Europas Wirtschaftspolitik

Draghis Traum von der Vernunft des Gläubigers

Mario Draghi hat die Augen geschlossen, im Hintergrund ist ein Eurozeichen zu sehen.
Wenn Mario Draghi träumt, träumt er vielleicht von Finanzministern, die nicht nur auf ihren nationalen Haushalt achten. © dpa/ picture-alliance/ Arne Dedert
Von Georg von Wallwitz · 06.05.2016
Mario Draghi und die Europäische Zentralbank möchten Politikern und Investoren helfen, die Eurozone aus der wirtschaftlichen Krise zu holen. Was würde geschehen, fragt sich der Münchner Vermögensverwalter Georg von Wallwitz, wenn die EZB verstanden würde?
Auch die harten Herren des Geldes träumen. Tagsüber müssen sie sich mit heißen Schwüren den Krisen der Märkte entgegenwerfen, kühl den optimalen Zins berechnen und eine lauwarme Politik vom richtigen Handeln überzeugen.
Aber nachts können sie ganz weit weg sein von dieser widerborstigen Gegenwart. Und wenn Mario Draghi einen Traum hat, dann handelt er gewiss von einem Europa der Vernunft, in dem all die Probleme gar nicht erst entstehen, die sich mit etwas gutem Willen und etwas ökonomischem Sachverstand lösen ließen.
Des europäischen Notenbankers Traum ist einfach auszumalen. Sogar der deutsche Finanzminister ist darin ein guter Kerl, der nicht nur eng auf den eigenen Haushalt achtet, als sei er ein Kirchhof, dessen Mauern der Horizont sind.

Schulden streichen, um Investitionen zu fördern

Denn als guter Kerl erkennt er ein Interesse Deutschlands daran, dass im Rest der Eurozone nicht nur Schulden abgearbeitet werden. Auch dort müssen Konsum und Investition irgendwann wieder anspringen. Sonst können die Deutschen ihre Maschinen und Autos nur noch an sich selbst verkaufen.
Er und mit ihm die übrigen Finanzminister der Eurozone beklagen nicht das Schicksal ihrer gebeugten Steuerzahler, sondern arbeiten daran, die Schulden der Peripherie tragfähig zu machen. In diesem kühnen Traum werden die Forderungen auf ein realistisches Niveau gestrichen.
Mutig stellen sich sodann die Finanzminister der Gläubigerländer unter ihnen vor ihre Völker und teilen das Offensichtliche mit: den Verlust eines Teils des ausgeliehenen Geldes. Und ihre Kollegen aus den Schuldnerländern tun es ihnen gleich. Sie verkünden echte Reformen: des Staatsapparates, der Sozialleistungen, der Arbeits- und Produktmärkte und der Besteuerung. Und ja, Bevölkerung und Presse sehen dies natürlich ein, weshalb es auch keine Populisten gibt.

Kapitalmärkte auf internationales Niveau bringen

In Draghis nächtlichen Traum werkeln die Europäer fleißig an ihren Kapitalmärkten und bringen sie auf internationales Niveau. Das ermöglicht es Unternehmen, sich direkt bei Investoren zu finanzieren - und nicht auf dem Umweg über ein marodes Bankensystem. Doch halt, in diesem Traum wird die Finanzwelt ja gar nicht von Zombies bevölkert.
Staaten behandeln ihre Banken nicht wie feudale Lehensgüter, denn sie haben am Schicksal der deutschen Landesbanken ablesen können, was aus Instituten ohne Geschäftszweck wird: Geldvernichter erster Güte. Daher haben sie die schlechten und überflüssigen auf Kosten der Aktionäre pleite gehen lassen. Das hätte der Deutsche als Steuerzahler, Kommunalbürger oder Anleger voller Verständnis fürs Risiko hingenommen.
Mehr noch die ganze Bevölkerung weiß zwischen niedrigen Zinsen und Enteignung zu unterscheiden. Und die Sparer erinnern sich, dass es schon öfters negative Realzinsen gab. Dafür gewinnt das Reihenhaus der Eltern an Wert und der eigene Kredit drückt nicht mehr so.

Darlehen für vielversprechende Ideen geben

Und überhaupt begreifen sie, was Mario Draghis EZB will. Daher sitzen sie nicht gelangweilt auf Pfandbriefen, Staatsanleihen und Bankkonten, sondern investieren in vielversprechende Ideen ihrer Enkel, geben dem Schreiner um die Ecke ein Darlehen, renovieren die Wohnung und vermieten ein Zimmer.
Fantasievoll bringen sie das Land weiter. Dafür erhalten sie Rendite - und sichern zugleich Wohlstand und Stabilität für die Region, das Land und ganz Europa. Und am Ende begreift diesen Traum selbst die Presse.
Doch ach, irgendwann am Morgen wacht Mario Draghi auf, abrupt geweckt von einer Realität, der Vernunft und Enthusiasmus abhanden sind, und die heute nicht besser ist als vor fünf Jahren. Und er wird das Ende seines Mandates herbeisehen. Das aber dauert noch drei lange Jahre. Grausam!

Georg von Wallwitz, geboren 1968 in München, studierte Mathematik und Philosophie. Nach der Promotion und einem wissenschaftlichen Jahr an der Universität Princeton, USA wurde er Fondsmanager, zunächst angestellt bei einer Münchner Privatbank, dann ab 2004 selbständig als Teilhaber der "Eyb&Wallwitz Vermögensmanagement". Über die Finanzwelt schreibt er als Analyst ein regelmäßiges "Börsenblatt für die gebildeten Stände". Letzte Buchveröffentlichung: "Mr. Smith und das Paradies: Die Erfindung des Wohlstands" (Berenberg Verlag 2013).

© Katharina von Wallwitz
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