Europapolitik

Frankreich und Deutschland sind kein Europa-Paar mehr

Der französische Präsident Emmanuel Macron und die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, Ende Februar 2018 in Brüssel
Der französische Präsident Macron und Angela Merkel: Blick bei der Partnersuche geweitet. © picture alliance / Thierry Roge/BELGA/dpa
Von Ulrike Guérot |
Egal, was einmal gewesen sein mag, das politische Paar Paris und Berlin steckt in der Krise. Und damit ganz Europa, kommentiert Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot. Präsident Macron geht auch andernorts auf Partnersuche – für seine neue Bewegung „Europe en Marche“.
"Je t’aime moi non plus", ich liebe dich auch nicht mehr. So in etwa könnte man eine gewisse Trotzigkeit in den deutsch-französischen Beziehungen beschreiben, seitdem Emmanuel Macron einen europapolitischen Machtanspruch formuliert, den in Deutschland lange Zeit niemand mehr gewohnt war. Macron ist zugleich Partner und Widerpart. Macron weiß, was er will und scheint bereit, es notfalls auch ohne Deutschland durchzusetzen. Unter der Oberfläche scheint das deutsch-französische Paar entzweit.
Zwar ist nach monatelanger Berliner Koalitions-Hängepartie Bewegung in die Europapolitik gekommen. Kaum vereidigt, flogen erst Außenminister Heiko Maas, dann Finanzminister Olaf Scholz und Kanzlerin Angela Merkel nach Paris, um, wie es hieß, die ausgestreckte Hand von Macron zu ergreifen. Wobei es seine Rezepte sind, die Deutschland so gar nicht schmecken und deren Ergebnis im deutschen Diskurs gerne mit politischen Kampfbegriffen wie "Transferunion" oder "Schuldengemeinschaft" belegt werden.

Macrons Bewegung ist in Europa angekommen

Es ist absurd: In der Essenz werden hier Reformvorschläge politisiert und verworfen, die noch vor wenigen Jahren als vernünftig gehandelt wurden. Mehr noch: an denen Deutschland mitgewirkt hatte. Dies ist eine auffällige Verschiebung europapolitischer Positionen im deutschen Parteienspektrum, aber nicht nur dort. Auch der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte und andere Regierungen haben kürzlich in einem "Brief der Acht" gegen Macrons Pläne aufbegehrt.
Wer würde also noch von einem deutsch-französischen Schulterschluss sprechen? Der Riss entzweit nicht nur das deutsch-französische Paar. Eher geht es darum, ob die gesamte Parteienstruktur in Europa an der Frage zerschellen könnte: Wer ist bigott und wer will Europa wirklich? Von einer Neuordnung der Parteiengrenzen auf europäischer Ebene ist in Brüssel die Rede. Längst ist La République en Marche dort angekommen und hält Ausschau, wen man für einen großen Wurf gewinnen könnte. Anders formuliert: Macrons Pläne gehen weit über das deutsch-französische Zusammenspiel hinaus.
Er will eine europäische Bewegung aus dem Europäischen Parlament heraus, "Europe en Marche". Für deren Erfolg dürfte es entscheidend sein, ob sie Teile der europäischen Sozialdemokratie, der europäischen Grünen und den sozial-liberalen Teil der ALDE-Gruppe für sich gewinnen kann. Um die 70 Mitglieder des Europäischen Parlaments will Macron prinzipiell schon für seine Pläne gewonnen haben.

Dem alten Paar Berlin-Paris fehlt die Kraft

Wer aus Deutschland dabei wäre, ist indes schwer zu sagen. Im Zweifel niemand, während sich in Italien die Partei von Matteo Renzi und sogar Cinque Stelle, in Spanien Ciudadanos, in Rumänien die USR, in den Niederlanden die D66 und wahrscheinlich einige mehr für Marcons Pläne einsammeln lassen. Macrons Bewegung hat sogar Chancen, nach den Wahlen 2019 zur zweitstärksten Kraft im Europaparlament zu werden.
Die CDU hingegen opponiert offen gegen transnationale Listen und hat kürzlich im Europäischen Parlament mehrheitlich dagegen gestimmt. So werden diese transnationalen Listen zu einem kaum noch verdeckten deutsch-französischen Machtkampf in Europa. Die Auseinandersetzung verläuft nicht mehr entlang nationaler Grenzen. Und damit ist Europa eben auch keine Frage der deutsch-französischen Zusammenarbeit mehr. Das alte Paar hat strukturell nicht mehr die Kraft, europäische Fortschritte auf den Weg zu bringen.
Wie könnte also aus einem einstigen, deutsch-französischen Tandem eine Dynamik für eine europäische Demokratie werden, in der die Nationalstaaten nicht mehr im Mittelpunkt der Bewegung stehen? Die Art, wie Europa gemacht wird, wird sich in den nächsten Jahren vor allem auch in diesen Fragen zeigen.
Ulrike Guérot ist Politikwissenschaftlerin und hat das "European Democracy Lab" in Berlin gegründet. An der Donau-Universität Krems in Österreich ist sie Professorin für Europapolitik und Demokratieforschung. Für ihr europäisches Engagement wurde sie mit dem "Ordre pour le Mérite" ausgezeichnet. Bucherscheinungen: "Warum Europa eine Republik werden muss! Eine politische Utopie" (Verlag J.H.W. Dietz 2016), Der neue Bürgerkrieg. Das offene Europa und seine Feinde" (Ullstein 2017).
Ulrike Gúerot
Ulrike Gúerot© imago
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