Europäisches Investitionspaket

"Ein Tropfen auf den heißen Stein"

Der Luxemburger Jean-Claude Juncker bei der Vorstellung seiner Pläne und Kandidaten im Europaparlament.
Jean-Claude Juncker im Europaparlament: Aus 21 Milliarden Euro sollen 300 Milliarden werden. © picture alliance / dpa / Patrick Seeger
Guntram B. Wolff im Gespräch mit Liane von Billerbeck |
Das so genannte 300-Milliarden-Investitionspaket des neuen EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker wird die Konjunktur in Europa nur wenig ankurbeln, glaubt der Wirtschaftswissenschaftler Guntram B. Wolff. Er hegt Zweifel, dass die EU - wie sie hofft - Investoren anlockt.
Das Paket sehe sehr viel größer aus, als es tatsächlich sei, sagte Wolff am Donnerstag im Deutschlandradio Kultur. Darin seien lediglich 21 Milliarden an öffentlichen Mitteln enthalten, die zudem größtenteils aus Umschichtungen im EU-Haushalt kämen. Ob es Juncker gelinge, daraus über private Investorengelder mehr als 300 Milliarden hervorzuzaubern, erscheine ihm doch eher zweifelhaft, so der Wirtschaftswissenschaftler.
Es sei sehr schwer, den privaten Sektor "mit doch relativ wenigen Garantien zu ernsthaften neuen Investitionen zu bewegen". Insofern sei das Programm "eher ein Tropfen auf den heißen Stein".
Wolff begrüßte jedoch den grundsätzlichen Ansatz Junckers, die Investitionen in Europa erhöhen zu wollen. Derzeit gebe es sehr wenig Investitionen. "Insbesondere im Privatsektor wird sehr wenig investiert."
Um die Investitionsbereitschaft zu erhöhen, seien eher die Teile von Junckers Programm erfolgversprechend, die auf die Rahmenbedingungen für Investitionen abzielten. "Je mehr man den gemeinsamen Binnenmarkt stärkt, zum Beispiel für digitale Produkte, umso besser sind eigentlich die Chancen, dass wir da letztendlich dann tatsächlich private Investitionen, Investoren nach Europa luchsen und hier neue Investitionen bekommen."
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Das vollständige Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Zwei große Themen beherrschen heute den EU-Gipfel in Brüssel, die Ukraine und ein Investitionspaket. Das ist so ein richtig dickes Bündel voller Geld, das über Europa ausgeschüttet werden soll, zumindest wenn es nach dem Wunsch des Präsidenten der Europäischen Kommission Jean-Claude Juncker geht.
Von 315 Milliarden ist immer die Rede, die in Infrastruktur, Energie, Verkehr, Bildung investiert werden sollen. Und diese Summe hat er ja auch im Wahlkampf versprochen. Und diese Milliarden sollen weitere Investitionen anziehen und Arbeitsplätze bringen: 1,3 Millionen. Klingt fast zu schön, um wahr zu sein! Denn wer wird am Ende überprüfen, ob das alles wahrgeworden ist, was Juncker da versprochen hat?
Wir wollen jetzt mit dem Ökonomen Guntram B. Wolff darüber sprechen, dessen Firma Bruegel heißt und in Brüssel das ist, was man auf Deutsch Denkfabrik nennt, und zwar eine, die von Deutschland und Frankreich gegründet wurde, in der auch Forscher und Vertreter von Unternehmen und Banken sitzen. Der Ökonom berät die EU-Finanzminister und Frankreichs Premier. Herr Wolff, guten Morgen!
Guntram B. Wolff: Guten Morgen!
von Billerbeck: Wenn so ein Geldbündel auf den Tisch gelegt wird, dann ist klar, dass alle Staaten sofort "Ich will!" schreien und Wunschzettel schreiben. Und genau das ja geschehen, es gibt inzwischen 2.000 Projekte im Gesamtwert von 1,3 Billionen Euro. Allein Deutschland will Brücken bauen, schnelles Internet und Infrastruktur. Man hat den Eindruck, dass sich die Politik kümmert. Was bleibt denn aber übrig, bei näherer Betrachtung, von Junckers 315 Milliarden?
"Am Ende wird doch relativ wenig rumkommen"
Wolff: Ja, ich glaube, das Paket sieht erst mal sehr viel größer aus, als es in der Tat ist. Also, es geht ja erst mal darum, ein Problem zu beheben, was wir in der Tat haben, wir haben also sehr wenig Investition derzeit in Europa, insbesondere im Privatsektor wird sehr wenig investiert. Und das ist in vielen Ländern so, in Italien sehr stark, aber auch in Frankreich, selbst in Deutschland sind Investitionen sehr stark gefallen. Und deswegen war die grundsätzliche Idee im Wahlkampf von Juncker, ja Investitionen zu erhöhen.
