Eurovision Song Contest ohne Lobgesang

Von Gesine Dornblüth |
Mit dem Eurovision Song Contest in Baku hofft Aserbaidschans Machthaber Ilham Aliyev auf positive Publicity. Stattdessen häufen sich im Ausland Berichte über die dramatische Lage der Menschenrechte und den schleppenden Demokratieprozess. Auch innerhalb des Landes wächst der Widerstand.
Jugendliche flanieren untergehakt durch die Fußgängerzonen im Zentrum von Baku. In den Pizzerien und Schnellrestaurants servieren adrette Kellner Cola, Bier und Fastfood. Die hellen Fassaden frisch renovierter Häuser spiegeln sich in den Metallkugeln eines Springbrunnens. Baku am Kaspischen Meer - hier präsentiert sich die Stadt als moderne Metropole. So werden sie viele Gäste des Eurovision Song Contest erleben.

Nur wenige Straßenecken weiter: enge Gassen, einige Häuser aus der Gründerzeit, dazwischen Baracken. Schneidereien haben die Fenster geöffnet. In einer Garage reparieren Männer ein Auto. Dazwischen Kioske. Die Ware liegt auf der Straße: Eier, Paprika, Zwiebeln, ein Reisigbesen. Dann ein Bauzaun, mehr als 100 Meter lang. Er verbirgt den Blick auf ein Trümmerfeld. Ein Bagger wühlt sich durch die Schuttberge. Arbeiter verlegen Rohre. Der Wind wirbelt Sand auf und bläst ihn in die umliegenden Gassen der Altstadt.

Nuria Khalikowa blickt auf die Trümmer. Sie hat hier mal gewohnt, in einer Ein-Zimmer-Wohnung. Das Haus wurde vor anderthalb Jahren abgerissen. Die Stadt will hier eine Parkanlage errichten. Die Innenstadt von Baku wird derzeit in Windeseile umgebaut, ein Projekt, das schon lange vor den Planungen des Eurovision Song Contest begonnen hat. Überall schießen Bürogebäude und Hotels aus dem Boden. Mehrere tausend Menschen mussten deshalb in den letzten zwei Jahren ihre Wohnungen verlassen.

"Baku ist schön geworden, keine Frage. Ich will gar nicht bestreiten, dass man die alten Gebäude abreißen muss. Aber nicht zu dem Preis. Man hätte sich mit uns einigen müssen, individuell."

Die Enteignungen haben für Unmut gesorgt. Der Staat bietet jedem Betroffenen eine Wohnung außerhalb des Stadtzentrums oder eine Entschädigung von 1.500 Manat pro Quadratmeter an, umgerechnet etwa 1.400 Euro. Zu wenig, meint Khalikowa. Sie blieb. Da kam die Polizei. Sie holt ihr Handy aus der Tasche und zeigt einen Film.

Eine Tür, von innen verschlossen. Es ist die Tür zu ihrer Wohnung. Holz splittert. Dann räumen Männer ihr Wohnzimmer aus, stopfen Bücher in Säcke. Nuria Khalikowa war damals so geistesgegenwärtig, alles aufzunehmen. Und sie hat sich einen Anwalt genommen.

Fuad Aghayew sitzt in einem kleinen Büro in der Altstadt. Auf seinem Schreibtisch stapeln sich Ordner. Der Anwalt betreut allein 40 Fälle Zwangsenteigneter, auch den von Nuria Khalikowa.

"Die Art und Weise, wie die Menschen um ihr Eigentum gebracht wurden, ist unmenschlich. Das sind gröbste Menschenrechtsverletzungen."

Aghayew geht es vor allem um den Schutz des Eigentums. Denn den hat Aserbaidschan in der Verfassung garantiert. Der Anwalt bekommt nur selten Recht. Und auch das hilft nicht unbedingt. In mehreren Fällen kam der Abrissbagger, obwohl Richter das verboten hatten.

"Das ist massenhafte Willkür, wie ich sie nicht mal in der Sowjetunion erlebt habe."

Aghayew hofft auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Dort hat er bereits Klagen eingereicht. Menschen wie Aghayew bringen die Schattenseiten des Baubooms in Baku ans Licht. Das ärgert das Regime.

Ali Hasanow arbeitet in der Verwaltung des Präsidenten. Hasanow kann die Aufregung der Umsiedler nicht verstehen - und die Tatsache, dass ausländische Journalisten kritisch über das Thema berichten, auch nicht.

"Von 10.000 Leuten, die umgesiedelt wurden, sind vielleicht zehn vor Gericht gezogen. Die restlichen 9.990 waren mit den Bedingungen einverstanden. Aber die zehn sind in ganz Deutschland bekannt. Wir mögen Deutschland wirklich. Aber diese Falschinformationen können wir nicht tolerieren. Gehen Sie doch bitte mal zu den Leuten, die eine Ersatzwohnung bekommen haben, und fragen Sie sie, ob sie dort glücklicher sind als in der Altstadt!"

