"Arm, aber sexy" war einmal
Berlin ist Deutschlands Start-up-Hauptstadt. Doch mit den steigenden Mieten wird der Platz für Gründer Mangelware. Damit sie sich dennoch in Berlin ausprobieren können, will ein findiger Unternehmer das größte Gründerzentrum Europas aufziehen.
Die Zeiten, in denen Gründer in der heimischen Garage tüfteln mussten, bevor sich irgendwann der erste Erfolg einstellte, sind vorbei. Wer heute eine Geschäftsidee hat, kann in Berlin gleich im Designerbüro Platz nehmen – und mit etwas Glück sitzt der passende Investor am Tisch nebenan. So in etwa lautet die Idee der von Udo Schloemer, der am Rand von Berlin-Kreuzberg gerade Europas größtes Gründerzentrum aufzieht, die "Factory".
"Wenn dieses Haus dann im Januar voll ist, dann sind da lauter Leute mit kreativen Ideen und das Nette ist, wir nehmen ja gar keinen Einfluss, was die hier bauen. Wir sind immer wieder erstaunt, was für geniale Ideen sich dann durchsetzen."
"Factory" soll Platz für 1000 Leute bieten
Berlin ist Deutschlands unangefochtenes Start-up-Zentrum. Verbände und Unternehmen legen unermüdlich Zahlen vor, um das zu belegen: 1,5 Milliarden Euro an Investitionen sind im ersten Halbjahr dieses Jahres in neue Firmen in Berlin geflossen, sagt das Start-up-Barometer der Unternehmensberatung Ernst & Young. Der Rest des Landes zog nicht mal die Hälfte davon an. Rund 17 Prozent der Jungunternehmer haben hier ihren Sitz. Und all die Gründer brauchen Platz. Den will Udo Schloemer schaffen.
"Wir wollten einfach in Deutschland digitalisieren, Start-ups eine Plattform bieten, wo sie gründen können."
Auf den 14.000 Quadratmetern der einstigen Filmfabrik sollen ab Januar gut 1000 Leute arbeiten können. Schloemer trägt ein knallrotes Jackett und sein Hemd weit offen. Der Bart ist schon etwas grau. Der einstige Immobilienunternehmer ist etwa doppelt so alt wie die Mittzwanziger, die seine "Factory" füllen sollen. Im Café im Erdgeschoss lümmeln einige von ihnen auf Sofas und in Sesseln. Sie sollen die Räume schon einmal ausprobieren, während in Teilen des Gebäudes noch renoviert wird.
"Es ist alles sehr wohnlich eingerichtet, wir wollen wirklich Austausch schaffen, das heißt, die Community steht im Vordergrund."
Künstler fühlen sich verdrängt
Dass diese Community nicht überall auf Gegenliebe stößt, verraten zerborstene Fensterscheiben sowie Farbe und Rußspuren an der Fassade. Vor ein paar Tagen haben militante Gegner Farbbeutel und Brandsätze auf die "Factory" geworfen. Im ersten Stock stinkt es penetrant nach Buttersäure. Der Grund: Bevor Schloemer das Gebäude übernahm, hatten hier Künstler und Freischaffende günstige Ateliers und Werkstätten. Schloemers Gründerzentrum ist nicht der einzige Ort der Stadt, an dem die teils von Investoren üppig finanzierten Start-ups die weniger finanzstarken Kreativen verdrängen, denen Berlin einen guten Teil seines Charmes verdankt. Schloemer versteht die Ablehnung trotzdem nicht.
"Wir bieten den Künstlern die gleiche Form der Mitgliedschaft, den Kreativen. Also es geht hier nicht nur um Business. Ich finde das schon ziemlich sozial und einladend, was wir hier tun."
