Europäisches Kulturerbejahr

"Glocken verbinden Europa"

Auf dem Markusplatz in Venedig sind auf dem Uhrenturm (Torre dell Orologio) die beiden Mohren von Venedig zu sehen, aufgenommen am 09.09.2014. Die Bronzemänner zeigen mit Hammerschlägen auf die große Glocke die Stunden an. Der Turm wurde 1499 eingeweiht.
Auf dem Markusplatz in Venedig ist auf dem Uhrenturm die große Glocke zu sehen. © dpa/Waltraud Grubitzsch
Matthias Wemhoff im Gespräch mit Dieter Kassel |
Denkmäler als Rettungsanker der EU? Während die Gemeinschaft über Flüchtlinge und Finanzen streitet, wurde 2018 zum Europäischen Kulturerbejahr erklärt. Programmgestalter Matthias Wemhoff erklärt, warum gerade die Glocke in Europa ein einendes Moment hat.
Dieter Kassel: Jedes Jahr hat Europa ein bestimmtes Motto, und das Jahr 2018, das ist das Europäische Jahr des Kulturerbes, geht übrigens auf eine deutsche Initiative zurück, diese Idee, und der deutsche Auftakt des Kulturerbejahres, der ist am nächsten Montag in Hamburg unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten. Der ist jetzt bei uns nicht zu Gast, aber unser Gast ist trotzdem, wenn ich das leicht übertrieben so sagen darf, der wichtigste Deutsche im Zusammenhang mit diesem Programm – da lacht er schon –, denn Matthias Wemhoff ist der Vorsitzende des Nationalen Programmbeirats für das Kulturerbejahr, und außerdem ist er Mittelalterarchäologe, Direktor des Berliner Museums für Vor- und Frühgeschichte und auch Landesarchäologe des Bundesamts Berlin. Eine ganz schöne Liste. Guten Morgen, Herr Wemhoff!
Matthias Wemhoff: Schönen guten Morgen!
Kassel: Die Europäische Union will, unterstelle ich mal, mit diesem Jahr des Kulturerbes ja unter anderem auch zeigen, wir sind nicht nur eine Wirtschaftsgemeinschaft, wir haben wirklich viel miteinander zu tun. Wenn man das zeigen will, wie in diesem Jahr, wie weit muss man da ungefähr zurückgehen?
Wemhoff: Man muss gar nicht weit zurückgehen. Das fängt also wirklich schon an bei den Bauten vielleicht der 60er-, 70er-Jahre, die sind auch schon ein Thema, also das, was wir als Bauten des Brutalismus zeigen, das ist etwas, was durch ganz Europa geht. Wir können aber auch zurück bis zu den Römern. Also wir haben so viele Epochen, die eigentlich europaweit ihre Spuren hinterlassen haben, dass wir gesagt haben, wenn wir uns in diesem Jahr noch einmal mit dem gebauten und dem archäologischen Erbe beschäftigen wollen, dann können wir es eigentlich nur in europäischer Perspektive, weil wir können das gesamte Erbe überhaupt nicht national vereinnahmen.
Matthias Wemhoff
Museumsdirektor Matthias Wemhoff© Imago / Rolf Kremming
Kassel: Aber was heißt gemeinsam? Also wenn wir uns ein Museumsbau und ein Denkmal angucken und sagen, ja, das sieht jetzt in Paris ein bisschen so ähnlich aus wie in Warschau, ist das schon das, was Sie mit Gemeinschaft meinen, oder ist es nicht doch ein bisschen komplizierter?
Wemhoff: Es ist natürlich ein ganzes Stück komplizierter, aber es ist oft auch etwas, was man durch das reine Anschauen lernen kann. Also ich glaube, Heimat ist da, wo man spazieren geht, und wenn man das versteht zu lesen, wenn man das versteht zu interpretieren im Hinblick auf eine gesamte große europäische kulturelle Geschichte, dann verortet man sich, glaube ich, anders, und dann wird dieses Erbe auch nicht vereinnahmbar, sondern dann ist es etwas, was offen ist, und es wird deutlich, es ist eigentlich immer durch Austausch und durch Bewegung entstanden.
Kassel: Gibt es denn auch vielleicht im Rahmen der ganzen – natürlich ist es ein Riesenkatalog von Veranstaltungen, die uns dann in Deutschland und in vielen anderen Ländern erwarten in diesem Jahr –, gibt es denn für Sie ein Beispiel, wo man sagt, das ist wirklich so etwas Grundeuropäisches und fast Gesamteuropäisches in Form eines Denkmals, eines Gebäudes, irgendetwas, was wir da wirklich deutlich zeigen können?