Dabei hilft die Präsidialverwaltung gern. Ein Hochhausviertel, 20 Autominuten von der Innenstadt entfernt. Yunus Oguz wartet vor dem Haus. Der 52-Jährige ist nicht irgendjemand. Yunus Oguz ist Chefredakteur der regierungsfreundlichen Zeitung "Olaylar". Oguz ist mit Frau und Tochter in eine Vierzimmerwohnung gezogen, 148 Quadratmeter, zwei Balkone, von dem einen kann er sogar das Meer sehen. Das Parkett glänzt. Ledersofas, Vitrinen, Schränke - die gesamte Einrichtung ist neu. Auf dem Schreibtisch steht ein aserbaidschanisches Fähnchen - wie bei einem Staatsmann.

"Wir haben in einem dreistöckigen Haus gewohnt. Aus dem Jahr 1903. Wir haben lange überlegt, ob wir es aufgeben sollen. Aber wir haben uns dafür entschieden. Denn überall wurde gebaut. Und immer war es staubig. Hier haben wir frische Luft. Wissen Sie, jeder Mensch stirbt mal. Und mit Häusern ist es genauso. Das ist normal. Das Leben ändert sich."

Wer Beziehungen hat, lebt gut in Aserbaidschan. Alles hänge davon ab, wie man zur Präsidentenfamilie stehe, erläutert Yasemin Pamuk. Sie leitet das Südkaukasus-Büro der Friedrich-Naumann-Stiftung.

"Viele dieser Gruppen oder Persönlichkeiten, die jetzt eine Rolle in der Regierung spielen, haben oft gemeinsam studiert oder gemeinsam den Militärdienst absolviert, also man gehört entweder zu diesen Gruppen oder zu diesen Clans, wie ja auch oft gesagt wird, oder man ist eben außerhalb."

Ein Besuch in der aserbaidschanischen Provinz. Die Kreisstadt Quba, drei Autostunden nördlich von Baku, in den Ausläufern des Kaukasus. Am Ortseingang grüßt Ex-Präsident Heydar Aliyev in Stein gehauen von einem mehrere Meter hohen Sockel. Das Pflaster auf dem Platz ist frisch verlegt, ringsum sprießen Büsche und Bäume: der Heydar-Aliyev-Park. Ein Mann mäht Rasen. Hinter der Statue erhebt sich ein mächtiger Neubau mit Säulenportal: das Heydar-Aliyev-Zentrum.

Der Marmorboden ist spiegelblank, die weitläufige Halle fast leer. Hinter Glas zeigen Fotos Szenen aus dem Leben des ehemaligen Staatsführers: Heydar Aliyev bei einer Fabrikeröffnung, Heydar Aliyev bei Landarbeitern, Heydar Aliyev bei Ölarbeitern, Heydar Aliyev in einem Sonnenblumenfeld.

Das Museum sei erst in diesem Jahr eröffnet worden, sagt die Museumsführerin. Sie muss ihre Chefin um Erlaubnis fragen, ehe sie mit der Reporterin redet. Die Direktorin lehnt ab - Interviews seien hier nicht üblich.

Die Menschen im Zentrum von Quba sind gesprächiger. In einer Seitengasse heizen Männer die Grills an, schneiden Fleisch für den Tag. Ein Taxifahrer wäscht sein Auto. Vor der Teestube "Tural" sitzt Rustam Dschamalow auf einem geflickten Plastikstuhl. Drinnen läuft der Fernseher.

"Hier sind viele Leute arbeitslos. Und es entstehen auch keine Arbeitsplätze. Der größte Arbeitgeber ist der Staat. In Quba gab es zu Sowjetzeiten zwei große Fabriken. In der Elektromechanischen Fabrik wurden Ventilatoren gefertigt, die Arbeiter haben in drei Schichten gearbeitet. Und es gab eine Konservenfabrik. Jetzt steht alles still. Warum wird so viel Geld für Parks und Straßen ausgegeben? Wir bekommen hier jedes Jahr zehn neue Parks - das ist doch rausgeworfenes Geld. Die sollten lieber in neue Fabriken investieren, damit die Leute Arbeit haben."

Die Regierung Aserbaidschans verspricht Abhilfe. Sie hat ein Programm zur Entwicklung der Regionen aufgelegt. Es wird mit den Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft finanziert. Nachdem zunächst viel Geld in die Hauptstadt Baku floss, soll nun endlich auch das Leben im Rest des Landes besser werden. Jede Woche würden irgendwo im Land Fabriken neu eröffnet, sagt ein Manager des staatlichen Ölfonds.

