Europawahl und Microtargeting

Für Wahlkämpfer sind Daten pures Gold

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Ein Wahlplakat der Sozialdemokratische Partei Deutschlands ( SPD ) links und ein Wahlplakat des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ( GRÜNE ) rechts im Bild.
Klassischer Plakatwahlkampf zur Europawahl. Wäre sogenanntes Microtargeting effektiver? © Revierfoto
Ingo Dachwitz im Gespräch mit Stephan Karkowsky |
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Microtargeting - das ist die zielgenaue Ansprache von potenziellen Kunden oder Wählern aufgrund vorher gesammelter Daten. Donald Trump hat diese Methode in seinem Wahlkampf benutzt. Wie halten es EU-Politiker vor der Wahl am 26. Mai damit?
Stephan Karkowsky: Heute beginnt in Berlin die re:publica 19, Europas größte Digitalkonferenz, jetzt endgültig anerkannt, denn eröffnet wird die re:publica heute erstmals vom Bundespräsidenten persönlich. Ich freue mich ja ganz besonders auf den gemeinsamen Auftritt des CSU-Ehrenvorsitzenden Edmund Stoiber mit Rapper Eko Fresh am Mittwoch zur Frage, wie wichtig wird die Europawahl. Da hört man dann vermutlich geballte Kompetenz-Kompetenz. Wer lieber wissen möchte, mit welchen Methoden die Europawahl gewonnen wird, geht später dann zu Ingo Dachwitz. Der Medienwissenschaftler ist Redakteur bei netzpolitik.org. Sie wollen Ihre Zuhörer über das Microtargeting aufklären. Seit dem Skandal um Cambridge Analytica wissen wir natürlich alle, was das ist, aber was ist das noch mal?
Dachwitz: Wenn man es vereinfacht sagen will, ist es eine Kommunikationsmethode, bei der auf Basis von Datenanalysen die Kommunikation in erheblichem Maße auf die Zielgruppe zugeschnitten ist, also Botschaften zugeschnitten werden auf Basis von Interessen, auf Basis der Region, in der man sich befindet, auf Basis des vorangegangen Wahlverhaltens oder, wie im Fall von Cambridge Analytica, auf Basis von psychologischen Analysen, Persönlichkeitsanalysen. Es ist eine Kommunikationsmethode, die eigentlich aus dem Marketing stammt, aus dem kommerziellen Marketing, aber in der Politik auch weite Anwendung findet inzwischen.

Werkzeug für die sozialen Netzwerke

Karkowsky: Und wie funktioniert das konkret? Kommt da jemand an meine Haustür und versucht mich zu überzeugen von einer bestimmten Partei?
Dachwitz: Tatsächlich wird das Microtargeting auf unterschiedlichen Kanälen genutzt. Im Wesentlichen findet das natürlich online statt, also vor allen Dingen in den sozialen Netzwerken, Facebook, YouTube und so weiter, die bringen die Werkzeuge für das Microtargeting schon mit. Das heißt, da muss man selber keine großen Datenbestände haben, um dort zielgruppengenaue Botschaften zuzuschneiden. Aber tatsächlich haben wir gesehen, dass vor allen Dingen in den USA, aber beispielsweise auch im letzten Bundestagswahlkampf waren davon Anfänge zu sehen, dass das durchaus auch im Haustürwahlkampf genutzt wird.
Also, in den USA war es dann beispielsweise so, dass die Haustürwahlkämpfer von Donald Trump über 30 unterschiedliche Gesprächstleitfäden hatten, mit denen sie an die Haustür kamen und dann immer genau nach Persönlichkeitsprofil der Person, die sie dort angetroffen haben, eine unterschiedliche Gesprächstaktik angewendet haben.

"Es geht eher um kleinere Effekte"

Karkowsky: Hat das denn schon mal irgendwo nachweislich funktioniert, um Wahlen zu beeinflussen?
Dachwitz: Tatsächlich ist es so, dass empirische Auseinandersetzungen oder Belege für die Wirksamkeit von Microtargeting, also wissenschaftliche Studien eher rar gesät sind. Wir wissen aus Untersuchungen, dass es jetzt eher nicht darum geht, dass jemand komplett umgedreht wird, also man einfach nur den richtigen Knopf drücken muss kommunikativ, und dann gefällt mir jetzt ein Politiker, eine Politikerin, mit der ich vorher gar nichts anfangen konnte. Es geht eher um kleinere Effekte.
In den USA wiederum beispielsweise haben wir gesehen, dass die Trump-Kampagne Microtargeting in erster Linie auch eingesetzt hat für Demobilisierung. Also da sind bewusst Zielgruppen angesprochen worden mit Negativkommunikation über Hillary Clinton, die eigentlich dazu tendiert hätten, diese zu wählen. Da ging es gar nicht darum, jemanden für Trump zu gewinnen, sondern einfach Hillary Clinton-Sympathisanten zu Hause zu lassen, also sie zu motivieren, zu Hause zu bleiben.
Karkowsky: Wie ist das mit der Wahl zum Europäischen Parlament am 26. Mai? Welche Rolle spielt Microtargeting dort?
Dachwitz: Also wir können feststellen, dass diese Methode oder überhaupt der datenbasierte oder datenunterstützte Wahlkampf auch in Europa angekommen ist, eigentlich alle Parteien arbeiten in den sozialen Netzwerken mit Microtargeting. Aufgrund des Datenschutzes in Europa ist es für Parteien und politische Akteure nicht in dem Maße wie in den USA möglich, eigene Datenbestände aufzubauen und psychologische Analysen vorzunehmen. Das heißt, dem sind hier gewisse Grenzen gesetzt.

Microtargeting bietet auch Chancen

Karkowsky: Nun sehen die einen im Microtargeting eine moderne Marketingmethode, die anderen – ich vermute, Sie gehören dazu – eine Gefahr für die Demokratie. Kann beides richtig sein?
Dachwitz: Ich sehe auf jeden Fall, dass es auch Chancen gibt, die im Microtargeting liegen. In der einfachsten Form wäre das ja einfach das Ausspielen von Wahlaufrufen, die beispielsweise regional abgestimmt sind. Es macht nicht Sinn, dass ich mit einem Konterfei eines Abgeordneten aus Berlin beispielsweise in Baden-Württemberg Wahlaufrufe starte. Das heißt, man muss da schon differenzieren. Das grundsätzliche Problem ist, wir haben die Gefahren, die in dieser Methode liegen, erleben können gerade am Beispiel von Cambridge Analytica. Das Problem ist die mangelnde Transparenz.
Die sozialen Netzwerke, also allen voran Facebook, aber auch YouTube und Twitter, haben angekündigt oder haben auch Maßnahmen ergriffen, aber es ist bislang weiter so, dass weder ich als Individuum, dass ich eine Anzeige online zu sehen bekomme, noch der Journalismus als Ganzes oder wir als Gesellschaft durch wissenschaftliche Untersuchungen wirklich nachvollziehen könnten, mit welchen Datenbeständen und Zielgruppenkriterien eigentlich solche zielgerichteten Kampagnen stattfinden. Die Targetingkriterien sind nicht bekannt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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