Europa als einheitlicher Glockenraum

Wemhoff: Es gibt eine Gattung von Denkmälern, nämlich Glocken. Die verbinden wirklich Europa. Also Europa ist ein einheitlicher Glockenraum, und da wird es auch ein großes Ereignis geben, was auf einmal wie so eine Welle durch ganz Europa geht, und alle sind begeistert und machen mit, nämlich die Idee, die wirklich in der Beratung vieler Nationen auch geboren worden ist, zum Weltfriedenstag, zum Ende des Ersten Weltkriegs, das jährt sich ja auch in diesem Jahr 100 Jahre, zeitgleich in Europa Glocken läuten zu lassen und deutlich werden zu lassen, diese Glocken sind auch Kulturträger und verbinden uns alle miteinander.
Kassel: Aber wie wollen Sie verhindern, dass der eine oder andere sagt, ja, das ist wahr, das ist in der Geschichte so gewesen, darf man auch nicht vergessen, wir haben auch immer Gedenktage und Museen, aber das hat doch heute nichts zu tun mit der Debatte über Flüchtlingsverteilung, mit Brexit, mit regionalen Bestrebungen, sich selbstständig zu machen, mit all dem, worüber Europa im Moment ja relativ hilflos zum Teil streitet?
Logo des Europäischen Kulturerbejahrs
Unter diesem Logo will sich Europa nun auf seine gemeinsamen kulturellen Wurzeln besinnen© Copyright: Europäisches Kulturerbejahr
Wemhoff: Ich glaube, das hat ganz viel damit zu tun, und das gibt auf Dauer auch Ermutigung, die Probleme anzugehen, die wir haben. Wir machen in Berlin eine große Ausstellung mit allen Landesarchäologen zusammen. Das Beste aus den archäologischen Grabungen der letzten 15, 20 Jahre, aber nicht einfach nur chronologisch, sondern thematisch, und wir haben auf die Sachen geschaut und haben gesagt, was erzählen sie uns, was sind die großen Themen unserer Zeit. Es ist Mobilität, es ist Innovation, es ist letztlich Austausch – in Anführungszeichen –, Globalisierung, und das fängt schon in der Steinzeit an. Also wir sind nicht die einzigen, die mit solchen Problemen zu tun haben, und es gibt eine, denke ich doch, europäische Art und Weise, auch damit umzugehen, und wenn wir uns vergewissern, wie das in verschiedenen anderen Epochen gewesen ist, ich glaube, dann können wir auch etwas von der Erregung nehmen, die uns manchmal dann auch den Weitblick verbaut.
Kassel: Aber es ist ja auch wichtig, finde ich, dass man auch zugibt, es gibt aber natürlich Unterschiede. Irland ist eben nicht Slowakei, und Norwegen ist nicht Malta. Wie wichtig ist Ihnen denn, auch zu zeigen, na ja, vielleicht sogar genau umgekehrt, das, was wir hier haben, das sieht sich so ähnlich, im Detail ist es völlig anders?
Wemhoff: Das ist eine ganz, ganz wichtige Sache. Also Europa lebt natürlich auch von den Regionen und von einer kulturellen Ausprägung und einem Geben und Nehmen zwischen den Regionen. Es ist dieser Prozess des Austausches, aber es ist auch verdammt viel Verbindendes dabei.

Schüler als Kundschafter in ganz Europa

Kassel: Man will – ich sage jetzt mal man, weil sie sind ja nicht alle persönlich, ich kann sie auch nicht für alles verantwortlich machen, will ich auch nicht, aber –, die EU will ja auch vor allem jungen Menschen zeigen, das ist keine Erfindung der letzten Jahrzehnte, diese Union, das ist, auch wenn wir das noch nicht in Verträge gegossen hatten, eigentlich ideell schon seit Jahrhunderten oder länger da gewesen. Wie erreicht man denn junge Leute, die dann vielleicht doch sagen, Denkmal, Jubiläum, Museum, das ist für mich nicht so interessant?
Wemhoff: Also ich mache ja im Museum alltäglich die Erfahrung, dass auch gerade junge Besucher sich sehr, sehr stark ansprechen lassen, wenn sie entsprechend herangeführt werden, wenn die Methoden da sind, wenn faszinierende Menschen da sind, die das vermitteln, und das ist eigentlich unsere Aufforderung, dass jeder an seinem Platz, wo er steht, sich auch eigentlich damit auseinandersetzt und versucht, auch das an junge Leute weiterzugeben. Es gibt tolle Sachen, zum Beispiel in Herfort ein altes Damenstift, da gibt es die Idee, Kundschafter auszusenden mit Schülern. Da haben sich schon ganz viele beworben, die werden an die Orte gesandt, zu denen es in der Frühzeit ja Stadtkontakte gegeben hat, nach Frankreich, nach England, nach Island, und sie sollen von dort anderen Jugendlich einladen, die dann einen Tag zusammenkommen. Ich glaube, so etwas, das sind Modelle, wo man sieht, man bringt auch Menschen zusammen und schafft heute in Anknüpfung an das, was gewesen ist, neue Verbindungen.
Kassel: Manchmal ärgere ich mich, dass ich zu alt bin für sowas. Ich glaube, es gibt bestimmt eine Altersgrenze, und 50 ist drüber bei dieser Sache in dem Stift in Herfort.
Wemhoff: Das könnte sein, ja.
Kassel: Da gelang es Ihnen nicht, einen diplomatischen Ausweg zu finden! Professor Matthias Wemhoff war das, er ist unter anderem, neben seinen vielen anderen Jobs, auch der Vorsitzendes des Nationalen Programmbeirats für das Europäische Jahr des Kulturerbes, das in Deutschland am Montag mit einem großen Festakt in Hamburg eingeläutet wird. Läuten ist schön, nachdem Sie das mit den Glocken jetzt erzählt haben, und es läutet dann über ganz Europa noch das ganze Jahr. Herr Wemhoff, vielen Dank für’s Kommen!
Wemhoff: Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Programmtipp:

Studio 9, 8.1.2018, 6:47 Uhr, Interview mit Daphne Büllesbach, Geschäftsführerin European Alternatives zum Europäischen Kulturerbejahr