Alter Dialekt, neue Musik
Die Band Argo tritt mit dem Song "Utopian Land" beim Eurovision Song Contest für Griechenland an. Die Bandmitglieder sind Nachfahren griechischer Flüchtlinge vom Schwarzen Meer. Dass sie ihre HipHop-Reime auf Pontisch verfassen, sorgt für Kontroversen.
Mit den mystischen Klängen der Schwarzmeermusik möchte die Band ARGO die Zuschauer des diesjährigen Eurovision-Song-Contests auf eine Reise ins Land der Utopie einladen. Die Mischung aus traditionellen Musikelementen und modernen Klängen ist das Markenzeichen der sechsköpfigen Band.
Die Mitglieder sind Griechen aus der ehemaligen Sowjetunion, abwertend Rosopondioi genannt: Ihre Vorfahren stammen von der Schwarzmeerküste in der heutigen Nordtürkei und wanderten im 19. und 20. Jahrhundert nach Russland aus. Erst in den 90er-Jahren kamen sie mit ihren Eltern nach Griechenland.
Vladimiros Sofianidis kann sich noch gut daran erinnern. Der Songwriter und Rapper der Gruppe war acht Jahre alt, als in der georgischen Provinz Abchasien der Bürgerkrieg ausbrach. Die rund 15.000 Griechen in der abchasischen Hauptstadt Sochumi gerieten zwischen die Fronten und mussten fliehen.
Obwohl sie quasi über Nacht alles stehen und liegen lassen mussten, freuten sie sich auf den Neuanfang in Griechenland, sagt Sofianidis. Diese Erlebnisse inspirierten ihn:
"Im Lied geht es um eine Reise, die mit Freude beginnt. Genau dieses Gefühl hatte ich, als ich ging. Als wir aus Georgien flohen, war Griechenland unsere Utopie, unser gelobtes Land. Doch dann kommst du hierher und siehst, es ist doch nicht so rosig wie du dachtest."
HipHop auf Pontisch
In Griechenland angekommen, hatten es die Griechen aus der ehemaligen Sowjetunion sehr schwer: Sie wurden als Russen beschimpft, fanden nur dort Arbeit, wo die Einheimischen selber nicht arbeiten wollten. Schon als Minderjähriger musste Vladimiros seinem Vater auf dem Bau helfen, sagt der heute 30-Jährige.
Diese Schwierigkeiten und die erlebte Diskriminierung spiegeln sich in den meisten Songs der Gruppe wider: So wie im Song "Iste Rosopondioi" aus dem Jahre 2003 – auf Deutsch "Ihr seid Russlandgriechen". Diese Coverversion von Eminems "Lose control" war einer der ersten Songs von Argo, damals noch unter dem Bandnamen Europond.
Geschrieben ist der Song auf Pontisch, dem sprachlichen Dialekt der Schwarzmeergriechen. Ein Dialekt, der dem Altgriechischen sehr nahe steht, aber auch viele Lehnwörter aus dem Türkischen enthält. Und auch im Eurovision-Song Utopia Land ist die HipHop-Einlage auf Pontisch.
Der Gebrauch des pontischen Sprachdialekts in einem HipHop-Song ist in Griechenland sehr umstritten, denn für die meisten Griechen ist es eine Sprache, die nur noch in der traditionellen Musik vorkommt und auch dahin gehört.
Nicht für die Griechen aus Russland, die diese Sprache immer noch zu Hause sprechen, erklärt Kostas Topouzis. Der 34-Jährige spielt das traditionelle Saiteninstrument Lyra, bekannt auch mit der türkischen Bezeichnung Kemence.
"Sollen wir uns schlecht fühlen, weil wir in unserer Muttersprache schreiben? Diese Sprache und diese Musik - für uns war das eine Einbahnstraße, wir könnten gar nicht anders, als diese Elemente zu nutzen, gerade weil wir sie so lieben."
Privatsender vermuten Vetternwirtschaft
15 Jahre lang war die Band eher eine Randerscheinung in der griechischen Musikszene. Dass sie jetzt für Griechenland vor einem Millionenpublikum auftreten wird, hat sie einem Musikproduzenten aus ihrer Heimatstadt Thessaloniki zu verdanken. Er schlug dem griechischen Staatsfernsehen ERT die Band zusammen mit weiteren Musikgruppen für den diesjährigen Songcontest vor. Die Jury entschied sich für Argo.
Für die privaten Sender, die dahinter Vetternwirtschaft vermuteten, ein gefundenes Fressen, erzählt Alekos Papadopoulos. Der Trommelspieler ist mit seinen 53 Jahren das älteste Bandmitglied. Er schüttelt den Kopf.
"In Wahrheit war es doch schon immer eine Art Direktmandat: Das Staatsfernsehen erteilte einem Produzenten den Auftrag, drei Bands auszusuchen. Der einzige Unterschied war, dass unter diesen drei Bands in der Vorauswahl die Entscheidung das Publikum traf und keine Jury. So verdiente man auch an den Anrufen der Zuschauer. Es ist also ein großes Märchen, dass sonst die Zuschauer frei entscheiden. Aber sogar unsere Freunde haben es geglaubt und sagen: 'So, so, ein Direktmandat!' und ich antworte: 'Ja, so wie immer!'"
Songwriter Vladimiros Sofianidis nickt. Er wünscht sich, dass mit ihnen eine Tradition anfängt und in Zukunft nur noch unbekannten Musikern die Chance gegeben wird, am Eurovision Songcontest teilzunehmen.
Ob sie es mit "Utopia Land" ins Finale schaffen? Sie werden ihr Bestes geben, sagen sie. Und lächeln.