Moskaus Mühe mit dem ukrainischen Sieg
Der Sieg der krimtatarischen Sängerin Jamala sei ein Votum für die Fortsetzung der Repression Kiews gegen das eigene Volk. So kommentierte der russische Senator Konstantin Kosatschow den Ausgang des Eurovision Song Contest. Das sei nur eine von vielen verdrehten Tatsachen, meint Sabine Adler.
Nicht die Ukraine hat beim Eurovisionswettbewerb gewonnen, sondern die Geopolitik bekam die meisten Punkte. So kommentierte Jamalas Sieg gestern Abend in Stockholm der Vorsitzende des Außenpolitik-Komitees im Russischen Föderationsrat Konstantin Kosatschow.
Er schrieb auf Facebook, dass er der Ukraine nicht gratulieren kann, denn das Land hätte ebenso verloren wie auch der Minsker Friedensprozess. Jetzt gebe es noch weniger Anreize für Kiew, wo doch Europa an seiner Seite sei. Auf diesen Ton können sich die EU, Kiew und die Eurovisions-Organisatoren schon mal einstellen, er wird Moskaus Diskussion über die russische Teilnahme am Wettbewerb 2017 in der Ukraine bestimmen. Und auch den Friedensprozess, der ohnehin nicht vorankommt. Der russische Senator Kosatschow schlussfolgert aus dem Sieg der krimtatarischen Sängerin Jamala, dass das ein Votum war für die Fortsetzung der Repression Kiews gegen das eigene Volk.
Der Schlüssel zum Frieden liegt in Moskau
Kosatschow dreht in alter Manier den Spieß um: Kiew unterdrücke die Ukrainer. Obwohl Russland die Halbinsel Krim okkupiert hat und Repräsentanten der Krimtataren nacheinander festgenommen werden, weil ihre Vertretung, die Medschlis, jetzt angeblich eine terroristische Vereinigung ist. Falsche Behauptungen werden nicht wahrer, je unverfrorener man sie wiederholt.
In diese Kategorie gehört auch, der Ukraine Schuld am nicht umgesetzten Friedensprozess zu geben. Den Separatisten im Donbass mehr Autonomie zuzugestehen, ihre Macht durch Wahlen abzusegnen, hieße, eine Militärdiktatur zu bestätigen. Solange in der Ostukraine die Bürgerrechte außer Kraft sind, Menschen zu tausenden verschleppt und gefoltert werden, es keine Parteien, geschweige denn unabhängige Kandidaten gibt, solange Menschen bei jedem Schritt auf die Straße um ihr Leben fürchten müssen, kann es keine Wahlen geben. Der Schlüssel, den Krieg in der Ostukraine zu beenden, liegt in Moskau, das die Rebellen unterstützt und dies nach wie vor abstreitet. So wie es die Besetzung der Krim zunächst geleugnet hat.
Zuschauer honorierten Glaubwürdigkeit
Dass der Auftritt der Sängerin Jamala am Ende die meisten Stimmen bekam, lag an ihrem Vortrag, der professionell und zugleich berührend war, wie an der Geschichte, die sie erzählte. Ihre Glaubwürdigkeit haben die Zuschauer honoriert, nach Sergej Lasarew lang sie auf Platz zwei in der Zuschauergunst, was ihr am Ende den Sieg bescherte. Wenn Moskau das als ein Zeichen europäischer Solidarität versteht, umso besser. Natürlich wollte die ausgebildete Opernsängerin gewinnen und doch war Jamala ein Sieg weit weniger wichtig als das Schicksal ihres Volkes. Denn das hat unter Stalin durch die Deportation gelitten, eine Viertelmillion Krimtataren sind damals ums Leben gekommen. Erst Jahrzehnte später durften die Familien in ihre Heimat zurückkehren und werden von dort nun wieder vertrieben. Jamala war schon seit zwei Jahren nicht mehr zuhause. Ganz gleich, worüber die Krimtatarin gesungen hätte: Dass Russland ihr die Heimat raubte, ist ein Politikum an sich.
Die Eurovision 2017 auf der Krim auszurichten, wie das ein ukrainischer Abgeordneter vorgeschlagen hat, bleibt wohl ein Wunschtraum. Wenn sich die Ukraine als demokratisches Land präsentieren will, dann räumt sie die Hürden für Russlands Teilnahme im kommenden Jahr ab. Derzeit dürfen kremltreue Künstler dort nicht auftreten. Wie unsinnig dieses Verbot ist, zeigt das Ergebnis der Zuschauerabstimmung: Der russische Interpret Sergej Lasarew bekam von den Ukrainern die Höchstpunktzahl 12, umgekehrt gab das russische Publikum Jamala immerhin stolze 10 Punkte. Gegenseitige Auftrittsverbote entmündigen die eigenen Landsleute, Kiew könnte mit gutem Beispiel vorangehen und diese Restriktion abschaffen.