Zugang zur "Factory" gibt es durch eine Mitgliedschaft. Für 50 Euro Gebühr im Monat will Schloemer schicke Arbeitsplätze bieten, eine Bibliothek, Konferenzräume, 3D-Drucker und ein Sofakino unterm Dach. Schloemer möchte mehr bieten als eine reine Bürogemeinschaft. Aber anders als Wagniskapitalgeber will er sein Geld nicht gezielt in ausgewählte Start-ups stecken. Bei ihm sollen gute Leute auch dann Platz haben, wenn ihre Idee noch nicht ganz ausgegoren ist. Den Namen für sein Zentrum hat Schloemer sich von Andy Warhol abgeguckt. Der ließ die Künstler in seiner berühmten "Factory" in New York einst machen, was sie wollen. So möchte Schloemer es auch mit seinen Gründern halten.
"Die besten Start-ups sind die die ein Problem lösen, dass sie selbst betrifft. Und ich glaube, als Accelerator oder Inkubator oder Co-Working kannst du gar nicht vorher bestimmen, ob eine Idee gut ist, deshalb brauchst du eine Plattform wie unsere, die offen ist für alle und Leute zusammenbringt. Und da entstehen ganz neue Konstellationen, wo Leute gründen zusammen, die sich vorher gar nicht kannten."
Treffpunkt für Internet-Größen
Dies ist bereits die zweite "Factory", die Schloemer eröffnet. Den ersten Standort gibt es in Berlin-Mitte seit drei Jahren. Politiker schauen dort gern vorbei, wenn sie ihren ausländischen Gästen das innovative, junge Berlin vorführen wollen. Branchengrößen wie Google, Soundcloud und Twitter haben sich bei Schloemer eingemietet, daneben auch traditionelle Industrie.
"Wir haben eine Firma wie Audi, eine Firma wie Daimler, Vodafone, die sitzen wirklich bei uns, um über ihre Zukunft nachzudenken."
Diese Unternehmen sollen das Geld wieder reinbringen, das Schloemer und die Anteilseigner in die Factory investiert haben, einen hohen zweistelligen Millionenbetrag, wie er sagt.
"Die zahlen natürlich keine 50 Euro, sondern der Jahresbeitrag ist da zwischen 60.000 und 300.000 Euro, weil wir schon die Auffassung vertreten, dass die großen Unternehmen durch den Zugang zu den jungen Talenten deutlich stärker profitieren."
Diese Talente können gar nicht jung genug sein. Neben einer Universität für Programmierer hat sich in der "Factory" auch die New School eingenistet, eine Privatschule, die Schloemers Ehefrau Sabrina gegründet hat. Ab der Klasse 7 lernen die Schüler hier nicht mehr nach Stundenplan, sondern in gemeinsam aufgezogenen Projekten.
Zauberwort Connecten
"Für uns ist auch ganz wichtig, dass die Talents, so nennen wir unsere Schüler, dass die Talents sich schon ganz früh connecten, dass dieses Networking für die ganz normal ist. Dass du nicht aus der Schule rauskommst und denkst, was mache ich jetzt?"
Damit den kleinen und großen Talenten vom ganzen Connecten nicht irgendwann der Schädel brummt, hat Schloemer in seinem Gründerparadies sogar an einen Yogaraum und ein Spielzimmer gedacht – samt Bällebad, das man sonst eher aus der Kinderabteilung eines Möbelhauses kennt.
"Schon geil, so ein Bällebad ist schon super, einfach, um mal abgelenkt zu sein."
Bei den Gründern scheint die Mischung anzukommen. James Watkins sitzt im "Factory"-Café. Der Australier hat eine Plattform für Filmmusik gegründet und will sein Unternehmen in Berlin weiterentwickeln.
Es sei sein erstes Startup, deshalb sei es für ihn eine große Hilfe, dass er in der Factory laufend neue Leute treffe, die mehr von vielen Dingen verstünden als er, sagt Watkins.
Das Beste sei: Man müsse sie nicht einmal einstellen, um von ihnen zu profitieren. Aber er helfe gern auch anderen. Es bleibe schließlich alles in der Community.