Im Schlepptau der USA

Europa muss sich außenpolitisch emanzipieren

Ein Kommentar von Ramon Schack |
Europa verspielt gerade die Chance, als Kontinent des Ausgleichs und der Stabilität zu gelten. Während die USA in Konfrontation zu China geht, muss sich Europa nicht nur hier als eigenständiger Akteur positionieren, meint der Journalist Ramon Schack.
Europa ist von einem Feuerring schwelender geopolitischer Konflikte umrundet, von Nordafrika, über den Nahen und Mittleren Osten, dem West-Balkan, dem Südkaukasus, flankiert von angespannten Beziehungen zu Russland, sowie sich zuspitzenden Beziehungen zur Volksrepublik China.
Diese Analyse fand aber nicht statt, obwohl in den vergangenen 20 Jahren die Welt weder vom Phänomen des Terrorismus befreit wurde - das Gegenteil ist der Fall - noch Leuchttürme der Demokratie entstanden sind. Auch wurde die Welt nicht „westlicher" oder "demokratischer", sondern gescheiterte Staaten wurden wie am Fließband produziert, während das Modell des Westens in seinen Kernländern von den eigenen Bürgern zunehmend in Frage gestellt wurde und wird.

Feindbild China

Sicher ist also, dass die bisherige außenpolitische Doktrin des Westens - unter Führung der USA - sich in eine geopolitische Sackgasse manövriert hat. Sicher ist aber auch, dass man sich - wie schon seit geraumer Zeit zu beobachten - auf das Feindbild China konzentriert hat, um den relativen Niedergang des Westens, beziehungsweise dessen wachsende Uneinigkeit, notdürftig zu übertünchen.

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Der phänomenale Aufstieg der Volksrepublik China zu einer der führenden Supermächte, bildete daher so etwas wie den brüchigen Kitt des letzten G20-Gipfels. Die aufstrebende Volksrepublik fordert zunehmend die globale Vormachtstellung Washingtons heraus.

Willfährige politische Klasse in Berlin

Um dieser Infragestellung der eigenen globalen Hegemonie begegnen zu können, verlangen die USA von Europa gemeinsam mit ihnen einen neuen Kalten Krieg gegen Peking zu starten. Dieses für Europa hochriskante Unterfangen, welches nicht nur den Weltfrieden sondern die politische und ökonomische Stabilität des Kontinents ernsthaft gefährdet, wird von der politischen Klasse Berlins größtenteils willfährig umgesetzt.
Jenseits des Rheins, sind die Franzosen sicherlich die weit profunderen Denker, wenn es um die Bereiche Geopolitik und historische Perspektiven geht. Gerade im direkten Vergleich zu den Deutschen, wo es im politischen Berlin nicht nur an Kompetenz fehlt, sondern auch ein geistiges Vakuum sichtbar wird.

Macron: "Hirntod der NATO"

Der französische Präsident Macron äußerte schon vor zwei Jahren in einem Interview mit "The Economist": "Was wir derzeit erleben, ist der Hirntod der NATO." Es gebe "keinerlei Koordination bei strategischen Entscheidungen zwischen den USA und ihren NATO-Verbündeten". Solche Äußerungen, welche das Selbstbild der NATO in Frage stellen, würden in der Bundesrepublik als Blasphemie gelten.
Frankreich bäumt sich weiter auf und repräsentiert eine Denkschule, die sich nicht damit begnügt, die eigene Nation und den eigenen Kontinent lediglich in der Rolle des kleinen Bruders in einer ungleichen Atlantischen Allianz zu definieren. Hierbei geht es sicherlich nicht darum, sich Peking zu unterwerfen - im Gegenteil.

Mehr Frankreich wagen

Präsident Macron äußerte dazu folgerichtig, als er analysierte, dass Amerika eine andere Sicht auf die Welt und eine andere Geografie habe, was bedeuten kann, dass unsere Interessen nicht übereinstimmen. Daraus folgt, dass unsere Beziehungen mit den Nachbarstaaten in Afrika, in der Levante, mit Russland, nicht die Nachbarschaftspolitik der USA darstellen, weshalb die internationalen Beziehungen Europas nicht ausschließlich und einseitig im Schlepptau Amerikas definiert werden können und dürfen.
Falls Europa nicht in der Lage ist, die globalen Gefahren zu erkennen, die sich aus den Machtverschiebungen nach China ergeben, wird unser Kontinent in einer Konfrontationspolitik zwischen Washington und Peking aufgerieben. Somit verspielt Europa seine Chance, als ein Kontinent des Ausgleichs, der Stabilität und des Friedens zu gelten. Was die Außenpolitik angeht, muss die EU ebenso wie die NATO mehr Frankreich wagen, um sich auch in diesem Bereich von den USA zu emanzipieren und der europäischen Idee ein neues Fundament zu garantieren.

Ramon Schack, Jahrgang 1971, ist Diplom-Politologe, Journalist und Publizist. Er schreibt für „Neue Zürcher Zeitung“, „Süddeutsche Zeitung“, „Die Welt“, „Berliner Zeitung“, „Wiener Zeitung“ und „Handelsblatt“. Seit 2018 moderiert Schack die Internetsendung „Impulsiv TV“, in der er Gäste aus Politik, Wirtschaft und Kultur interviewt.

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