckungen, aber natürlich auch deren marktliche Umsetzung. Denn gerade in Europa sind wir ja bekannterweise rohstoffarm, ein rohstoffarmes Land, sodass wir also eigentlich nur das, was wir unserem Geist zu verdanken haben, letzten Endes auch für die Menschheit auf dieser Erde zur Verfügung stellen können.
Reparaturen können faszinieren
von Billerbeck: Sie selbst, ich habe es erwähnt, haben ja ein Buch geschrieben über die Kultur der Reparatur. Nun könnte man ja denken, dass reparieren nicht unbedingt sehr innovativ ist, weil man ja Altes bewahrt. Oder ist das ein Fehlschluss? Fördert das Reparieren, das Herumtüfteln eben genau den Erfindergeist?
Heckl: Genau so, auf vielfältige Art und Weise. Wenn Sie heute wieder Jugendlichen, Kindern zeigen, dass man nicht sofort verwirft, sondern versucht zu reparieren, bevor man am Ende zu hundert Prozent recyceln muss, also molekular am Ende, so wie die Natur es immer macht auf dieser Erde, wenn Sie Kindern das zeigen können, dann haben Sie eine Möglichkeit, sie zu faszinieren, ihnen beizubringen, was hinter der Sache eigentlich steckt.
Und selbst wenn eine Reparatur nicht gelingt, können Sie davon ausgehen, dass diese Menschen, die sich mit Reparatur beschäftigen, in der Zukunft vielleicht sich mit einer Idee beschäftigen, wie sie etwas besser machen oder wie sie ein Konsumgut beispielsweise – und wir sind ja von etwa 10.000 Konsumgütern, viel zu vielen, umgeben - wie Sie ein Konsumgut herstellen in Zukunft, das man viel leichter reparieren kann. Industrie 4.0 hat die Chance, dass wir in zukünftigen Generationen von Ingenieuren auch eben Verbrauchsgüter herstellen, die sich von Anfang an viel leichter reparieren lassen.
Also nicht die berühmten verklebten Zahnbürsten, elektrischen Zahnbürsten, sondern welche mit Schrauben, sodass wir also wirklich eben auch über die Reparatur letzten Endes diesen Erfindergeist anspornen. Und ich glaube, das ist, was eben auch dieser Erfinderpreis, der heute vergeben wird und übrigens um 12:15 Uhr werden wir wissen, ob Günter Hufschmid und Team – zu den Nominierten zählen sie ja – auch zu den Gewinnern zählen in dem Bereich Kleine und Mittelständische Unternehmen.
von Billerbeck: Wolfgang M. Heckl hat noch nichts verraten über die Preisträger, die heute kommen. Wir hoffen, dass ein deutscher Erfinder dabei ist. Herzlichen Dank an Sie, Herr Heckl, und ich wünsche Ihnen einen schönen Tag als Jurymitglied des Europäischen Erfinderpreises heute Abend in Venedig.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Literaturtipp:
Wolfgang M. Heckl, Die Kultur der Reparatur, Hanser Verlag, 8,99 Euro