Sich für den Job "Jesus" bewerben
Das Motto des diesjährigen Medienkunstfestivals in Osnabrück lautet "Ironie in der Medienkunst". Der Künstler George Kline appelliert an die EU-Bürger, die Festung Europa stärker zu überwachen, Christian Jankowsky lässt Bewerber als Jesus-Darsteller antreten.
In einer kleinen Geschäftsstraße kurz vor der Dominikanerkirche fällt ein neuer Laden auf: Einige Fähnchen und große runde Signes auf den Scheiben werben für die "European Border Watch Organisation". Da die Scheiben mit grüner Folie verdunkelt sind, kann man nicht in den Laden hineinblicken - doch schon tritt ein Mann heraus: Dezenter Anzug, breitrandige Brille, eleganter Hut, am Revers ein Namensschild: George Kline, Geschäftsführer.
Und der erklärt prompt die Idee seiner Firma.
George Kline: "Es geht darum, illegale Immigration zu verhindern nach Europa rein. ... Und im Moment auch ganz klar, die Grenzen stärker zu kontrollieren."
Angesichts der aktuellen Situation appelliert Herr Kline an alle EU-Bürger, Verantwortung zu übernehmen und bei dieser Überwachung zu helfen: Im Geschäftsraum flimmern Bildschirme an den Wänden, zeigen Küstenabschnitte, Berge, Flüsse - all die EU-Außengrenzen der Festung Europa, die angeblich überwacht werden müssen. Das gehe ganz bequem von zuhause aus, mithilfe einer Web-Patrol-Software.
"Und in dem Fall ist es tatsächlich eine humanitäre Aufgabe! Man kann es da hinten an einem Bildschirm sehen: Wenn da die libysche Küste beobachtet wird, - ne?, Sie sehen wie es gerade auf einen Strandabschnitt zuläuft mit der Satelliten-Webcam -, wo dann in Realtime beobachtet werden kann, ob da irgendwelche Schleuser mit einem Boot losfahren, das wird dann an die Grenzschutzagentur FRONTEX weitergeleitet mit genau diesen Koordinatenangaben, die Sie da sehen."
Das Projekt dürfte so manchen EU-Politiker begeistern. Zumal George Kline beim Abschied betont:
"Wir sind völlig parteiunabhängig, also eine Art Bürgerinitiative, und finanzieren uns nur aus Spendengeldern."
Bigasso, Baby und Überwachungsstaat
Ein paar Schritte weiter verspricht die Ausstellung in der Dominikanerkirche Kunstwerke zum Thema "Ironie in der Medienkunst - Subversive Interventionen". Schon im letzten Jahr war Überwachung ein wichtiges Thema. Das diesjährige Motto wirkt wie eine logische Fortsetzung - als folge nun der produktive Widerstand.
Kurator Hermann Nöring: "Ironie impliziert ja immer auch eine bestimmte Gegnerschaft. Und es ist auch so, dass wir aus der Beschäftigung mit dem Thema Überwachung ... zu diesem Thema Ironie oder Satire gekommen sind, wollten es aber überprüfen, ... wie es auch in anderen Bereichen angewendet wird."
Diese "Überprüfung" hat sich gelohnt: Ob Kunstbetrieb, Medien, Religion oder aktuelle Politik - die ausgestellten Arbeiten sind fast alle erfrischend-subversiv, gallig-böse oder ironisch.
So demontiert "annette hollywood" in ihrer Videoarbeit "Bigasso, Baby" genussvoll den angepassten Kunstbetrieb: Auf einem goldenen Bonanzarad rast sie durch Berlin, spottet über die Macht der Kuratoren, die Star-Allüren großer Künstler - und stellt dagegen eine engagierte Kunst, die sich einmischt und Stellung bezieht zu dem, was uns umgibt.
Konten auf den Caiman-Inseln und das Spiel der Jesusse
Andere führen sarkastisch herrschende politische Missstände vor. Zu ihnen zählen Georg Klein mit seinem Fake der "European Border Watch Organisation" und der italienische Aktivist und Hacker Paolo Cirio.
Hermann Nöring: "Paolo Cirio hat Geschäftskonten auf den Caiman-Inseln gehackt, etwa 200.000, und ... verkauft die Lizenzen auf seiner Website jetzt gegen eine geringe Gebühr an Interessierte. Jedermann kann sich jetzt ein Caiman-Insel-Konto leisten, und sein Geld parken, Steuern hinterziehen, bzw. illegale Gelder dort auch waschen."
Und dann der Aberglaube. Wo in der Kirche einst der Altar stand, läuft nun auf zwei Leinwänden Christian Jankowskys Video-Arbeit "Casting Jesus": 300 Jahre nach Beginn der Aufklärung sieht man links junge Männer, die sich um eine Rolle als Jesus bewerben. Rechts eine dreiköpfige Jury, die atemlos und mit geöffneten Mündern das Spiel der Jesusse verfolgt.
Hermann Nöring: "Die Jury bestand aus Vatikanvertretern. Und sie haben am Ende auch den Jesus gewählt, der ... mit dem allgemeinen Bild übereinstimmte. D.h.: Sie haben das reproduziert, was sie seit tausenden von Jahren bildlich dargestellt haben."
Die DNA der Sonnenblume van Goghs
Eine ganz andere Reproduktion treibt Marcello Mercado aus Argentinien um. In einem ebenso aufwändigen wie irrwitzigen Film-Projekt sichert er der Menschheit einmaliges Kulturgut: die Sonnenblumen-Gemälde von van Gogh. Dafür analysierte er die Farben, zog aus ihnen die jeweilige DNA, druckte diese auf Papier, versenkte alles zusammen in Humuserde - und schon wuchsen neue echte van Gogh-Sonnenblumen.
Demnächst will Mercado deren DNA per Satellit in den Weltraum schießen, damit sie der Menschheit auf immer erhalten bleibe. Das ist sehr ehrenwert. Doch hier unten wäre es für den Kopf und das allgemeine Wohlbefinden viel produktiver, würde es mehr solcher "subversiven Interventionen" geben wie in Osnabrück, die endlich etwas Bewegung in die allseits erstarrten Verhältnisse brächten.
Informationen des Medienkunstfestivals Osnabrück