Gleich neben der Teestube beginnt der Markt. Auf Ständen liegen frische Fische, Gummigaloschen, Gemüse, Äpfel. Sohrab Mamedow verkauft Tomaten aus Baku und aus der Türkei, Gurken und Zitronen.

"Ich arbeite schon fast 16 Jahre hier. Vorher war ich Facharbeiter in der Konservenfabrik. Aber die wurde dann ja geschlossen. Da blieb mir nichts anderes übrig, als auf dem Markt zu stehen."

Er sagt, er verdiene umgerechnet 300 bis 400 Euro im Monat - das ist mehr als der Durchschnittslohn. Sein Sohn arbeitet in einer türkischen Firma, die Tochter ist in Baku verheiratet.

"Wenn die Regierung Besserung verspricht, dann wird sich hier bald etwas verbessern. Wir schreiten mit großen Schritten voran. Das hat Leonid Iljitsch Breschnew mal gesagt. (Lachen)"

Breschnew war von 1964 bis 1982 Chef der Kommunistischen Partei der UdSSR. Er galt als Apparatschik, der die Sowjetunion in den Stillstand führte. Heydar Aliyew war sein Weggefährte. Die Aliyews beherrschen Aserbaidschan mit kurzzeitigen Unterbrechungen seit mehr als 40 Jahren. Die Opposition hat angesichts der lang gefestigten Clan-Strukturen kaum Raum.

Sonntag Nachmittag am Stadtrand von Baku. Den Weg dorthin säumen Polizisten. Sie stehen in jeder Einfahrt, vor jedem Haus. Ein Platz ist eingezäunt. Fahnen wehen. Die Opposition hat zu einer Kundgebung aufgerufen. Jahrelang hatten die Regimegegner in Baku nicht demonstrieren dürfen, nicht mal an abgelegenen Orten wie diesen. Nun ist es bereits die zweite Kundgebung binnen 14 Tagen. Die Menschen fordern den Rücktritt der Regierung.

"Wir fordern, die politischen Gefangenen freizulassen!"

Sevinc Guseynowa ist Mitglied der liberalen Oppositionspartei Müsavat. Sie trägt ein T-Shirt mit dem Foto eines jungen Mannes. Ahad Mamadli, der stellvertretende Vorsitzende der Jugendorganisation von Müsavat, wurde im vergangenen Jahr zu drei Jahren Gefängnis verurteilt, wegen angeblicher Störung der öffentlichen Ordnung und Widerstands gegen die Polizeigewalt. Mamadli hatte am 2. April 2011 eine Protestaktionen Jugendlicher in Baku organisiert. Er ist nicht das einzige Parteimitglied, das im Gefängnis sitzt.

Guseynowa: "Wir haben hier überhaupt keine Meinungsfreiheit. Erst gestern wurden wieder Leute festgenommen, als sie Zettel für unsere Demonstration verteilten."

Teilnehmer berichten, Linienbusse seien ausgefallen, mit denen die Anhänger der Opposition zur Kundgebung fahren wollten. Etwa 3000 Teilnehmer kommen an diesem Tag. Sevinc Guseynowa ist pessimistisch.

"Nach dem Eurovision Song Contest werden sie wahrscheinlich gar keine Demonstrationen mehr genehmigen. Jetzt wollen sie den Anschein erwecken, dass Aserbaidschan demokratisch sei - nach dem Motto, seht her, die Opposition darf doch demonstrieren. Aber das ist nur wegen des Song Contests."

Bevor die ersten Redner die Bühne betreten, erklingt die Ouvertüre einer aserbaidschanischen Oper. Der Komponist, Üzeyir Hacibeyov, gilt als Gründer der modernen aserbaidschanischen Musik. In Deutschland gab es Forderungen, den Gesangswettbewerb in Baku zu boykottieren - aus Protest gegen die Menschenrechtsverletzungen in dem Gastgeberland. Isa Gambar, der Vorsitzende der Partei Müsavat, hält nichts davon. Er will die Aufmerksamkeit, die der Song Contest bringt, für seine politischen Ziele nutzen.

"Wir haben Kontakt zu gesellschaftlichen Organisationen in den Ländern aufgenommen, die am Wettbewerb teilnehmen. Zum Beispiel in der Türkei. Deren Teilnehmer, Can Bonomo, ist der Liebling der dortigen Jugend. Die türkische Öffentlichkeit soll auf ihn einwirken, damit er in Baku sagt: Mir ist es unangenehm, hier zu singen, während meine Altersgenossen im Gefängnis sitzen. Wir versuchen auch, den Veteranen der europäischen Musik, den Briten Engelbert Humperdinck, dazu zu bewegen."
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