Und er möchte das im Prinzip machen mit relativ wenigen öffentlichen Mitteln. Also, er hat ein Paket, in dem er aus 21 Milliarden öffentlichen Mitteln letztendlich mehr als 300 Milliarden hervorzaubern möchte. Und ob ihm das gelingt, das erscheint mir doch eher zweifelhaft. Insofern, glaube ich, ist da eher, große Zahlen werden genannt, aber am Ende wird doch relativ wenig rumkommen.
von Billerbeck: Nun soll man ja keine neuen Schulden machen. Woher kommt denn das Geld, woher kommen denn auch die 21 Milliarden, wenn dann immer von 315 die Rede ist?
Wolff: Ja, also, diese 21 Milliarden sind eigentlich Umschichtungen im EU-Budget größtenteils. Also, da wird dann weniger EU-Budget für Forschung ausgegeben und dieses Geld soll eben als Garantie genutzt werden, um dann eben Anreize für den privaten Sektor zu geben, da eben zu investieren. Und das Problem ist halt, dass das sehr schwer ist, den privaten Sektor mit doch relativ wenigen Garantien zu ernsthaften neuen Investitionen zu bewegen, insbesondere neuen Investitionen. Also, ich zweifele nicht daran, dass wir existierende Investitionen oder sowieso schon geplante Investitionen mit diesen 21 Milliarden subventionieren können, aber wirklich neue Investitionen zu bekommen, das wird relativ schwer.
von Billerbeck: Bedient sich Juncker also mit dieser Summe, die da immer im Schwange ist, diesen 315 Milliarden, einfach einer Masche, die seit Ausbruch der Krise ja sehr populär ist, also etwas ankündigen, was sich im Zweifel gar nicht überprüfen lässt?
Wolff: Ja, also, das möchte ich jetzt so nicht sagen, aber was er hat natürlich die Beschränkung und das Problem, dass er selber überhaupt keine öffentlichen Mittel hat und insofern da versucht, das herzuzaubern.
Ich glaube, der Teil, der wirklich eher Erfolg haben könnte – und da würde ich ihn auch ermutigen noch mehr dran zu arbeiten, und auch die Mitgliedsstaaten noch mehr dran zu arbeiten –, der Teil, der mit den Rahmenbedingungen für Investitionen zu tun hat. Das ist also auch ein Teil des gesamten Paketes: Je besser die Rahmenbedingungen für Investitionen sind, je mehr man den gemeinsamen Binnenmarkt stärkt zum Beispiel für digitale Produkte, umso besser sind eigentlich die Chancen, dass wir da letztendlich tatsächlich private Investitionen, Investoren nach Europa luchsen und hier neue Investitionen bekommen. Und diese Investitionen brauchen wir. Denn eins ist klar, wer nicht investiert, der wird auch in der Zukunft keine Erträge erwirtschaften, und das ist schlecht fürs langfristige Wachstum.
von Billerbeck: Trotzdem hat man immer den Eindruck, wir erleben einen neuen Fall von der Politik der großen Zahlen. Das ist ja nicht der erste, sechs Milliarden gegen Jugendarbeitslosigkeit in Europa oder zehn Milliarden für Investitionen in Deutschland. Und jetzt ist auch die Rede davon, dass diese Investitionen 1,3 Millionen Arbeitsplätze in Europa schaffen sollen. Und die „Zeit" hat da einen Banker der Commerzbank zitiert, der gesagt hat, man glaube nicht, dass Junckers Programm die Konjunktur messbar anregt. Herr Wolff, Sie beraten ja nun die Politik, was meinen Sie: Brächte dieses Konjunkturpaket tatsächlich etwas, wenn es denn kommt? – Viele Konjunktive!
"Ich glaube überhaupt nicht an diese Zahlen"
Wolff: Ja, es bringt ein bisschen was. Aber ich glaube überhaupt nicht an diese Zahlen, die da genannt werden. Es wird, es ist eher ein Tropfen auf den heißen Stein, man darf sich keine Magie erhoffen. Letztendlich, was etwas bringt, sind die vernünftigen Rahmenbedingungen, die vernünftigen Strukturreformen. Und natürlich in den Bereichen, in denen man öffentliche Infrastruktur aufbauen möchte: Für eine öffentliche Ausbildung muss man dann letztendlich auch öffentliche Gelder in die Hand nehmen. Und das ist natürlich nicht erreicht durch ein Umschichten des EU-Budgets von 21 Milliarden.
von Billerbeck: Als Vertreter einer Denkfabrik in Brüssel und Politikberater, was sagen Sie: Sind solche Programme Politikersatz?
Wolff: Ja, ich denke, diese Programme sind erst mal wichtig, weil sie natürlich die Agenda setzen. Und ich glaube schon, dass wir das Bewusstsein haben müssen, dass es in der Tat ein Problem gibt mit den Investitionen. Aber in der Tat, wenn man sich nicht einigt, da was Ernsthaftes zu machen, dann wird das eher enttäuschend natürlich.
von Billerbeck: Guntram B. Wolff war das, Ökonom bei Bruegel, einer deutsch-französischen Denkfabrik in Brüssel, über Junckers dickes Investitionspaket. Ich danke Ihnen!
Wolff: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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