"Streit um Asylrecht ist eine Scheindebatte"
Für Europarechtler Daniel Thym geht die Debatte um das Individualrecht auf Asyl am eigentlichen Problem vorbei. Wer an der aktuellen Praxis etwas ändern wolle, müsse auf europäischer Ebene verhandeln. Das Grundgesetz spiele eine untergeordnete Rolle.
Die Aufregung ist immer noch groß: Bei der dritten Regionalkonferenz der CDU, bei der sich die drei aussichtsreichsten Kandidaten für den Parteivorsitz der Christdemokraten vorgestellt haben, hat Friedrich Merz gesagt, Deutschland sei das einzige Land der Welt, das ein Individualrecht auf Asyl in der Verfassung stehen habe. Man müsse offen darüber reden, ob dieses Asylgrundrecht "in dieser Form" weiterbestehen könne, wenn eine europäische Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik ernsthaft gewollt sei.
Daniel Thym ist Professor für Europa- und Völkerrecht an der Universität Konstanz und befasst sich vor allem mit Migrationsrecht. Er widerspricht Merz im Deutschlandfunk Kultur. Das Individualrecht auf Asyl gebe es inzwischen auch in anderen Ländern, manche hätten auch weitergehende Regeln.
"Debatten in Brüssel finden bereits statt"
Vor allem aber führe die Debatte um das Grundgesetz am Kern des Problems vorbei. Das gelte auch für die Gegner von Friedrich Merz, die das Grundgesetz nicht ändern wollten, weil es für das Asylrecht so wichtig sei. "Aus einer praktischen Sicht ist das eine Scheindebatte", sagt Thym. Die meisten Asylbewerber, die nicht abgelehnt würden, hätten heute einen Flüchtlingsstatus nach der Genfer Konvention oder den sogenannten subsidiären Schutz für Bürgerkriegsflüchtlinge. "Diese Regeln folgen aus europäischen Vorgaben."
Wenn man die Praxis beeinflussen wolle, wie Merz das suggeriere, müsse man nicht das Grundgesetz ändern. "Sondern dann muss man über die europäischen Regeln reden." Diese Debatten fänden bereits in Brüssel statt, sie seien aber mühsam und stockten. "Die Politik wäre sehr gut beraten, sich darauf zu konzentrieren", sagt Thym.